Mann mit Brille © Ridofranz / iStock / Thinkstock
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Repetitorium

MÄNNERGESUNDHEIT – TEIL 1

Jahrelang stand in der medizinischen Forschung Frauengesundheit im Vordergrund. Doch allmählich wird auch der Mann in der medizinischen Wissenschaft „entdeckt“. Im Zuge der demographischen Entwicklung gewinnt das Thema zusätzlich an Bedeutung.

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XY gefährdet ihre Gesundheit! Der Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter vermutete bereits 1973, dass weniger das biologische Geschlecht(sex) als vielmehr das soziale Geschlecht (gender) – also die Identifikation mit den gesellschaftlich erwarteten Geschlechterrollen – für den Hauptunterschied im Gesundheitsverhalten und damit letztlich auch die Gesundheit von Mann und Frau sorgen könnten. Unterschiedliche Arbeits- und Lebensbedingungen hätten Auswirkungen auf Krankheitsverläufe, könnten sogar zu spezifischen Krankheiten führen – so sein Credo. Tatsächlich paart sich im Mann Veranlagung (biologisch gegebenes und körperlich beschreibbares Geschlecht, etwa Anatomie, Morphologie, Physiognomie, Hormone und Chromosomen – „sex“) und Verhalten (durch soziale Prozesse erworbene und auf das Geschlecht bezogene Verhaltensweisen, Eigenschaften und Interessen – „gender“) mit daraus resultierender Sorglosigkeit.

Insgesamt tragen biologische, soziale und kulturelle Faktoren geschlechtsspezifisch zur Gesundheit bei. Die biologisch-genetischen Erklärungsansätze sind dabei noch am ehesten nachvollziehbar. Sie machen sich vor allem bei Krankheiten bemerkbar, die mit dem Reproduktionssystem und den sekundären Geschlechtsmerkmalen zusammenhängen. Also beispielsweise sexuelle Funktionsstörungen (Potenz, Erektionsstörungen, Problematik der Unfruchtbarkeit), aber auch Prostatakarzinome. Hinzu kommen vererbte Krankheiten, die an das X-Chromosom gebunden sind (beispielsweise Farbenblindheit, Bluterkrankheit) und daher bei Frauen seltener ausbrechen als bei Männern.

Denn sie verfügen ja über zwei X-Chromosomen und können den Defekt, wenn er nur auf einem liegt, ausgleichen. Allerdings konnten biologische Gründe nur für ein Jahr Lebenserwartungsunterschied zwischen Männern und Frauen ausgemacht werden. Das haben Untersuchungen bei Nonnen versus Mönchen, also bei Menschen, die nahezu identische Lebensbedingungen aufweisen, gezeigt. Indirekt beeinflussen vor allem Sexual-, Stress- und Schilddrüsenhormone (wie Testosteron, Cortisol und Thyroxin) auch die Verhaltensweisen von Männern und Frauen und damit ebenfalls ihr Gesundheitsverhalten.

Soziale und kulturelle Prägung – vor allem in der Zeit des Heranwachsens (Adoleszenz) – gesellschaftliche Vorstellungen und Bildungsstand kommen dazu. Hinzu kommt auch die allgemein höhere Risikobereitschaft im Straßenverkehr und im Arbeitsleben, beim Sport sowie im Sozialverhalten. Risikound Gewaltbereitschaft sind allerdings nach neuesten Erkenntnissen auch weniger genetisch bedingt, sondern vielmehr Folge von Erziehung und Sozialisierung. Zu guter Letzt: Nach ihrem Gesundheitszustand befragt, bezeichnen Männer diesen tatsächlich viel häufiger als Frauen als gut oder sehr gut.

Diese subjektive Wahrnehmung stimmt mit den statistisch erhobenen Daten leider in keinster Weise überein. Es existiert also ein „Gender-Paradox“ – Männer sind objektiv kränker, fühlen sich aber gesünder. Sie hören also nicht so stark in sich hinein, nehmen Symptome nicht als relevant wahr, bewerten und kommunizieren sie anders. Gesundheits- und Risikoverhalten sind eng mit Rollenerwartungen verbunden. Rollenverständnis (Männerbild), Erwartungshaltung, Sozial- und Lebenslage sind hier wohl genauso mitentscheidende Faktoren.

Arzneimittel: Geschlechtsspezifische Unterschiede Nicht zuletzt sind – da Hormonstatus und psychosoziale Unterschiede zwischen den Geschlechtern offenbar eine große Rolle spielen – auch in der Arzneimittelwirkung und in der Arzneimitteltherapie geschlechtsspezifische Unterschiede auszumachen. Eine Binsenweisheit: Der Arzneimittelverbrauch hängt von Alter und Geschlecht ab. Männer bekommen jedoch durchschnittlich mehr als 20 Prozent weniger Arzneimittel verordnet als Frauen. Bemerkenswert ist, dass im Alter bis zehn Jahren der Anteil noch relativ ähnlich ist, die Jungen sogar ein ganz klein wenig häufiger Medikamente erhalten.

Ab dem zehnten bis zum 60. Lebensjahr verändert sich das Verteilungsmuster jedoch deutlich – zugunsten der Frauen. Lediglich bei antithrombotischen Mitteln sowie bei Lipidsenkern sind deutlich höhere Verschreibungen bei Männern als bei Frauen auffällig. Die individuelle Ansprechbarkeit auf Arzneimittel wiederum hängt von pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Faktoren ab. Jedem ist einleuchtend, dass Körpergröße, Muskelmasse, Fett- und Wassergehalt sowie Sexualhormone Einfluss haben. Da Männer mehr Muskel- und Wasseranteil aufweisen, sind bei lipophilen Arzneimitteln Wirkungen und Nebenwirkungen im Regelfall kürzer beziehungsweise nicht so stark ausgeprägt.

Sie können sich nicht im gleichen Maße wie bei Frauen im Fettgewebe anreichern. Bei hydrophilen Arzneistoffen ist es umgekehrt. Klinisch relevant ist dies beispielsweise bei Benzodiazepinen (lipophil). Auch die Enzymausstattung und -aktivität ist zwischen Mann und Frau durchaus unterschiedlich, was auch bei der Verstoffwechslung wiederum eine Rolle spielt: So weisen Männer bei gleicher Metoprolol-Dosis im Vergleich zu Frauen eine deutlich niedrigere Herzfrequenz- und Blutdrucksenkung auf. Acetylsalicylsäure wird bei Männern ebenfalls deutlich schneller metabolisiert als bei Frauen. Opioide Analgetika wirken bei Männern weniger stark als bei Frauen. Umgekehrt scheint Ibuprofen bei Männern besser zu wirken als bei Frauen.

Aufklärung tut Not! Zurück zum Gesundheitsverhalten: Der riskantere Gesundheitsumgang von Männern ist insgesamt auch auf fehlendes Bewusstsein für die Zusammenhänge zwischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Bluthochdruck und erhöhten Blutfettwerten auf der einen und Ernährung, Bewegung, Rauchen, Trinken und anderen Suchtverhalten auf der anderen Seite zurückzuführen. Was ist gesund? Was macht eher krank? Jegliche fachärztliche Ausrichtung Richtung Männergesundheit/-krankheit ist dünn gesäht. Urologen, Andrologen bringt die Bevölkerung am ehesten mit diesem Themengebiet in Zusammenhang. Aber in der Prävention, in der aufklärenden Beratung, der Frage nach Hilfestellung spielt die Apotheke als erste Anlaufstelle einer immer bedeutendere Rolle.

Kompetente und sichere Beratung hilft, eine intensive Kundenbindung aufzubauen. Denn Gesundheitszeitschriften für Männer boomen zwar seit Jahren – doch in vielen geht es nur um vermeintliche Sextipps oder die sichere Ausbildung eines Waschbrettbauchs. Für ernstere Themen holen sich primär ältere Herrschaften dann doch lieber seriöse Information in der Apotheke. Im ersten Repetitoriumsteil wurde vordringlich erst einmal die „Statistik“, die Epidemiologie, näher betrachtet sowie was eigentlich „typisch Mann“ ist. Die weiteren Repetitoriumsteile gehen stärker auf „Männerprobleme“ ein, inklusive der „typischen Männerkrankheiten“.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/17 ab Seite 86.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin

„Männergesundheit – Teil 1”

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