© Digital Vision / iStock / Getty Images

Anti-Aging

LÄNGER LEBEN – ABER WIE?

Wir werden zwar immer älter, unsere maximale Lebensspanne scheint jedoch bei etwa 120 Jahren zu liegen. Wissenschaftler arbeiten daran, den Alterungsprozess mit Medikamenten hinauszuzögern.

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Das Altern ist ein dynamischer Prozess, bei dem sich in unserem Körper degenerative Veränderungen häufen. Das führt zu Organfehlfunktionen und irgendwann zum Tod. Als primäres Altern bezeichnet man dabei den Alterungsprozess, der dem Organismus anhaftet, wie etwa die abnehmende Funktion der Mitochondrien oder die zunehmende Fehlerhaftigkeit der Zellteilung. Beim sekundären Altern hingegen wird der Verfallsprozess durch äußere Einflüsse wie Krankheiten oder ungesunden Lebensstil beeinflusst. Ziel der seriösen Anti-​Aging-Medizin ist es, das primäre Altern zu beeinflussen. Denn Volkskrankheiten wie Morbus Alzheimer, Krebs, Herzinfarkt oder Schlaganfälle sind zum größten Teil altersassoziiert. Doch wieso altern wir überhaupt?

Oxidativer Stress In den 1950er Jahren entdeckte der US-amerikanische Biogerontologe Denham Harman besonders aggressive Sauerstoff- und Stickstoffmoleküle. Sie entstanden auf natürliche Weise als Stoffwechselprodukte, aber auch durch schädliche Umwelteinflüsse. Harman stellte fest, dass diese oxidativen Substanzen, die er „freie Radikale“ nannte, Zellmembranen zerstören konnten. Mittlerweile weiß man, dass sie auch Proteine und die Erbsubstanz schädigen können.

Den freien Radikalen sagte man den Kampf mit antioxidativen Therapien an, zum Beispiel durch die hochdosierte Gabe der Vitamine A, C und E. In Studien konnte die Wirksamkeit der antioxidativen Therapien jedoch nicht als Schutz vor Krankheiten wie Krebs nachgewiesen werden. Im Gegenteil: Einige Studien zeigten sogar, dass die überdosierte Gabe der Vitamine das Risiko für einige Krebsarten erhöhte. Trotzdem ist die Theorie der Antioxidanzien noch lange nicht vom Tisch. Neuere Forschungen zeigen, dass Radikalfänger wie Vitamine und sekundäre Pflanzenstoffe nicht als Einzelsubs- tanzen, sondern als Netzwerk gesehen werden müssen.

Sinkender Hormonspiegel Im Alter nimmt die Produktion vieler Hormone ab. Wissenschaftler fragten sich: Nehmen die Hormone ab, weil wir altern, oder altern wir, weil die Hormonproduktion abnimmt? Daraus entwickelte sich die Hormonersatztherapie. Ihr bekanntester Vertreter ist die Estrogentherapie für Frauen nach den Wechseljahren. Diese zeigte langfristig jedoch erschreckende Ergebnisse: Anstatt einen Herzinfarkt zu verhindern, steigerte sie das Risiko fast um das Dreifache und erhöhte auch die Gefahr für Thrombosen und Krebs. Selbst wenn sich die Zahlen ein wenig relativieren, sobald man sie auf Alters- und Risikogruppen herunterbricht, gilt doch mittlerweile, dass sich eine generalisierte Hormonersatztherapie nicht als Anti-Aging-Maßnahme eignet.

Eingebaute Zeitschaltuhr Die als Fibroblasten bezeichneten Bindegewebszellen des Menschen können sich nur etwa 60 Mal teilen, danach sterben sie ab. Als Ursache wurden die Telomere, die „Endkappen“ der Chromosomen, identifiziert. Diese sich wiederholenden (repetitiven) DNA-Sequenzen werden mit jeder Zellteilung immer weiter verkürzt, bis keine weitere Mitose mehr möglich ist. Da alle Zellen des Körpers Telomere besitzen, könnte dies eine Erklärung dafür sein, dass unser Leben endlich ist. Bei bestimmten, sich häufig teilenden Zellen, wie etwa Stammzellen, kann das Enzym Telomerase die Telomere jedoch wieder verlängern. Die Idee: Könnte man die Telomerase in allen Körperzellen einschalten, würden sie nicht mehr altern. Doch in der Praxis hat diese Theorie einen großen Haken – denn Telomerase verhindert auch den programmierten Zelltod von entarteten Zellen. Die Methode könnte so als schreckliche Nebenwirkung Krebs fördern.

Chronische Entzündungen Seit den 1990er Jahren forscht man vermehrt an chronisch-​entzündlichen Prozessen als Ursache für das Altern. Danach sollen vor allem niedrigschwellige, sehr lang anhaltende Entzündungsprozesse für den physischen und kognitiven Verfall verantwortlich sein. Entzündungshemmer könnten daher auch als Anti-Aging-Medikamente wirken.

Signalkaskaden Bestimmte Proteine sind besonders eng mit dem Alterungsprozess verknüpft. Sie beeinflussen Signalkaskaden, die für zelluläre Stoffwechselprozesse und damit unser Energielevel zuständig sind. Eine wichtige Rolle bei ihrer Regulation spielen dabei vor allem mTOR (mechanistic target of rapamycin), der insulinähnliche Wachstumsfaktor IGF, sowie eine bestimme Gruppe von Enzymen, die Sirtuine. Im Tierversuch zeigte sich: Eine Kalorienreduzierung um 30 Prozent beeinflusst diese Signalwege derart, dass es zu einer Lebensverlängerung um 50 Prozent kommt.

Man geht davon aus, dass die Ergebnisse der Tierversuche zur Kalorienreduktion prinzipiell auch auf den Menschen übertragbar sind. Jedoch ist es in unserer vom Übergewicht geplagten Gesellschaft schon schwierig, dass Menschen überhaupt ihr Normalgewicht halten. Ihnen eine 30-prozentige Kalorienreduktion aufzuerlegen, scheint illusorisch. Daher setzt man auf Medikamente, die diese Wirkung imitieren können. Zurzeit sind zwei davon im Gespräch: NMN und Metformin.

Coenzym NAD+ Im Alter sinkt der Spiegel an Nikotinamid-Adenin-Dinukleotid (NAD+) in unserem Körper. Dieses Coenzym ist aber für die Sirtuin-Aktivität unabdingbar. Verabreichte man Mäusen die NAD+-Vorstufe NMN (Nikotinamidmononukleotid), entwickelten sie weniger Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen, Osteoporose und Morbus Alzheimer. Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet. Seit 2016 läuft daher in Japan die erste klinische Studie zu NMN als Anti-Aging-Medikament.

Neue Wunderpille? Eine weitere Studie mit 3000 Probanden, die seit 2016 in den USA durchgeführt wird, untersucht den Nutzen von Metformin als Anti-Aging-Medikament. Tierversuche haben gezeigt, dass es eine Diät imitieren kann, indem es den IGF-Signalweg herunterregelt und mTOR hemmt. Metformin beeinflusst zudem entzündliche Prozesse positiv und gilt als Radikalfänger. Positive Ergebnisse der NMN- und Metformin-Studien könnten einen Paradigmenwechsel in der Medizin bedeuten. Dann würden wir zukünftig nicht mehr die altersbedingten Krankheiten bekämpfen, sondern in den Alterungsprozess eingreifen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 07/19 ab Seite 108.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

×