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HRA Pharma | Expopharm-Rückblick

REZEPTFREIE MINIPILLE AUCH IN DEUTSCHLAND?

Ein barrierefreier Zugang zu sicheren Verhütungsmitteln – das wird für Frauen in den USA schon bald Wirklichkeit. Denn die FDA hat im Juli der Zulassung der ersten rezeptfreien Antibabypille zugestimmt. Ab 2024 wird dort eine östrogenfreie Minipille frei erhältlich sein. In Großbritannien fand bereits 2021 der OTC-Switch einer Minipille mit dem Wirkstoff Desogestrel statt. Das Arzneimittel wird dort unter dem Handelsnamen Hana® vertrieben. Ob ein entsprechender Switch auch in Deutschland sinnvoll wäre, diskutierten Expert:innen im Rahmen einer Podiumsdiskussion mit anschließendem Expertengespräch auf der diesjährigen Expopharm in Düsseldorf.

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Weltweit ist fast die Hälfte aller Schwangerschaften ungeplant.1 Auch in Deutschland sind trotz der zunehmenden Nutzung von Verhütungsmitteln in den letzten 20 Jahren und einer breiten Palette von Verhütungsmethoden laut Statistischem Bundesamt etwa ein Drittel der Schwangerschaften in Deutschland zum Zeitpunkt der Empfängnis ungewollt, was 103 927 amtlich veranlassten Abtreibungen entspricht, Tendenz steigend.2 „Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie wichtig Aufklärung und ein barrierefreier Zugang zu sicheren Verhütungsmitteln für die reproduktive Selbstbestimmung auch in Deutschland sind“, so Cosima Bauer, Politikwissenschaftlerin.

Rezeptpflicht stellt Hürde dar

Im internationalen Vergleich schneidet Deutschland im Hinblick auf den barrierefreien Zugang zu Verhütungsmitteln schlechter ab: Hier benötigt man sowohl für Kombinationspräparate als auch für die östrogenfreie Minipille ein Rezept. In den USA wurde in diesem Jahr durch die FDA der Zulassung der ersten rezeptfreien Minipille zugestimmt. Im Vereinigten Königreich ist die Minipille mit dem Wirkstoff Desogestrel schon seit 2021 für alle Frauen leicht zugänglich rezeptfrei verfügbar.

Doch ist die Rezeptpflicht tatsächlich eine Hürde? In einer Studie mit 1000 Frauen im gebärfähigen Alter in Deutschland gaben 55 Prozent der Frauen an, dass die Verschreibungspflicht den Zugang zu Verhütungsmitteln behindert (lange Wartezeiten, Zeitmangel für das Wahrnehmen von Terminen, Aufwand für die Beschaffung von Verhütungsmitteln, die Möglichkeit, die bevorzugten Verhütungsmittel zu bekommen, zu häufige Arzttermine).3

Darüber hinaus gaben 35 Prozent der Frauen, die derzeit in Deutschland orale Kontrazeptiva verwenden, an, dass der Zugang zu ihrer Pille unterbrochen wurde, weil sie nicht in der Lage waren, rechtzeitig ein Rezept zu erhalten. Auch aus Sicht deutscher Apotheker: innen stellt die Rezeptpflicht beim Zugang zu hormonellen Kontrazeptiva das größte Hindernis für Frauen dar, wie die Studie zeigt.

Desogestrel – das geeignetste orale Kontrazeptivum?

2021 wurde in Großbritannien der Zugang zu Kontrazeptiva durch den OTC-Switch einer Desogestrel-Minipille erleichtert. Desogestrel-Minipillen sind die am häufigsten verwendeten Minipillen in Europa.4 Während herkömmliche Minipillen in erster Linie durch die Verdickung des Zervixschleims wirken, um das Eindringen von Spermien zu verhindern, besteht die primäre Wirkungsweise von Desogestrel-Minipillen in der Hemmung des Eisprungs.5

Im Hinblick auf die Unterdrückung des Eisprungs sind sie gleich wirksam wie Kombinationspillen.5 Desogestrel-Minipillen weisen darüber hinaus weniger relative Kontraindikationen auf als Kombi-Pillen und haben das gleiche 12-Stunden-Fenster für die tägliche Pilleneinnahme.5

„Sie sind für eine breitere Gruppe von Frauen geeignet, wie zum Beispiel auch Frauen mit einer Kontraindikation oder Unverträglichkeit gegenüber Östrogenen, einschließlich stillender Frauen“, so Prof. Mandy Mangler, Chefärztin der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum und dem Vivantes Klinikum Neukölln in Berlin. Neben dem leichteren Zugang sprechen damit das gute Risikoprofil sowie die nachgewiesene Verträglichkeit der Minipille mit Desogestrel für eine rezeptfreie Abgabe in der Apotheke.6,7

Sind deutsche Apotheker:innen bereit für den OTCSwitch der „Pille“?

„Natürlich sind wir bereit für die Beratung zu einer rezeptfreien Minipille. In der Apotheke haben Fragen zu Verhütungsmethoden sowieso in letzten Jahren zugenommen, seitdem diese insbesondere auf Social-Media-Plattformen stärker diskutiert werden“, so Iris Blaschke, Apothekerin und Gründungsmitglied der „Denkfabrik Apotheke“.

Dass deutsche Apotheken insgesamt bereit für einen Switch sind, untermauern auch die Umfragezahlen: Zwei Drittel der im Rahmen der Studie befragten Apotheker:innen (67 %) stehen einem OTC-Switch der Minipille positiv gegenüber. Vor der rezeptfreien Abgabe wäre es ihnen allerdings wichtig, zusätzliche Schulungen zu erhalten, um die eigene Beratungsleistung zu optimieren.

Regelmäßige Fortbildungen haben auch nach dem OTC-Switch der „Pille danach“ dazu beigetragen, dass diese heute souverän in der Apotheke abgegeben wird. An diese positiven Erfahrungen anknüpfend würde die Mehrheit der Befragten (69 %) ihren Kund:innen nach entsprechender Schulung die rezeptfreie Minipille empfehlen.

Fazit: 

  • Auch in Deutschland ist ein niederschwelliger Zugang zu sicheren Verhütungsmethoden sinnvoll.
  • Desogestrel-Minipillen sind die am häufigsten verwendeten Minipillen in Europa und sind im Hinblick auf die Unterdrückung des Eisprungs gleich wirksam wie Kombinationspillen. Dabei weisen sie weniger relative Kontraindikationen auf und haben das gleiche 12-Stunden-Fenster für die tägliche Pilleneinnahme. Darüber hinaus sind sie für eine breitere Gruppe von Frauen geeignet (Frauen mit einer Kontraindikation oder Unverträglichkeit gegenüber Östrogenen, einschließlich stillender Frauen, Frauen mit Übergewicht, sowie Raucherinnen).
  • Deutschlands Apotheker:innen stehen einem OTC-Switch positiv gegenüber.

1 Vereinte Nationen. State of World Population 2022. Verfügbar unter: https://www.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/EN_SWP22%20report_0.pdf. Abgerufen am 28.09.2023.
2https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Schwangerschaftsabbrueche/_inhalt.html. Abgerufen am 05.09.2023.
3 Arisi E et al. The views of women and pharmacists on the desirability of a progestogen-only pill over the counter. Results of a survey in Germany, Italy and Spain. Eur J Contracept Reprod Health Care. 2022; 27 (6): 494–503.
4 Marktzahlen 2011–2021. Daten: IQVIA Commercial GmbH & Co. OHG; Sell out Juni 2011 bis Juni 2021.
5 Rice C et al. Ovarielle Aktivität und vaginale Blutungsmuster mit einem Desogestrel-only-Präparat in drei verschiedenen Dosierungen. Hum Reprod 1996; 11: 737–740.
6 Faculty of Sexual & Reproductive Healthcare (FSRH), Progestogen-only pills, POP, method-specific guidance, March 2015 (Amended April 2019), https://www.fsrh.org/standards-and-guidance/documents/cec-ceu-guidancepop-mar-2015/. Abgerufen am 28.09.2023.
7 SmPC section 4.8: Undesirable effects. Verfügbar unter: https://www.medicines. org.uk/emc/product/12735/smpc#gref-. Abgerufen am 28.09.2023.

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