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Bewegung statt Bettruhe

TURNEN

Geräteturnen erfordert Mut, denn Sprünge aus drei Metern Höhe oder blitzschnelle Rotationen werden unter anderem in dieser Disziplin verlangt. Die Sportart geht mit einem hohen Verletzungsrisiko einher.

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Geräte- und Kunstturnen ist eine dynamische Sportart mit vielen akrobatischen Elementen und zählt zu den olympischen Einzel- und Mannschaftssportarten. Turner benötigen Mut, Selbstbeherrschung, Koordination, Kraft sowie Kondition. Die Übungen werden an bestimmten Turngeräten mit Fokus auf Technik und Haltung ausgeführt: Männer turnen am Boden, an Ringen, am Reck, am Barren oder am Pauschenpferd, während Frauen statt Reck und Barren den Stufenbarren sowie den Schwebebalken benutzen.

Dabei führen sie verschiedene Schwung- und Kraftelemente wie Sprünge, Rollen, Überschläge, Kippen oder Felgen aus. Turnvater Friedrich Ludwig Jahn (geboren am 11. August 1778 in Lanz und gestorben am 15. Oktober 1852 in Freyburg an der Unstrut) gilt als Begründer der deutschen Turnbewegung, die zu Beginn auch politisch motiviert war. Sie entstand mit der Zielsetzung, die Jugend auf den Kampf gegen die napoleonische Besetzung und auf die Rettung Preußens vorzubereiten.

Die gesundheitliche Perspektive Für Mädchen und Jungen empfehlen Sportwissenschaftler Kinderturnen, weil Turnbänke, Ringe, Matten und Sprossenwände zum Hüpfen und Hangeln motivieren und die Sprösslinge dadurch ihre Muskeln aufbauen sowie ihre Bewegungssicherheit und Haltung verbessern. Der leistungsorientierte Turnsport geht allerdings nicht nur mit Vorteilen, sondern auch mit einigen Nachteilen einher: Aufgrund seiner extrem hohen Anforderungen an den Bewegungsapparat gilt Geräteturnen nicht als Gesundheitssport. Wer mit den artistischen und akrobatischen Übungen nicht schon in der Kindheit begonnen hat, tut sich meist schwer, die Übungen im höheren Alter noch zu erlernen.

Die Ankurbelung der Fettverbrennung oder kardiovaskuläre Trainingseffekte sind bei der Sportart nicht zu erwarten, denn bei den Übungen kommt es zu hohen Belastungsspitzen. Auch die Grundlagenausdauer wird durch Turnen nicht gefördert, da die Faktoren Kraft und Schnelligkeit im Vordergrund stehen. Aufgrund der hohen Belastung des Stütz- und Bewegungssystems leiden Turner im Erwachsenenalter häufig unter Rücken-und Gelenkbeschwerden. Auch Bewegungsradien der Gelenke, die über ein normales Maß hinausgehen, sind schädlich für die Gesundheit. Geräteturnen ist grundsätzlich nur für gesunde Menschen geeignet, Personen mit Herzkreislauf-​Erkrankungen, Beschwerden am Bewegungsapparat oder Übergewicht sollten andere Sportarten bevorzugen.

Stabilisierung des Rückens Komplizierte Bewegungsabläufe im Turnen erfordern gute koordinative Fähigkeiten hinsichtlich der Konzentration, der Flexibilität und der Körperbeherrschung. Darüber hinaus unterstützt die Sportart den Muskelaufbau, stärkt die Rumpfmuskulatur und fördert somit eine gute Körperhaltung. Die Muskulatur der Arme und des Schultergürtels sind bei Turnern besonders ausgeprägt.

Nicht unerhebliches Verletzungsrisiko Leider handelt es sich beim Geräteturnen um eine Sportart, die mit einer hohen Verletzungswahrscheinlichkeit einhergeht. Ab und an kommt es zu einer unsanften, missglückten Landung, zum Ausrutschen oder zu Stürzen. Landet der Sportler dann auf dem ausgestreckten Arm, kann beispielsweise eine akute Handgelenkverletzung resultieren. Von Verletzungen sind auch die Knochen der Wirbelsäule sowie die Muskeln, Sehnen oder Bänder der Sprung- und Kniegelenke, des Schultergürtels oder der Arme betroffen. Durch Stürze nach Sprüngen oder nach Abgängen vom Gerät kommt es nicht selten zu Brüchen oder Ausrenkungen. Auch mit leichten Verletzungen wie Zerrungen, Prellungen, Hautabschürfungen oder Blutergüssen müssen die Sportler rechnen. Knöchelverletzungen gehören zu den unerwünschten Begleiterscheinungen von Bodenturnen, Sprüngen und Abgängen von den Geräten.

Die Turnerschulter Das Schultergelenk hat die höchste Beweglichkeit aller menschlichen Gelenke. Aufgrund seiner geringen knöchernen Sicherung ist es jedoch auch das instabilste Gelenk, es wird im Gegensatz zu anderen Gelenken muskulär stabilisiert. Durch diese anatomische Besonderheit ist es anfällig für Verletzungen oder Überlastungssyndrome. Ein berühmtes Beispiel stellt der Turner Fabian Hambüchen dar, der trotz seiner Schulterprobleme eindrucksvolle sportliche Leistungen erbrachte und 2016 bei den Olympischen Spielen in Rio die Goldmedaille holte. Schulterverletzungen entwickeln sich aufgrund der immensen Kräfte, die beim Schwingen an den Geräten entstehen.

Außerdem sind technische Fehler, zu kurze Regenerationsphasen, Ermüdung oder eine unzureichende Vorbereitung auf Wettkämpfe die häufigsten Ursachen für Schulterschmerzen. Meist sind männliche Turnsportler davon betroffen, weil bei ihnen Übungselemente an Geräten wie Barren, Reck, Ringen oder Pauschenpferd im Vordergrund stehen. Sogenannte SLAP-Läsionen, also Risse an der Knorpellippe, die am Schulterpfannenrand verläuft und das Schultergelenk stabilisiert, zählen zu den typischen Verletzungen eines Turners. An der Knorpellippe von Turnern machen sich oftmals auch Verschleißerscheinungen durch Überlastungen bemerkbar, welche zu einer Instabilität des Schultergelenks führen.

Sicherung des Schultergelenks Die Rotatorenmanschette, ein Verbund aus vier Muskeln, gewährleistet unter anderem die Stabilisierung des Oberarmkopfes im Schultergelenk. Bei Stürzen können die Sehnen der Rotatorenmanschette reißen, darüber hinaus sind diese oft von Verschleißveränderungen betroffen.

Regenerative Maßnahmen Bei Verletzungen und Verschleißerscheinungen verordnet der behandelnde Arzt zunächst eine Trainingspause. Insbesondere bei Überlastungsschäden kann eine Optimierung des Turntrainings sowie der Technik sinnvoll sein. Physiotherapeutische Verfahren, Taping, physikalische Therapien (wie beispielsweise Eis oder Ultraschall) sowie die Einnahme von entzündungshemmenden Medikamenten lindern die Beschwerden. Sind die Symptome nach acht bis zwölf Wochen nicht verschwunden, besteht der nächste Behandlungsschritt in einem arthroskopisch operativen Eingriff, der das Schultergelenk einfach und erfolgreich wieder stabilisieren kann. Wichtig ist, mit der Behandlung nicht zu lange zu warten, denn das Aufschieben kann die Beschwerden verschlimmern: Die Gelenkstellung verändert sich durch Schäden an der Muskulatur langfristig und beschleunigt den Knorpelverschleiß.

Turner feiern Alle vier Jahre findet das Deutsche Turnfest, das seit dem Jahr 1860 Tradition hat, in wechselnden Städten Deutschlands statt. Es gehört zu den größten Wettkampf- und Breitensportevents weltweit, hat Festcharakter, aber auch die Wettkämpfe kommen nicht zu kurz. Zusätzlich werden Workshops und Seminare zu den Hauptbereichen des Deutschen Turner-Bundes (DTB) wie Fitness- und Gesundheitssport, Turnen und Kinderturnen ausgetragen. Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) war beispielsweise beim letzten Internationalen Deutschen Turnfest im Jahr 2017 in Berlin mit ihren Kampagnen „Kinder stark machen“ oder „Alkoholfrei Sport genießen“ mit dabei. Das nächste Event wird vom 12. bis 16. Mai 2021in Leipzig ausgetragen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 03/19 ab Seite 128.

Martina Görz, PTA, Psychologin und Fachjournalistin

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