Eine vollgesogene Zecke auf der Haut
Die Zecken-Saison ist schon in vollem Gang. © Cristian Storto Fotografia / iStock / Getty Images Plus

Interview

„DIE FSME-IMPFUNG IST DER EINZIGE SICHERE SCHUTZ VOR EINER ERKRANKUNG“

Dr. Masyar Monazahian ist Mikrobiologe und Virologe im Niedersächsischen Landesgesundheitsamt. Sein Fachgebiet: zeckenübertragene Infektionen. Wir haben ihm ein paar Fragen zu FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis)-Risikogebieten, der FSME-Impfung und heimischen Zeckenarten gestellt.

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DIE PTA IN DER APOTHEKE: Dieses Jahr sind gleich 5 neue Risikogebiete für FSME in Deutschland benannt worden. Darunter auch das Emsland als erster Landkreis Norddeutschlands. Welche Gründe sehen Sie in der zunehmenden Ausbreitung von FSME-infizierter Zecken oder handelt es sich um Einzelfälle?

Dr. Monazahian: Der größte Anteil der FSME-Risikogebiete in Deutschland liegt zurzeit in Bayern und Baden-Württemberg, in Südhessen und im südöstlichen Thüringen. Einzelne Risikogebiete befinden sich zudem in Mittelhessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und in Niedersachsen. In den letzten Jahren trat zusätzlich ein kleiner Teil der erfassten FSME-Erkrankungen, die nachweislich nicht in anderen Gebieten zugezogen wurden (autochthone Fälle), in Nicht-Risikogebieten auf. Laut der Erfassung des Robert-Koch-Institut (RKI) trat im Jahr 2018 jede fünfte FSME-Erkrankung außerhalb der bekannten Risikogebiete auf*. Die FSME-Risikogebiete werden durch das RKI nach bestimmten Kriterien festgelegt. Dazu gehört auch die in einem bestimmten Zeitraum aufgetretene Zahl der autochthonen FSME-Meldefälle in Bezug zur Einwohnerzahl. Dadurch wurde 2019 der Landkreis Emsland aufgrund der seit 2016 aufgetreten acht FSME-Erkrankungsfälle zum Risikogebiet durch das RKI ausgewiesen. Es ist wichtig sorgfältig zu beobachten, ob FSME Naturherde sich nachhaltig in nördlichen, nordöstlichen und westlichen Regionen Deutschlands etablieren beziehungsweise weiter ausbreiten.
Ein möglicher Eintrag von FSME infizierten Zecken könnte über den Vogelflug oder die Wanderbewegung von infizierten Wirtstieren (z.B. Mäuse, Rehe, Wildschweine) in noch nicht ausgewiesenen Risikogebieten verursacht sein. Schon in den 1960er bis Anfang der 1980er Jahre war das FSME-Virus in den östlichen Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt endemisch, was zeigt, dass das FSME-Virus dort in geringem Umfang in Naturherden persistiert und immer wieder zu vereinzelt auftretenden FSME-Erkrankungen führt. Auch in Niedersachsen konnte in einzelnen Regionen das FSME-Virus in Zecken nachgewiesen werden. Eine mögliche Infektion mit dem FSME-Virus ist nicht völlig auszuschließen, aber in den meisten Gebieten Niedersachsens immer noch sehr unwahrscheinlich.
Insbesondere während der Zeckensaison sollte aber überall in Deutschland die FSME bei entsprechender Symptomatik in die Differentialdiagnose einbezogen werden.

Eine FSME-Impfung steht wohl bei den wenigsten auf dem Plan, wenn es um Urlaubsreisen geht. Doch warum ist eine Impfung aus Ihrer Sicht gerade sinnvoll?

Die FSME tritt auch in zahlreichen europäischen Ländern auf: Finnland, Schweden, Norwegen, Albanien, Bosnien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Kroatien, Lettland, Litauen, Österreich, Polen, Rumänien, Russland, der Schweiz, Serbien, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, Türkei, Ungarn und Weißrussland. In weiteren Ländern (Frankreich-Elsass, Norditalien und Toskana, Griechenland, Niederlande) werden vereinzelte FSME-Erkrankungen registriert. Nahe Verwandte der hiesigen FSME-Viren sind von Nord-Ost-Europa über Sibirien und Nord-China bis hin nach Nord-Japan verbreitet. Sie verursachen ein der FSME ähnliches Krankheitsbild, die RSSE (Russian Spring-Summer-Encephalitis). Für die FSME-Virussubtypen ist bekannt, dass die Letalität vom Zentraleuropäischen (0,2-1%) über den Sibirischen Virussubtyp (6-8%) auf eine Letalität von 20-40 Prozent beim Fernöstlichen Virussubtyp ansteigt. Der europäische FSME-Subtyp kommt in Deutschland und den zentraleuropäischen Nachbarländern vor. Im Baltikum, an der finnischen Küste im asiatischen Raum überwiegen der sibirische beziehungsweise der fernöstliche FSME-Virustyp.

Wirkt eine hiesige FSME-Impfung auch gegen diese Subtypen?

In schweren Erkrankungsfällen kann die FSME mit der Entzündung von Hirnhäuten und Gehirn verlaufen und im seltenen schlimmsten Fall zum Tod führen. In den meisten Fällen heilt die FSME ohne Komplikationen und Folgeschäden aus. Es können jedoch nur die Symptome, nicht die Erkrankung selbst behandelt werden. Die FSME-Impfung ist daher der einzige sichere Schutz vor einer Frühsommer-Meningoenzephalitis Erkrankung. Deshalb wird allen Menschen, die in einem Risikogebiet leben oder sich häufig dort aufhalten und auch für Reisende in Risikogebieten außerhalb Deutschlands eine FSME-Impfung empfohlen. Beide in Deutschland zugelassenen Impfstoffe sind gegen alle drei Subtypen wirksam.

In Deutschland ist vor allem der Gemeine Holzbock die vorherrschende Zeckenart. Doch neue Zeckenarten breiten sich aus. Wo sehen Sie Gründe?

Einer der Gründe für das vermehrte Zeckenaufkommen liegt in den höheren Temperaturen der letzten Jahre, insbesondere an den milden Wintern. Die Wirtstiere (unter anderem Mäuse, Igel) überleben milde Winter besser. Dadurch haben auch die Zecken ein größeres Angebot an Tieren, an denen sie ihre Blutmahlzeit stillen und ihren Entwicklungszyklus (von der Larve zur Nymphe und zum adulten Tier) schneller abschließen können. Neue Zeckenarten, die ursprünglich in Afrika, Asien oder Südeuropa verbreitet sind, werden vermutlich durch Zugvögel eingeschleppt. Sollte das Klima sich weiter verändern, so ist dies für die Entwicklung der neuen Zeckenarten von Vorteil und sie können sich in Deutschland etablieren.

Welche neuen Arten sind das genau? Und sind diese gefährlicher beziehungsweise übertragen andere Erkrankungen?

In den letzten Jahren sind neue Zeckenarten in Deutschland aufgetreten: die Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus), die Mittelmeerzecke (Ixodes inopinatus), Hyalomma marginatum und Hyalomma rufipes (Tropenzecken). Noch schwer einzuschätzen ist die Gefahr, die von den neuen Zeckenarten in Deutschland ausgeht. Für die Auwaldzecke ist im Jahr 2016 erstmalig beschrieben worden, dass diese auch das FSME-Virus übertragen kann. Die Hyalomma-Zecke ist als Überträger einiger Krankheitserreger in ihrer Heimat bekannt. Dazu gehören die Erreger des sogenannten Krim-Kongo Hämorrhagischen Fiebers, des Arabisch Hämorrhagischen Fiebers und einer Form des Zecken-Fleckfiebers durch Rickettsien (Bakterien). Rickettsien wurden in den 2018 in Deutschland gefundenen Hyalomma-Zecken nachgewiesen. Die Erreger der hämorrhagischen Fieber-Formen bislang aber noch nicht. Auch in der Mittelmeerzecke Ixodes inopinatus konnten Rickettsien neben Borrelien nachgewiesen werden. Inwieweit diese Zeckenart auch das FSME-Virus übertragen kann, ist noch nicht bekannt.

Wie verhält man sich nach einem Zeckenstich korrekt?

Wird eine Zecke am Körper entdeckt, sollte man Ruhe bewahren und diese sobald wie möglich herausziehen. Dabei sollten möglichst alle Teile der Zecke entfernt werden, um eine Entzündung zu vermeiden. Hierzu greift man die Zecke mit einer Pinzette oder einem speziellen Zeckenentfernungsinstrument nahe der Hautoberfläche, also an ihren Mundwerkzeugen (niemals am vollgesogenen Körper!) und zieht sie langsam und gerade aus der Haut. Die Zecke sollte dabei möglichst nicht gedreht werden, auf keinen Fall darf sie vor dem Entfernen mit Öl oder Klebstoff beträufelt werden. Dies würde das Tier unnötig reizen und könnte dazu führen, dass es seinen Speichel und somit mögliche Infektionserreger abgibt. Nach der Entfernung wird eine sorgfältige Desinfektion der Wunde empfohlen. Falls kein Zeckenentfernungsinstrument oder Desinfektionsmittel zur Hand ist, sollte die Zecke trotzdem schnellstmöglich entfernt werden (zum Beispiel mit dem Fingernagel), da so der Übergang von Krankheitserregern verhindert werden kann.

Was kann unsicheren Kunden nach der vollständigen Entfernung empfohlen werden?

Um die eventuelle Ausbildung eines roten Infektionsrings (sogenannte Wanderröte; fachsprachlich Erythema migrans: ein früher Hinweis auf eine beginnende Borreliose) in der Haut besser verfolgen zu können, empfiehlt es sich, die Einstichstelle regelmäßig zu beobachten. Auch ein Foto von der Stichstelle kann hilfreich sein. Sollte nach einigen Tagen bis Wochen (6 Wochen) eine deutliche ringförmige Hautrötung, typischerweise im Zentrum blasser als am Rand, entstehen und sich ausweiten, sollte ein Arzt zwecks weiterer Abklärung konsultiert werden. In einigen Fällen erscheint nur eine unspezifische Hautrötung, die wandert.
Bemerkt man in den sieben bis vierzehn Tagen nach einem Zeckenstich und einem Aufenthalt in einem FSME-Risikogebiet grippeähnliche Symptome wie Fieber, Abgeschlagenheit, Unwohlsein, Kopfschmerzen oder Gliederschmerzen, sollte ebenfalls ein Arzt konsultiert werden. Eine generelle Antibiotikatherapie nach einem Zeckenstich wird nicht empfohlen, sie ist erst bei einem begründeten Borrelioseverdacht (Wanderröte und/oder neurologische Symptome oder massive Gelenkschwellung) angezeigt.

Wie schützt man sich am besten vor einem Stich? Welche Ausrüstung nehmen Sie mit auf einen Waldspaziergang?

Bei Aufenthalt im hohen Gras, Gebüsch oder Unterholz, bietet das Tragen geschlossener Kleidung (feste Schuhe, lange Hosen, lange Ärmel) einen gewissen Schutz. Dadurch wird es einer Zecke erschwert, eine geeignete Hautstelle für eine Blutmahlzeit zu finden. Werden die Hosenbeine zudem in die Socken gesteckt, ist die Zecke gezwungen, auf der Kleidung nach oben zu laufen, wodurch ihr Anheften auffällt. Das Tragen von heller Kleidung erleichtert das Auffinden zusätzlich. Die Anwendung von Repellents auf der Haut schützt ebenfalls, dieser Schutz ist aber zeitlich begrenzt (ungefähr 2 bis 4 Stunden). Falls geeignet, sollten Repellenzien auch auf die Kleidung aufgetragen werden. Nach einem Aufenthalt im Freien sollte der Körper nach Zecken abgesucht werden und diese sofort entfernt werden. Zecken bevorzugen Stichstellen an Haaransatz, Ohren, Hals, Achseln, Ellenbeuge, Bauchnabel, Genitalbereich oder Kniekehle. Für den Waldspaziergang oder die Wanderung in der freien Natur sollte stets ein Zeckenentfernungsinstrument (Pinzette, Zeckenkarte oder ähnliches), eine kleine Flasche Desinfektionsmittel oder Tücher und zur Dokumentation der Stichstelle ein Kugelschreiber beziehungsweise Handy mit Fotoeinheit mitgenommen werden. Die Mitnahme und Auftragen eines Zecken-/Insektenabwehrmittel würde ich auch empfehlen.

Das Gespräch für DIE PTA IN DER APOTHEKE führte Farina Haase.

*RKI Epi.Bul.7/2019

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