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Drogen

RAUSCHMITTEL ODER EINSTIEGSDROGE?

Jahrtausendelang wurde Cannabis als Arzneimittel eingesetzt, bis es Anfang des 20. Jahrhunderts zur illegalen Droge erklärt wurde. Doch immer noch ist es das am häufigsten konsumierte verbotene Rauschmittel.

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Cannabis ist der Überbegriff für alle Rauschmittel, die aus der Hanfpflanze gewonnen werden. Zum einen sind das getrocknete Blüten und junge Blätter, die getrocknet werden , zum anderen das getrocknete Pflanzenharz (Haschisch, Shit).

Allerdings lassen sich nicht aus allen Hanfpflanzen Rauschmittel extrahieren, sondern nur aus denen, die den nötigen Anteil der stark psychoaktiv wirkenden Substanz Tetrahydrocannabinol (THC) enthalten. Dessen Konzentration ist in der weiblichen, unbefruchteten Hanfpflanze höher, weshalb meist nur solche Pflanzen zur Rauschmittelgewinnung herangezogen werden. Nutzhanf dagegen ist mittlerweile fast wirkstofffrei gezüchtet, sein THC-Anteil beträgt unter einem Prozent.

Rauschmittelrezeptoren In den meisten Fällen wird Cannabis inhaliert, seltener oral aufgenommen. Für die Rauschzustände sind in erster Linie THC und das ebenfalls enthaltene, aber schwächer wirksame Cannabidiol (CBD) verantwortlich. Sie wirken hauptsächlich auf das zentrale Nervensystem, aber auch auf das Immunsystem, indem sie an bestimmte Cannabinoidrezeptoren andocken und sie dadurch aktivieren. Die Effekte auf das Gehirn werden durch die fast nur dort vorkommenden CB1-Rezeptoren vermittelt, die immunmodulatorischen Effekte hingegen durch CB2-Rezeptoren, die sich im ganzen Körper finden.

Die Rezeptoren können auch von körpereigenen Cannabinoiden aktiviert werden, daher bezeichnet man dies auch als Endocannabinoidsystem. Seine Funktion ist noch nicht im Detail geklärt, es scheint aber eine wichtige Rolle in der Schmerz- und Angstverarbeitung sowie bei einigen Bewegungs- und Lernprozessen zu spielen. Ein aktivierter CB1-Rezeptor führt zum Beispiel zu verstärktem Appetit, was die Heißhungerattacken nach dem Genuss von Cannabis erklärt.

Die Zeit verschwimmt Da Cannabis das Kurzzeitgedächtnis beeinflusst, ist eine verzerrte Zeitwahrnehmung typisch für einen solchen Rausch. Durch das THC empfinden ihn die Konsumenten zudem meist als bewusstseinserweiternd. Sie gelangen unter Umständen zu „Scheintiefen“, das heißt, sie glauben erstaunliche philosophische Einsichten zu haben, die sich aber nach dem Rausch als völlig trivial herausstellen. THC wirkt außerdem entspannend, angst- und krampflösend, appetitsteigernd und entzündungshemmend. Das CBD hingegen senkt den Blutdruck und wirkt daher eher sedierend.

Der Joint als Einstieg in eine Drogenkarriere
Hitzig diskutiert wird immer wieder das Thema „Cannabis als Einstiegsdroge“. Natürlich kann das Rauschmittel am Beginn einer Drogenkarriere stehen, allerdings scheinen Umgebung, persönliche Reife und sozialer Druck eine größere Rolle zu spielen als die Droge selbst. Anhänger der Cannabislegalisierungskampagne weisen darauf hin, dass die Droge weniger körperliche Abhängigkeiten und krank machende Auswirkungen aufweist als die legalen Drogen Alkohol und Nikotin. Dass Cannabis als Einstiegsdroge zu werten sei, wurde spätestens 2010 durch eine Studie widerlegt, die Daten der Weltgesundheitsorganisation aus 17 Staaten ausgewertet hatte. Sie kam zu dem Schluss, dass „der Konsum einer Droge nicht automatisch zum Konsum einer anderen“ führt. Hier zu Lande gilt der Konsum von Cannabis nicht als Straftat, ebenso wenig der Besitz für den Eigenbedarf in geringen Mengen. Der Anbau und Vertrieb sowie der Besitz von mehr als 7,5 Gramm THC ist in Deutschland jedoch verboten.

Unter Umständen können die Wirkmechanismen auch ins Negative kippen, sodass aus der Entspannung eine gefährliche Gleichgültigkeit werden kann. Und dass Gefühle viel intensiver erlebt werden, kann natürlich auch auf unangenehme Gefühle zutreffen. Wie Cannabis wirkt, hängt von der persönlichen Verfassung, dem Umfeld und nicht zuletzt von der Wirkstoffzusammensetzung ab.

Der Rauschzustand tritt, je nach Wirkstoffkonzentration und Aufnahmeart, nach einigen Minuten bis Stunden ein und hält meist mehrere Stunden an. Bei gleichzeitiger Aufnahme von Alkohol oder anderen Drogen kann der Rausch bis hin zur Ohnmacht führen. Nikotin ist ebenfalls gefährlich, da das TCH seine Wirkung verstärkt und damit zum Beispiel bei Nichtrauchern schnell eine Abhängigkeit entstehen kann.

Schädigt Cannabis Körper und Psyche? Eine organische Beeinträchtigung selbst ist bisher wissenschaftlich nicht belegt. Das Rauschmittel ist nur mäßig giftig, eine versehentliche Überdosierung so gut wie unmöglich: Ein gesunder Erwachsener müsste mehr als 300 Gramm reines THC verzehren, um die tödliche Dosis zu erreichen. Belegt ist allerdings eine Schädigung der Atemwege durch das Rauchen von Cannabis, was aber auf die giftigen Verbrennungsprodukte zurückzuführen ist.

Nicht von der Hand zu weisen ist die Tatsache, dass Cannabiskonsum zu einer Abhängigkeit führen kann. Diese ist jedoch eher psychischer und nicht körperlicher Art. Darüber hinaus gibt es Beobachtungen, dass Menschen mit einer bestimmten genetischen Veranlagung ein erhöhtes Risiko haben, durch Cannabiskonsum eine Schizophrenie zu entwickeln.

Cannabis auf Rezept Der Einsatz in der Medizin hat eine lange Tradition. Die Inder wandten es schon vor über 2500 Jahren bei Epilepsie an. Im Mittelalter verwendete man es in Europa auch bei Atemwegsbeschwerden, Rheuma sowie als Schlafmittel. Bei der Bekämpfung von Schmerzen gilt Cannabis als Vorgänger des Aspirins. Cannabis wurde zwar 1929 in Deutschland verboten, in den Apotheken bekam man es bis in die 1950er-Jahre aber immer noch auf Rezept.

In den vergangenen Jahren besann man sich wieder mehr auf die heilende Kraft der Cannabinoide. Mediziner verweisen schon lange auf Anwendungsbeobachtungen, die Linderung der Beschwerden bei Krebs, Multipler Sklerose, Tourette-Syndrom, HIV oder chronischen Schmerzen dokumentieren. Viele Betroffene haben ihre Beschwerden wie beispielsweise Appetitlosigkeit, Schmerzen oder Ticks mit Cannabis besser im Griff, teilweise sogar ohne dass es bei ihnen zu einer Rauschwirkung kommt.

Da Cannabis auch antiemetisch wirkt, kann es Übelkeit zum Beispiel bei Krebstherapien verringern. Offiziell ist Cannabis als Medizin hier zu Lande immer noch verboten, lediglich synthetische Abkömmlinge können seit 1983 verschrieben werden. Doch im Jahr 2009 gab es für sieben Patienten eine Ausnahmegenehmigung der Bundesopiumstelle: Sie durften mit Cannabis aus der Apotheke behandelt werden.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 04/13 ab Seite 116.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

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