Im Gehirn wurde von Forschern eine Art Ampelanlage von Nervenzellen entdeckt. © venakr / iStock / Getty Images Plus

Wahrnehmung | Gehirn

„AMPEL-NERVENZELLEN“ ENTDECKT

Wir kennen die Ampel als Autofahrer oder auch als Fußgänger. Dass wir eine solche Schaltzentrale auch im Gehirn haben, haben caesar-Wissenschaftler der Forschungsgruppe „In Silico Brain Sciences“ nun entschlüsselt.

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Unser Gehirn arbeitet jede Sekunde unseres Lebens und setzt Sinneseindrücke wie Hören, Riechen oder Spüren auf unserer Haut in Wahrnehmung um. Eine solche Wahrnehmung wiederum beeinflusst entscheidend das Verhalten. Der sogenannte Neokortex ist der Teil des Gehirns, der sensorische Eindrücke in Wahrnehmung und Verhalten umwandelt. Eine solche Struktur kommt mit wenigen Ausnahmen nur in Säugetieren vor. Sie ist Teil der dünnen Außenschicht des Gehirns, die wir als Großhirnrinde kennen. Diese Schicht hat allerdings so einiges zu bieten. Der Neokortex zeichnet sich dadurch aus, dass er vollgepackt ist mit Nervenzellen, die sich wiederum zu komplexen Netzwerken verbinden. Jeder Kubikmillimeter enthält hunderttausende Nervenzellen, die bis zu einer Milliarde synaptischer Verbindungen miteinander eingehen. Somit kann der Neokortex von sich behaupten, dass der die komplexeste Struktur in der Biologie aufweist.

Aber nicht nur die Struktur ist interessant, sondern auch die Funktionsweise. Aufgrund des Zusammenspiels vieler Nervenzellen werden sensorische Informationen von den Netzwerken des Neokortex kombiniert und im Anschluss umfassende Sinnesbilder der Umwelt erstellt. Eine solche Weiterleitung von Ergebnissen ist ein wesentlicher Baustein des menschlichen Verhaltens.

Die Kenntnisse über die Nervenzellen, welche die Ergebnisse kortikaler Berechnungen weiterleiten, sind nicht neu und seit Jahrzehnten bekannt. So genannte Pyramidenbahn-Neurone empfangen Informationen von tausenden Nervenzellen, die im gesamten Neokortex verteilt sein können, und erstellen daraus ein Ausgangssignal.

Die Funktion von neuronalen Netzwerken zu erforschen ist alles andere als leicht. Es ist zwar möglich zu messen, wie Nervenzellen auf sensorische Information reagieren. Allerdings ist es Forschern bislang nicht gelungen, die Grundlagen dieser Aktivitätsmuster zu enthüllen.

Um endlich eine Antwort zu bekommen, hat die caesar-Forschungsgruppe Messungen im Tasthaarsystem von Ratten mit Computersimulationen vorgenommen. Für diese Untersuchung wurde die Aktivität aller Nervenzellen, die potenziell zu einem Ausgangssignal während sensorischer Wahrnehmung beitragen, gemessen. Im Anschluss wurde dann mittels Computer simuliert, wie die Pyramidenbahn-Neurone diese Informationen verarbeiten.

Diese Simulationen machen es möglich, die Messungen im lebenden Tier zu reproduzieren und ist zudem in der Lage Vorhersagen darüber zu treffen, welche Nervenzellen im Gehirn die Ausgangssignale des Neokortex steuern. Hierbei kam eine weitere Entdeckung ans Tageslicht. Die Forscher konnten spezielle Nervenzellen identifizieren, welche die Ausgangssignale der Pyramiden-Neurone regeln. Solche Zellen wiederum haben die Aufgabe einer Verkehrsampel. Das bedeutet, dass sie erst aktiv, also „grün“ werden, erst dann werden die Informationen aus dem Neokortex von den Pyramidenbahn-Neuronen weitergeleitet.

„Das Bild einer Ampel passt recht gut“, erklärt Dr. Oberlaender, Leiter der Studie. „Was wir gefunden haben zeigt, dass sensorische Informationen, die den Neokortex erreichen, zunächst hochspezielle Nervenzellen aktivieren. Ohne diese Zellen könnte keine Information den Neokortex verlassen. Diese Zellen schalten Pyramidenbahn-Neurone quasi auf grün.“

Die Entdeckung der sogenannten „Ampel-Nervenzellen“ zeigt ein grundlegendes Prinzip, wie sensorische Information in Verhalten umgewandelt wird. Darüber hinaus eröffnet die einzigartige Kombination von Experiment und Simulation neue Möglichkeiten zur Erforschung des Gehirns.

Nadine Hofmann,
Leitung Online-Redaktion

Quelle: Informationsdienst Wissenschaft



Originalpublikation: Egger, Narayanan et al., Cortical Output Is Gated by Horizontally Projecting Neurons in the Deep Layers, Neuron (2019), https://doi.org/10.1016/j.neuron.2019.10.011

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