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Krankheiten im Kindesalter

SEHR SELTEN, ABER NICHT AUSGEROTTET

Noch bis in die 1950er Jahren starben Tausende Kinder pro Jahr an der Diphtherie. Heute ist die Erkrankung bei uns aufgrund guter Durchimpfungsraten extrem selten. In anderen Teilen der Welt kommt sie aber weiterhin vor.

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Als „Würgeengel der Kinder“ war die Diphtherie früher auch bei uns gefürchtet: Bei einer Infektion befällt das Corynebacterium diphtheriae vor allem die Schleimhautzellen des Rachens. Es kommt zu einer Entzündung mit Bildung von Belägen, die sich bis zum Kehlkopf und in die Luftröhre ausbreiten können, und zu einer Einengung der Atemwege. Dies wiederum kann Atemnot bis hin zum Tod durch Ersticken zur Folge haben. Eine zentrale Rolle spielt das von den Bakterien produzierte Diphtherie-Toxin, das sich über die Blutbahn auch im Rest des Körpers verbreiten kann. Hier kann es besonders das Herz, die Nerven und die Nieren befallen und schwer schädigen.

Neben der respiratorischen Form kann die Diphtherie auch als Hautdiphtherie in Form von Wunden mit schmierigen Belägen auftreten. In Industrienationen sind davon besonders Obdachlose oder Drogenabhängige betroffen. Der Erreger C. diphtheriae wird ausschließlich von Mensch zu Mensch übertragen, bei Rachendiphterie durch Tröpfcheninfektion, bei Hautdiphtherie durch direkten Kontakt mit dem Wundsekret. Eine Übertragung über kontaminierte Gegenstände ist selten. Zusätzlich zu C. diphtheriae existieren mit C. ulcerans und C. pseudotuberculosis zwei weitere Spezies, die ebenfalls das Diphtherie-Toxin produzieren können. Sie kommen sowohl beim Menschen als auch bei Tieren vor: C. ulcerans hat ein breites Wirtsspektrum, darunter auch Hunde und Katzen, C. pseudotuberculosis tritt bei Ziegen und Schafen auf. Über engen Kontakt kann sich der Mensch infizieren und an Hautdiphtherie erkranken.

Mehr Fälle von Hautdiphtherie Mit der Einführung der Impfung in den 1960er Jahren konnte die damals weit verbreitete Rachendiphtherie hierzulande erfolgreich zurückgedrängt werden. Der letzte Todesfall in Deutschland liegt heute mehr als 20 Jahre zurück. Infektionen treten nur noch sehr vereinzelt und nach Auslandsaufenthalten auf. Allerdings kommt es seit etwa zehn Jahren zu einem Anstieg der Fälle von Hautdiphtherie durch C. ulcerans. Im Jahr 2018 wurden insgesamt 26 Fälle von Diphtherie gemeldet und damit mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Mehr als zwei Drittel davon gingen auf das Konto von C. ulcerans. 25 Patienten waren an Hautdiphtherie erkrankt und einer an Rachendiphtherie. Ein Teil der zusätzlichen Fälle ist vermutlich auf verbesserte Nachweistechnologien sowie auf die seit 2017 neu eingeführte Meldepflicht für C. ulcerans zurückzuführen.

Diagnose und Therapie Die Beläge – die bei dem Versuch, sie zu entfernen, bluten – und der süßliche Geruch aus dem Mund der Patienten sind so typisch, dass sie direkt an eine Diphtherie denken lassen. Um die Diagnose zu sichern, wird der Arzt einen Abstrich aus dem Rachenraum nehmen und die Erreger im Labor anzüchten lassen. Dort kann dann auch mithilfe eines Gen- oder Immuntests das Diphtherie-Toxin nachgewiesen werden. Dies dauert etwa zwei bis vier Tage. Bei Rachendiphtherie ist rasches Handeln essenziell: Betroffene werden isoliert und benötigen bei Verdacht sofort das Diphtherie-Antitoxin, das das im Körper vorhandene, ungebundene Diphtherie-Toxin neutralisiert und unschädlich macht.

Zudem tötet eine ebenfalls sofort begonnene Antibiotika-Behandlung die Bakterien ab, sodass sie kein weiteres Toxin produzieren können. Bei Hautdiphtherie reicht in der Regel eine Antibiotikatherapie. Ohne schnelle Behandlung versterben an Rachendiphtherie etwa 25 bis 40 Prozent der Patienten, doch auch bei sofort begonnener und optimaler Therapie sind es immer noch fünf bis zehn Prozent. In Deutschland ist vorgesehen, dass das Diphtherie-Antitoxin in speziellen Depots als Notfallvorrat eingelagert wird und im Ernstfall sofort verfügbar ist. Allerdings wird es aktuell weltweit nur noch von wenigen Herstellern produziert, die nicht nach hiesigen Qualitätsstandards arbeiten.

Impfung Schutz vor der Erkrankung bietet eine Impfung, die sich gegen das Diphtherie-Toxin richtet. Sie ist Teil der Sechsfach-Impfung, die in Deutschland für alle Säuglinge empfohlen wird. Die Durchimpfungsrate bei Schulanfängern beträgt derzeit rund 95 Prozent. Für Erwachsene wird eine Auffrischung alle zehn Jahre empfohlen. Aber: Nur etwas mehr als die Hälfte aller Erwachsenen in Deutschland verfügt über einen aktuellen Impfschutz. Für sie stehen Kombinationsimpfstoffe mit Tetanus, Pertussis und bei Bedarf Polio zur Verfügung. Während die Gefahr einer Ansteckung hierzulande aufgrund der guten Durchimpfung der Kinder sehr gering ist (Herdenschutz), kann dies im Ausland in Abhängigkeit der lokalen Impfsituation ganz anders aussehen. Vor allem in Teilen der Tropen, Süd- und Osteuropas sowie in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion besteht ein erhöhtes Risiko, sich mit Diphtherie zu infizieren.

Erster Nobelpreis für Medizin Emil von Behring erhielt den ersten Nobelpreis für Medizin, der jemals vergeben wurde, für sein Heilserum gegen Diphtherie. Er hatte beobachtet, dass manche Versuchstiere nicht erkrankten, wenn er sie mit Diphtherie infizierte. Er übertrug sodann das Blut dieser Tiere auf an Diphtherie erkrankte Tiere und konnte sie damit heilen. In der Folge gelang es ihm, in Pferden ein standardisiertes Heilserum herzustellen, mit dem sich an Diphtherie erkrankte Kinder behandeln ließen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/2020 ab Seite 100.

Dr. rer. nat. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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