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Einsamkeitsstudie

NICHT NUR ÄLTERE LEIDEN

Die coronabedingten Kontaktbeschränkungen haben vielen Menschen ein einsames Frühjahr beschert. Gleich mehrere Studien haben dieses Phänomen untersucht – mit überraschendem Ergebnis.

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Professor Dr. Sonia Lippke leitet die Abteilung für Gesundheitsmedizin und Verhaltenspsychologie an der Jacobs University Bremen. Ihr Team hat im Juni im Auftrag von Weleda über tausend Bundesbürger nach ihren Erfahrungen während der Coronapandemie befragt und die Ergebnisse wissenschaftlich ausgewertet. Vor allem die Themen Einsamkeit, Mehrfachbelastung und Stressempfinden waren für die Forscher interessant, aber auch Familienleben, Entschleunigung und Naturverbundenheit. Besonders erstaunlich: Es sind nicht vorranging die älteren Menschen, die sich durch die Kontaktverbote im Frühling einsamer gefühlt haben. Vor allem junge Menschen zwischen 18 und 29 litten unter der Zurückgezogenheit.

Ganze 62 Prozent gaben an, sich mindestens einmal pro Woche allein gefühlt zu haben. Zum Vergleich: Bei den 50- bis 59-Jährigen waren es nur 30 Prozent, bei den Senioren 35 Prozent. Wichtig ist bei dieser Betrachtung die Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten von Einsamkeit: Soziale Isolation ist ein objektiver Zustand. Jemand ist faktisch von anderen Menschen abgeschieden. Wie er oder sie dies bewertet, wird hiermit noch nicht ausgedrückt. Einsamkeit ist das subjektive Empfinden der Abgeschiedenheit – auf negative Art und Weise. Einsamkeit wird mit Traurigkeit verbunden und bedrückend wahrgenommen. Alleinsein hingegen ist subjektiv die positive Kehrseite der Abgeschiedenheit. Der sozial Abgeschiedene hat Zeit für sich, kann konzentriert Hobbys nachgehen oder in Ruhe lernen. In den sozialen Medien wird dies oft als „Me-Time“ bezeichnet.

Gestresst hingegen waren vor allem Erwachsene zwischen 30 und 39, in der „Rush Hour of Life“ (RHOL): Sie waren von der Mehrfachbelastung zu Hause überfordert. Homeoffice, Homeschooling, Haushalt – dies belastete die RHOLer so sehr, dass viele unter Unruhe und Ängsten oder auch Kopf- und Bauchschmerzen litten. „Gleichzeitig macht sich sicher auch die Sorge um die Zukunft bemerkbar – jüngere Menschen haben eben auch noch mehr Zeit vor sich, die es gilt, mit all ihren Herausforderungen in Bezug auf die eigene Karriere oder soziale Dinge wie Umweltschutz oder die Sorge um jüngere und ältere Mitmenschen zu bewerkstelligen“, ergänzt Lippke. Ganze 57 Prozent dieser Bevölkerungsgruppe gaben an, aus dem Rhythmus geraten zu sein. Übrigens: Von den Menschen im Homeoffice fühlten sich 47 Prozent gestresst, während es unter den auswärts arbeitenden lediglich 32 Prozent waren. Die Mehrheit war auch oft in Sorge. Zu den quälendsten Befürchtungen gehörten die Angst, Familie und Freunde könnten sich mit dem Coronavirus infizieren (45 Prozent), Zukunftsängste (44 Prozent) und die Befürchtung, an Freiheiten einzubüßen (33 Prozent), immerhin noch mehr als ein Fünftel der Befragten fürchtete sich auch, die Tagesstruktur zu verlieren.

Bedeutung im Apothekenalltag Menschen, die unter der Belastung durch die Pandemie leiden, sind potenziell offen für Ihre Empfehlungen, mit denen sie das Stressempfinden der Betroffenen lindern können. Rezeptfreie Arzneimittel können dazu beitragen, dass Ihre Kunden tagsüber die geistige Balance wahren, oder abends den Schlaf anstoßen und so über Nacht für Erholung sorgen. Denn immerhin 60 Prozent der Befragten gaben an, seit dem Frühjahr Schwierigkeiten beim Einschlafen zu haben. Die Studie zeigte auch, dass vier von fünf Menschen Wert auf Arzneimittel natürlichen Ursprungs legen – überhaupt ist die Natur vielen wichtiger geworden. Gerade pflanzliche Beruhigungsmittel bieten hier also viele Möglichkeiten. Melisse, Hopfen, Baldrian, Passionsblume, Lavendel oder auch Johanniskraut können Sie allein oder in Kombination je nach Beschwerden und Begleitmedikation der Kunden gut empfehlen.

Fazit Insgesamt gab jeder fünfte Befragte an, dass die Pandemie ihn stark oder sogar sehr stark belaste. Die gute Nachricht: Viele haben aus der ungewohnten Situation gelernt. Sie nahmen sich bewusst Freiräume, gingen in die Natur (58 Prozent) – die bei immerhin elf Prozent der Befragten schon auf dem eigenen bepflanzten Balkon beginnt, für mehr als zwei Drittel jedoch erst außerhalb der Stadt. 54 Prozent der sehr jungen Leute haben das Aus-dem-Fenster-Schauen für sich entdeckt! Auch Projekte im eigenen Zuhause wie Renovierungen oder Bastelarbeiten nahmen die Hälfte der Menschen in Angriff.

Lippke nennt diesen Effekt „Benefit-Finding“. Viele haben die kleinen Dinge und ihr soziales Umfeld wieder mehr zu schätzen gelernt. Nur bei einem kleinen Anteil kam es durch die viele Nähe zu Hause zu Auseinandersetzungen. Weit über die Hälfte hingegen spricht mehr miteinander, ist enger zusammengewachsen, gibt sich mehr Halt. Und wer dies erlebte, fühlte sich auch weniger einsam.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/2020 ab Seite 64.

Gesa Van Hecke, PTA/Redaktionsvolontärin

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