Grapefruits© margouillatphotos / iStock / Getty Images

Pflanzliche Inhaltsstoffe

VOM FÄRBEMITTEL ZUM ALLESKÖNNER

Die potenziell gefährliche Wechselwirkung des Grapefruit-Saftes mit einigen Arzneimitteln ist weithin bekannt und wird an Patienten selbstverständlich weitergegeben. Doch welcher Übeltäter genau steckt dahinter? Es sind Flavonoide.

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Die Wirkstoffgruppe der Flavonoide bildet die wirksamkeitsbestimmende Komponente in den unterschiedlichsten Phytopharmaka. Unter anderem im Einsatz als Venentonika, Kardiotonika oder Nootropika haben sie einen festen Platz in der Selbstmedikation. Dabei spiegelt ihr weitläufiges Einsatzgebiet auch ihren variierenden Aufbau wieder. Den Flavonoiden werden verschiedene Stoffgruppen zugeordnet, die insgesamt bis zu 8000 Einzelverbindungen enthalten. Unter ihnen befinden sich Substanzen, die wichtige Enzyme hemmen, direkt mit Nukleinsäuren und Proteinen interagieren oder antioxidative Prozesse regulieren können.

Karriere in der Färbeindustrie Anfangs wurden Flavonoide zu simpleren Zwecken verwendet. Da die ersten bekannten Vertreter zum Gelbfärben genutzt wurden, benannte man sie nach dem lateinischen Wort für die Farbe Gelb. Aus „flavus“ wurden dann die Flavonoide. Mittlerweile haben sich auch andere Farben in diese Gruppe eingeschlichen. Die Untergruppe der Anthocyane ist für die roten Farbtöne von Rosen, Malven oder Hibiskus bekannt. Viele Substanzen sind auch farblos. In der Natur kommen sie ausschließlich in höheren Pflanzen vor und übernehmen Aufgaben wie die Anlockung von Insekten zur Bestäubung. Weiterhin bilden sie einen Schutz auf den Blattoberflächen vor Fraßfeinden oder UV-Strahlung.

Begrenzte Bioverfügbarkeit Der Mensch muss Flavonoide in hohen Mengen aufnehmen, um von den vielen positiven Wirkungen zu profitieren. Dabei ist es wichtig, die Bioverfügbarkeit durch die richtige chemische Form des jeweiligen Flavonoids möglichst hoch zu halten. Auch wenn abschließend noch keine eindeutige Aussage gemacht werden kann, scheinen intakte Flavonoidglykoside, wie sie meist in den Arzneidrogen vorliegen, nur in sehr geringen Mengen über Transporter im Dünndarm aufgenommen werden.

Die nach Abspaltung des Zuckers entstehenden Aglyka hingegen diffundieren sowohl im Magen als auch im Dünndarm passiv durch die Zellmembran. Leider ist aber auch hier die Bioverfügbarkeit begrenzt, was die erreichbaren systemischen Konzentrationen einschränkt. Somit kann die die endgültige Wirkung im lebenden Organismus nicht die Erwartungen erfüllen, die sie in In-vitro-Untersuchungen versprechen. Trotzdem sollten flavonoidhaltige Phytopharmaka nicht unterschätzt werden.

Einsatz bei Venenleiden Einer hohen Beliebtheit erfreuen sich Flavonoide bei der Behandlung der chronischen venösen Insuffizienz. Die antiexsudative und ödemprotektive Wirkung der Flavonoide Quercetin, Rutin und Kämpferol wurde auch in Studien bestätigt. Man findet sie zum Beispiel im roten Weinlaub. Die Flavonoide sollen hier die Prostaglandinsynthese und Thrombozytenaggregation hemmen. Sie setzen weiterhin die Kapillarpermeabilität herab und dichten die Endothelzellen ab, um diese vor schädigenden Entzündungsmediatoren zu schützen.

Auch die gleichzeitige Anwendung der flavonoidhaltigen Creme erscheint sinnvoll. Liegen die Flavonoide als Aglyka vor, ist es für sie möglich, perkutan durch die Haut zu penetrieren. Der Anwender sollte allerdings etwas Geduld mitbringen. Bis eine spürbare Verbesserung der Symptome eintritt, können ein paar Wochen vergehen. Hier könnte ein Symptomtagebuch nützlich sein. So lässt sich der Erfolg der Therapie besser sichtbar machen. Diese Empfehlung kann übrigens bei den meisten Phytotherapien mit auf den Weg gegeben werden, wobei der Fokus auf den Verbesserungen liegen sollte, die mit der Zeit eintreten.

Aber auch bei Herzinsuffizienz Ein weiterer, häufiger Grund für einen Besuch in der Apotheke ist der Wunsch nach der Unterstützung der Herz-Kreislauf-Funktion. Auch hier können Flavonoide helfen. Insbesondere ein Flavonoidgemisch aus Hyperosid, Vitexinrhamnosid und Rutin hat sich bewährt. Voraussetzung für den Erfolg der Therapie ist das frühzeitige Beginnen spätestens bei der Herzinsuffizienz Stufe zwei nach der „New York Heart Association“ mit der Mindesteinnahme von sechs Wochen.

Die Kontraktilität des Herzens wird verbessert, indem zum einen β-Rezeptoren aktiviert werden und zum anderen eine intrazelluläre Calciumkonzentrationszunahme erreicht wird. Weiterhin kommt es zur Vasodilatation der Koronararterien und einer Verlängerung der Refraktärzeit, die bestimmte Herz-Rhythmus-Störungen wieder ausgleichen kann. Das sind nur einige Aspekte, die eine Kombination dieser Flavonoide bewirken können. Jetzt aber zur Frage nach dem Grapefruitsaft: Der Übeltäter stammt ebenfalls aus der großen Familie der Flavonoide.

Das Aglykon Naringenin gehört zur Untergruppe der Flavanone und hemmt das quantitativ wichtige Cytochrom P450 3A4. Dieses Enzym kommt vor allem in der Leber vor und ist zuständig für den Abbau körperfremder Stoffe. Wird Naringenin in zu großen Mengen durch Verzehr von Grapefruitprodukten oder deren Verwandten wie der Pomelo zu sich genommen, kann es für den Patienten schwerwiegende Folgen haben. Bei Arzneistoffen, die über CYP 3A4 abgebaut werden, steigt der Plasmaspiegel und damit die Gefahr einer Überdosierung.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 01/2022 ab Seite 96.

Manuel Lüke, Apotheker und PTA-Lehrer für Gefahrstoffkunde

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