Hände mit roten Schleifen © Vasyl Dolmatov / iStock / Thinkstock
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Repetitorium

HIV UND AIDS – TEIL 1

HIV hat mittlerweile den Status einer chronischen Erkrankung erlangt und einiges von seinem Schrecken verloren. Dennoch bedeutet ein Leben mit der Infektion weiterhin für viele Ausgrenzung, Stigmatisierung und Ablehnung.

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Anfang der 1980er Jahre wurden in den USA die ersten Fälle einer bis dato unbekannten Krankheit bekannt, die vor allem junge, homosexuelle Männer zu betreffen schien. Das überdurchschnittlich gehäufte Auftreten von Kaposi-Sarkomen (Tumorerkrankung mit typischen braun-bläulichen Flecken auf Haut und Schleimhäuten), schweren Pilzinfektionen, die zu einer Lungenentzündung mit nicht seltener Todesfolge führten, stürzte Ärzte ins Rätselraten und die breite Bevölkerung in Unsicherheit und Angst. Warum erkranken plötzlich so viele im Grunde gesunde junge Menschen an Krankheiten, die bei einem intakten Immunsystem gar keine Chance hätten?

Ein paar Jahre versetzt traten dann auch die ersten Fälle in Europa und somit auch in Deutschland auf. Durch Beobachtungsstudien wurde schnell klar, dass auch heterosexuelle Personen von Infektionen betroffen waren – gehäuft unter Empfängern von Blut-Transfusionen und Drogenabhängigen. Dies ließ eine zusätzliche parenterale Übertragungsweise vermuten. Der Schrecken musste endlich einen Namen bekommen.

Anfänglichen reißerischen, vor allem in den Medien verwendeten Beschreibungen wie „Gay Related Immune Deficiency“ oder „Gay People’s Immuno Deficiency Syndrome“ setzte das CDC (Centers for Disease Control and Prevention), eine US-amerikanische Bundesbehörde, die in etwa mit dem deutschen Robert-Koch-Institut zu vergleichen ist, die bis heute gültige Bezeichnung Acquired Immune Deficiency Syndrome (erworbenes Immunschwächesyndrom) mit der Abkürzung AIDS entgegen. Nach Angaben von UNAIDS, einem Projekt der Vereinten Nationen, das verschiedene HIV/AIDS-Pandemien überwacht und deren Bekämpfung koordiniert, haben sich seit den ersten registrierten Fällen ungefähr 78 Millionen Menschen mit dem HI-Virus infiziert und geschätzte 35 Millionen sind an den Folgen AIDS-assoziierter Krankheiten gestorben.

In Deutschland geht das Robert Koch-Institut für das Jahr 2016 von etwa 3100 Neuinfektionen aus, wobei sich der Anteil der durch heterosexuelle Kontakte entstandenen Infektionen vergrößert hat – seit 2010 kann eine Verdopplung der Zahlen auf etwa 750 Neuinfektionen festgestellt werden. Einen ähnlichen Anstieg zeigt das Modell auch bei Personen mit Drogenkonsum, die Zahl der Neuinfektionen durch homosexuelle Kontakte ist wiederum etwas rückläufig (von 2500 auf etwa 2100). Rund 460 Menschen starben 2016 mit oder an HIV.

Insgesamt lebten Ende 2016 in der Bundesrepublik etwa 88 400 Menschen mit HIV, leider wissen ungefähr 12 700 von ihnen nicht, dass sie infiziert sind. Mit diesen Zahlen gehört Deutschland im europäischen und weltweiten Vergleich zu den Ländern mit der niedrigsten Prävalenz (Krankheitshäufigkeit). Daher ist es kaum verwunderlich, dass ein HIV-Patient nicht alltäglich in der Apotheke auftritt, am wenigsten außerhalb städtischer Ballungszentren. Umso wichtiger ist es, sich noch einmal mit dem Virus, dem aktuellen Stand der Therapie und den Vorsorgemaßnahmen zu beschäftigen.

Das Virus 1983 gelang es Françoise Sinoussi-Barré und Luc Montagnier das mysteriöse Virus zu isolieren und erstmalig zu beschreiben. Bei dem Humanen Immundefizienz-Virus, dem Menschlichen Immunschwäche-Virus oder kurz HIV handelt es sich um ein behülltes Retrovirus. Das bedeutet, dass die Erbinformation in Form von RNA vorliegt und erst in DNA umgeschrieben werden muss, bevor sie in das Genom der Wirtszelle eingebaut werden kann. Diesen Vorgang bezeichnet man auch als reverse Transkription. Woher das Virus stammt, weiß man bis heute nicht genau.

Als gesichert gilt mittlerweile, dass sein Ursprung nicht in den 80er Jahren in den USA liegt. Virusbestandteile und Antikörper konnten bereits in der Blutprobe eines kongolesischen Mannes aus dem Jahr 1959 festgestellt werden. Man geht davon aus, dass das Virus oder ein entsprechender Vorgänger, von Tieren, wahrscheinlich Affen, auf den Menschen übertragen wurde. Bisher sind zwei Arten bekannt: HIV-1 und HIV-2. Beide können allerdings noch in verschiedene Gruppen und Subtypen unterschieden werden.

Von HIV-1 gibt es zum Beispiel zurzeit vier bekannte Untergruppen, die in M, N, O und P unterteilt werden. Rund 90 Prozent aller HIV-Infektionen werden durch Viren der Gruppe M (major group, Hauptgruppe) verursacht. Diese lässt sich wiederum in neun Subtypen unterteilen: A, B, C, D, F, G, H, J und K. In Deutschland ist HIV-1 aus der Gruppe M, Subtyp B vorherrschend, während weltweit HIV-1, Gruppe M Subtyp C und Subtyp A die meisten Infektionen auslösen. HIV-2-Infektionen kommen vor allem in Westafrika vor, in Deutschland sind beispielsweise nur ungefähr 100 Menschen betroffen, wobei eine Doppelinfektion mit beiden Arten nicht selten ist.

Der Infektions- und Krankheitsverlauf ist bei beiden sehr ähnlich, wobei bei HIV-2-Infektionen eine geringere Viruslast nachweisbar ist, weniger Wirtszellen betroffen sind und der Krankheitsverlauf dementsprechend etwas langsamer voranschreitet. Der Viruspartikel an sich, der außerhalb einer Wirtszelle als Virion bezeichnet wird, ist von einer Lipiddoppelschicht umgeben, aus der ungefähr 10 bis 15 Spikes (Dornen) hervorschauen und das Virus ein bisschen wie eine Mine aussehen lassen.

Sie dienen dem Andocken und Fusionieren mit der Wirtszelle und tragen daher bestimmte Oberflächenstrukturen (Glykoprotein-Komplexe), die mit den Rezeptoren und Zielstrukturen der Wirtszelle interagieren. Im Inneren befindet sich das virale Genom in Form von zwei RNA-Strängen, die an sogenannte Nukleokapsidproteine gekoppelt sind. Diese schützen das Genom beim Eindringen in die Wirtszelle vor Schäden.

Eingeschlossen wird die RNA durch eine Kapsidhülle, eine zusätzliche Membran innerhalb des Viruspartikels. Ebenfalls in dem Kapsid befinden sich die reverse Transkriptase und die Integrase, zwei für die Virusreplikation bedeutende Enzyme. Die Protease, ein weiteres wichtiges Enzym bei der Partikelvermehrung, findet sich im gesamten Virion. Im Vergleich zu anderen Viren, ist ein HIV-Partikel recht groß – dennoch hätten auf einem Millimeter circa 10 000 HI-Viren Platz.

Vermehrung Sobald das Virion in den menschlichen Körper, seinen einzigen Wirt, gelangt ist, beginnt es systematisch mit der Suche nach passenden Wirtszellen zur Vermehrung. Seine Spikes tragen dabei spezielle Oberflächenmerkmale für CD4-Rezeptoren. Zu den CD4-positiven Zellen, die also einen CD4-Rezeptor auf ihrer Oberfläche präsentieren, zählen bestimmte Vertreter des Immunsystems: T-Helferzellen, Monozyten und Makrophagen, wobei HIV bevorzugt T-Helferzellen infiziert.

Die Spitze der Spikes dockt in einem ersten Schritt an die CD4-Rezeptoren an und verschmilzt mit Hilfe von Co-Rezeptoren der Wirtszelle mit deren Zellmembran (Fusion). Das anschließende Uncoating beschreibt das Einschleusen des Viruskapsids und des Zellinhaltes in die Wirtszelle, die Lipiddoppelmembran wird dabei abgestreift. In der Abwehrzelle befinden sich nun alle für die Virusreplikation wichtigen Informationen: das zu vermehrende Erbgut (RNA), die reverse Transkriptase, die Virus-RNA in DNA umschreibt und die Integrase, welche die umgeschriebene DNA dann in den Zellkern und dort in die Wirts-DNA einschleust.

Einmal integriert übernimmt nun die Wirtszelle die ganze Vermehrungs-Arbeit und beginnt auch sogleich mit der Herstellung zahlreicher Kopien der Virus-DNA, die im Folgenden zur Bildung neuer Proteinbausteinen, also Virusbausteinen führt (Transkription, Translation). Um alle Bausteine wieder zu neuen Viren zusammenzusetzen, bringt das Virion ein weiteres Werkzeug mit in die Wirtszelle: die Protease. Mit Hilfe des Enzyms können neue Viruspartikel zusammengebaut und aus der Zelle ausgeschleust werden (Knospung).

Da die Abwehrzelle mit der Virusvermehrung beschäftigt ist, wird sie anderen Erregern gegenüber unaufmerksam und die Kompetenz des Immunsystems nimmt nach und nach ab. Durch seinen ausgeklügelten Vermehrungsmechanismus schafft HIV eine hohe Evolutionsrate – Influenza-Viren bilden beispielsweise weltweit in derselben Zeit nicht einmal halb so viele neue Unterarten wie HIV in einem einzelnen infizierten Menschen.

Infektionsverlauf – HIV-positiv und AIDS Wird nicht medikamentös eingegriffen, zeigt das Immunsystem durch das HI-Virus ausgelöste stetig zunehmende Funktionsverluste. Direkt nach der Infektion folgt eine Phase mit hoher Replikationsrate. Das bedeutet, während die Zahl der funktionsfähigen CD4-Zellen noch nicht stark fällt beziehungsweise sogar noch einmal etwas ansteigt (Immunantwort), sind sehr viele Viruskopien nachweisbar (akutes HIV-Syndrom). In dieser Zeit, meist weniger als vier Wochen, fühlt sich der Betroffene „grippig“, leidet unter Nachtschweiß, Fieber und Gelenkschmerzen.

Die Viruslast (Gesamtzahl der Viruskopien) sinkt danach wieder vorübergehend ab und kann mit sehr wenigen nachweisbaren Kopien im Körper ausharren, der Betroffene fühlt sich gesund (Latenzzeit). Gleichzeitig nimmt allerdings die Zahl der CD4-positiven Zellen kontinuierlich ab. Nach mehrjähriger klinischer Latenz treten dann erste AIDS-assoziierte Symptome auf. Dazu zählen beispielsweise Fieber, Durchfälle, Gewichtsabnahme, Herpes-Infektionen oder periphere Neuropathien (Kribbeln, Brennen und Schmerzen vor allem in den Extremitäten) ohne andere ersichtliche Gründe.

Diese Phase wird auch als AIDS-related Komplex bezeichnet, eine Art mild verlaufende Vorstufe des Stadiums AIDS, bei der eine hohe Viruslast nachweisbar ist und die jahrelang bestehen kann. Treten dann bestimmte opportunistische Krankheiten auf, also solche, die ein immunkompetenter Mensch mühelos abschmettern könnte, spricht man nicht mehr länger von „HIV-positiv“ sondern von „AIDS-krank“. An dieser Stelle hat das Immunsystem seinen Dienst aufgegeben und beispielsweise Toxoplasmose, Lungenentzündungen, Tuberkulose oder verschiedene Pilzerkrankungen bedrohen ab sofort das Leben des Betroffenen.

Wird der Virus-Befall frühzeitig erkannt und therapeutisch behandelt, kann man auch unter einer HIV-Infektion ein fast normales Leben mit vergleichbarer Lebenserwartung führen. Es hat sich gezeigt, dass ein frühzeitiges Eingreifen, am besten zum Zeitpunkt des akuten HIV-Syndroms, die besten Chancen auf einen verlangsamten Krankheitsverlauf zeigt. Zudem sinkt die Gefahr, weitere Menschen zu infizieren.

Infektionsquellen Vorab sei gesagt, dass eine Infektion mit dem Virus vergleichsweise schwierig ist. Mit Erkältungs-, Grippe- oder Windpocken-Viren steckt man sich zum Beispiel viel leichter an. Dies liegt zum einen an der hohen Virusmenge, die in den Körper gelangen muss, um eine Infektion auszulösen. Zum anderen ist das HI-Virus außerhalb des Körpers nur sehr kurz lebensfähig und reagiert gegenüber Umwelteinflüssen sehr empfindlich. Eine frühere potenzielle Ansteckungsquelle wurde seit Einführung bestimmter Testmethoden auf das HI-Virus nahezu eliminiert: Blutkonserven und –produkte.

2010 schätzte man die Gefahr durch eine Blutspende mit dem Virus infiziert zu werden nur noch auf ungefähr 1 zu 4,3 Millionen. Und auch wenn HIV in geringen Mengen auch in Urin, Kot, Speichel, Schweiß und Tränen vorkommt, besteht bei Küssen, Händeschütteln, Anhusten oder dem gemeinsamen Nutzen von Handtüchern oder Hygieneartikeln keine Ansteckungsgefahr. Fast 90 Prozent aller Infektionen geschehen durch ungeschützten Geschlechtsverkehr jeglicher Praxis.

Dabei birgt jedoch Analverkehr das größte Risiko, da die Darm-Schleimhaut besonders gut HI-Viren aufnimmt und diese auch enthält. Neben einer Übertragung während der Geburt oder des Stillens durch eine HIV-positive Mutter (ohne medikamentöse Therapie beziehungsweise ärztlicher Überwachung), stellt auch das Benutzen gemeinsamer Spritzen und Nadeln eine hochrisikoreiche Infektionsquelle dar. Trotz preisgünstigem Zugang zu sterilen Nadeln ist HIV in der Drogenszene weiterhin von Relevanz.

Stigmatisierung und Kampagnen „Schwulenseuche“, „Gefahr von drüben“, „nicht aus dem gleichen Glas trinken“ – zu viele Mythen und Vorurteile kursieren auch heute noch durch die Gesellschaft. Zusammen mit Un- oder Halbwissen ergeben sich Ausgrenzungen und die Diskriminierung betroffener Menschen. Seit September 1983 macht sich die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. für diese Menschen stark. Auf die Initiative der Krankenschwester Sabine Lange und des Verlegers Bruno Gmünder wurde zusammen mit dem Jurist und Schwulenaktivist Stefan Reiß ein Verein zur Aufklärung und Information gegründet, der sich gegen die drohende Unterdrückung homosexueller Lebensweisen richten sollte.

Heute fungiert die Deutsche AIDS-Hilfe als Dachverband von rund 130 Organisationen und Einrichtungen in Deutschland. Ihr Engagement gilt der Interessenvertretung aller HIV-infizierten Menschen in Politik und Gesellschaft. Zusammen mit HIV-positiven Menschen wurden Aktionen wie das „Projekt Sprungbrett – Buddy finden“ entwickelt. Erst vor kurzem HIV-positiv-Getestete werden dabei an Menschen vermittelt, die schon länger mit der Infektion leben und ihnen als Ansprechpartner für alle Fragen rund um die Diagnose zur Seite stehen.

Es handelt sich nicht um psychologische oder medizinische Fachkräfte – im Gespräch kann der „Neue“ aber an der Lebenserfahrung seines Buddys teilhaben. Durch das Projekt wird die Lücke zwischen dem Zeitpunkt des Testergebnisses und der Zuwendung zu einer professionellen Beratungsstelle geschlossen. Seit 1988 wird zudem jedes Jahr am 1. Dezember der Welt-AIDS-Tag begangen, um aktiv zu werden im Umgang mit den Themen HIV und AIDS und um Solidarität gegenüber Infizierten zu zeigen. In Deutschland arbeiten hierfür das Bundesministerium für Gesundheit, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die Deutsche AIDS-Hilfe und die Deutsche AIDS-Stiftung zusammen.

Durch Kampagnentitel wie „positiv zusammenleben“, „Mit HIV kann man heute leben. Mit Diskriminierung nicht“ oder „Leben und leben lassen, Ausgrenzung abwehren“ zeigt sich, was bis heute weltweit Betroffene bewegt: aus Unwissen und Vorurteilen resultierende Ablehnung und mangelnde Akzeptanz. Scham und Angst bewirken zusammen mit den Auswirkungen der Therapie auf das alltägliche Leben, dass Infizierte nicht selten ihre Krankheit verdrängen, Medikamente absetzen oder nachlässig einnehmen. Dabei ist eine konsequente Einhaltung der medikamentösen Therapie die Basis für die Aufrechterhaltung des Immunsystems und damit für ein verlangsamtes Fortschreiten der Erkrankung. Erfahren Sie im zweiten Teil dieses Repetitoriums alles zum aktuellen Stand der Therapie, Einnahmehinweisen, Wechselwirkungen und unerwünschten Wirkungen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/18 ab Seite 86.

Farina Haase, Apothekerin

Anlaufstellen und Informationen

Betroffene sind kurz nach der Diagnose oft überfordert mit der Situation und ziehen manchmal noch nicht einmal Familie und Freunde ins Vertrauen. Die folgenden Adressen stellen Anlaufstellen dar, geben aber auch Informationen und Aufklärung rund um HIV und Co. – auch für Apothekenmitarbeiter.

www.aidshilfe.de
www.aids-stiftung.de
www.unaids.org
www.hiv.de
www.iwwit.de
www.kompetenznetz-hiv.de
www.hivandmore.de

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