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Krebserkrankungen

SCHEINBAR PARADOX

Brustkrebs ist eine klassische Volkskrankheit. Was viele aber nicht wissen: Auch Männer können betroffen sein. Die Fallzahlen sind jedoch sehr gering, was für die Patienten große Probleme aufwirft.

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Rund 70 000 Neuerkrankungen an Brustkrebs gibt es jedes Jahr, doch nur etwa 600 bis 700 Fälle betreffen Männer. Sie müssen mit dem Widerspruch leben, eine Volkskrankheit zu haben, die bei ihnen aber nur sehr selten auftritt. Das bedeutet, dass es für sie kaum Forschung, keine eigenen Therapien, kaum Selbsthilfegruppen oder Netzwerke gibt. Hinzu kommt, dass Männern aus einer ungenügend informierten Gesellschaft Ablehnung, Unglauben und Spott entgegenschlägt, wenn sie von ihrer Diagnose berichten. Diese Stigmatisierung belastet die Betroffenen zusätzlich.

Wie wird ein „weiblicher“ Krebs männlich? Warum können Männer überhaupt an Brustkrebs erkranken? Ob ein Mammatumor wächst oder nicht, ist meist hormonabhängig – und zwar vom weiblichen Geschlechtshormon Estrogen. Dieses wird aber auch im männlichen Körper produziert; zwar in geringeren Mengen als bei Frauen, jedoch immer noch auf dem Niveau einer Frau nach den Wechseljahren. Da auch Frauen im höheren Alter noch an Brustkrebs erkranken, gibt es keinen Grund, warum dies bei Männern nicht auch geschehen kann.

Allerdings entstehen bei ihnen nur Tumoren der Milchgänge, da sie im Gegensatz zu Frauen in der Pubertät keine Drüsenlappen entwickeln. Milchgänge, die in jedem Geschlecht bei Geburt angelegt sind, bleiben bei Männern rudimentär erhalten. Da der duktale, also von den Milchgängen ausgehende Krebs, auch bei Frauen über 80 Prozent der Brustkrebsfälle ausmacht, sind somit auch Männer gefährdet. Die geringeren Fallzahlen bei Männern führen Wissenschaftler darauf zurück, dass die Milchgänge bei ihnen nicht so stark ausgeprägt sind, und dass der Estrogenspiegel bei Männern konstant niedrig ist, während er bei Frauen im Laufe des Lebens stark schwankt.

Erhöhtes Risiko Wie Frauen haben auch Männer, die über bestimmte Genmutationen (BRCA-Gene) verfügen, ein erhöhtes Brustkrebsrisiko. Männer, in deren Familie gehäuft Fälle von Brust- oder Eierstockkrebs auftreten, sollten sich daher darauf testen lassen. Meist übernehmen die Krankenkassen diesen Test, wenn man zur Risikogruppe gehört. Eine andere Gruppe, die ein 15- bis 50-fach erhöhtes Brustkrebsrisiko aufweist, sind Männer mit Klinefelter-​Syndrom. Hierbei haben betroffene Männer ein zusätzliches X-Chromosom in den Zellen. Dies führt zu einer geringeren Testosteronproduktion, kleinen Hoden und häufig einem weiblichen Brustansatz. Neben diesen erblich bedingten Risikofaktoren gibt es natürlich – analog zu Frauen – umweltbedingte Risikofaktoren. So können Strahlenexposition, Übergewicht, mangelnde Bewegung und überzogener Alkoholgenuss auch bei Männern das Risiko für Brustkrebs erhöhen.

Knoten auch beim Mann Die Symptome für Brustkrebs sind beim Mann ähnlich wie bei der Frau: Knotige, harte Veränderungen in der Brust, die meist nicht verschiebbar sind, die Form der Brust verändert sich, die Haut oder Brustwarze wirkt eingezogen, entzündliche Stellen an der Brust, die nicht abheilen wollen, Ausfluss aus der Brustwarze. Männer haben zwar den Vorteil, dass sie diese Veränderungen aufgrund der flachen Brust meist schneller entdecken. Jedoch sind sie für solche Symptome nicht sensibilisiert und bringen die Beschwerden daher nicht mit Brustkrebs in Verbindung.

Außerdem kann es bei ihnen auch zu einer Vergrößerung der Brustdrüse (Gynäkomastie) kommen. Diese tritt vor allem im höheren Alter auf, wenn die Spannkraft der männlichen Brust nachlässt, sodass die Gynäkomastie nicht unbedingt auffällig ist. Sie könnte jedoch eine Krebsvorstufe sein. Noch gibt es allerdings nicht genug belastbare Zahlen, um das zu bestätigen, ausschließen kann man es jedoch ebenfalls nicht. Männlicher Brustkrebs wird selten in einem Frühstadium erkannt. Die Prognose ist aber ähnlich wie beim weiblichen Brustkrebs. Je später die Krankheit entdeckt wird, desto geringer die Heilungschancen.

Diagnose und Therapie ähnlich wie bei Frauen Liegt ein Verdacht auf Brustkrebs vor, kann man auch beim Mann eine Mammografie durchführen. Verdachtsdiagnosen müssen jedoch mit einer Biopsie gesichert werden. Die Ausbreitung des Tumors und Gewissheit darüber, ob er bereits gestreut hat, erreicht man mit Hilfe weiterer bildgebender Verfahren. Auch die Therapie orientiert sich daran, wie Brustkrebs bei Frauen behandelt wird. Der Tumor wird operativ entfernt, und zwar inklusive der Lymphknoten. Bei großen Tumoren wird zuvor eventuell eine Chemotherapie durchgeführt, um sie zu verkleinern und so operabel zu machen. Nach der Operation können Bestrahlungen und/oder eine Chemotherapie eingesetzt werden, um ein Rezidiv zu verhindern.

Da der Brustkrebs beim Mann überwiegend hormonabhängig ist, stellt sich die Frage, ob Betroffene auch von einer Antihormontherapie profitieren. Dabei blockieren die Medikamente entweder die Hormon-Rezeptoren (z. B. Tamoxifen, Fulvestrant) oder hemmen die körpereigene Produktion der Hormone (z. B. Aromatasehemmer, GnRH-Analoga) – die Tumore wachsen dann nicht weiter. Tamoxifen scheint als Medikament bei Männern dabei Erfolge zu ermöglichen, wobei man eindeutig sagen muss, dass die Studienlage mit lediglich 16 Patienten hierzu mehr als dünn ist. Bei Männern mit Überexpression des HER2-Gens könnte auch eine Therapie mit dem Antikörper Trastuzumab wirkungsvoll sein.

Die eigene Estrogenbildung des Körpers durch Aromatasehemmer zu unterdrücken ist hingegen beim Brustkrebs des Mannes nicht angezeigt, da sich die Produktion des Hormons dadurch lediglich verlagert, sodass die Hoden mehr davon ausschütten. Um dies zu verhindern, müsste man die komplette Produktion von Sexualhormonen in den Hoden stilllegen. Da dies einen gravierenden Einschnitt in die Sexualität bedeutet und die psychische Belastung für Männer dadurch sehr hoch ist, rät man von dieser Therapie ab, zumal ihre Wirksamkeit durch Studien überhaupt nicht belegt ist.

Zeit, dass sich was dreht In den vergangenen Jahren ist das Thema „Brustkrebs beim Mann“ ein wenig aus dem Schatten der Volkskrankheit „weiblicher Brustkrebs“ herausgetreten. Männer sind mittlerweile an Brustkrebszentren zugelassen. Früher musste dazu die Überweisung eines Gynäkologen erfolgen, für Männer ein schier unüberwindliches Hindernis. Die ersten Selbsthilfegruppen und Netzwerke haben sich gebildet, um Betroffenen nach der beängstigenden Diagnose eine Anlaufstelle zu bieten und bei der Therapiebegleitung zu helfen. Doch immer noch wissen viele Hausärzte nicht genug über die Krankheit, um bei Auffälligkeiten früh genug eine Verdachtsdiagnose zu stellen.

Therapien werden immer noch für Frauen entwickelt und einfach auf die Männer übertragen. Eigenständige Studien nur mit Männern gibt es aufgrund der niedrigen Fallzahlen in Deutschland nicht. Um für den männlichen Brustkrebs jedoch ebenso gute und wirksame zielgerichtete Therapien anbieten zu können wie für den weiblichen, müssten länderübergreifende Studien durchgeführt werden. Nur so können höhere Fallzahlen auch aussagekräftige Ergebnisse liefern. Erste Ansätze dafür gibt es bereits über die EORTC (European Organisation for Research and Treatment of Cancer), die Zahlen von über 1700 männlichen Brustkrebspatienten aus neun Ländern erhebt. Deutschland gehört leider noch nicht dazu.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 07/19 ab Seite 56.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

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