© AndreyPopov / iStock / Getty Images

Schwangerschaft und Stillzeit

FOLSÄURE STATT PILLE

Eine ausreichende Versorgung mit Folat beziehungsweise Folsäure ist vom ersten Tag der Schwangerschaft an wichtig, um gravierende gesundheitliche Folgen für das ungeborene Kind zu vermeiden.

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Die meisten Nährstoffe werden in der Schwangerschaft bei ausgewogener und abwechslungsreicher Ernährung in ausreichender Menge aufgenommen. Schwierig ist allerdings die adäquate Zufuhr mit Folat, einem Vitamin aus dem B-Komplex. Der Bedarf an dem wasserlöslichen Vitamin lässt sich in der Regel in der Schwangerschaft nicht allein über die Nahrung decken, weshalb Fachgesellschaften allen Schwangeren raten, zusätzlich Supplemente mit Folsäure einzunehmen.

Folatversorgung kritisch Folat, auch unter der Bezeichnung Vitamin B9 bekannt, übernimmt im Organismus in Form von Tetrahydrofolat zahlreiche lebenswichtige Aufgaben als Coenzym. Es wird vor allem beim Zellwachstum und der Zellteilung, der Blutzellbildung im Knochenmark (Hämatopoese) und dem Aufbau der Erbsubstanz (DNA) benötigt. Damit steigt der Bedarf an Folat in der Schwangerschaft infolge der Vergrößerung des Uterus, der Anlage der Plazenta, der Zunahme der mütterlichen Erythrozytenzahl und aufgrund des embryonalen Wachstums. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) berücksichtigt in ihren Empfehlungen den erhöhten Bedarf in der Schwangerschaft und empfiehlt Schwangeren, täglich 550 Mikrogramm (μg) Folat alimentär aufzunehmen.

Das ist fast die doppelte Menge, die Jugendlichen und Erwachsenen mit 300 μg Nahrungsfolat pro Tag angeraten wird. Auch Stillende benötigen mehr Folat, da das Vitamin an die Milch abgegeben wird. Ihnen wird eine tägliche Zufuhr von 450 μg Nahrungsfolat empfohlen. Eine Versorgung mit natürlichem Folat ist allerdings schwierig. Laut Nationaler Verzehrsstudie II erreichen 86 Prozent der (nicht-schwangeren) Frauen die empfohlene Folatmenge über die normale Ernährung nicht. Die DGE geht davon aus, dass in Deutschland die Folatzufuhr mit im Mittel etwa 200 μg pro Tag unter der empfohlenen Zufuhr liegt.

Nahrungsfolat kommt zwar in zahlreichen tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln vor. Eine natürliche Quelle sind vor allem grüne Blattgemüse wie Spinat, worauf sich auch der Name Folat (lat. folium = Blatt) bezieht. Ebenso sind andere grüne Gemüsesorten (z.B. Brokkoli, Rosen-, Grünkohl, Spinat) gute Lieferanten und auch Tomaten, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse, Sprossen, Weizenkeime, Orangen, Kartoffeln, Leber und Ei enthalten reichlich Folat. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die meisten zu wenig Folat mit der üblichen Kost aufnehmen. Zudem ist das B-Vitamin besonders licht- und hitzeempfindlich, sodass ein Großteil an Folat bereits durch Lagerung/ Überlagerung und die Zubereitung zerstört wird.

Rechtzeitig supplementieren Die Schwangerschaft stellt eine besonders kritische Phase der Folatversorgung dar. Vor allem in den ersten Tagen nach der Empfängnis brauchen die Eizelle und das sich entwickelnde Kind aufgrund des raschen Wachstums besonders viel Folat. Ein Folatmangel in der Frühschwangerschaft ist die häufigste Ursache für angeborene Fehlbildungen des Neuralrohrs, der ersten Entwicklungsstufe des zentralen Nervensystems. Das zentrale Nervensystem wird in den ersten vier Schwangerschaftswochen (zwischen dem 22. und 28. Tag nach Empfängnis) angelegt. Zu diesem frühen Zeitpunkt der Schwangerschaft muss die Vorstufe für Gehirn und Rückenmark geschlossen werden. Ist der Rückenmarkskanal dann noch offen, schließt er sich auch in der nachfolgenden Zeit der Schwangerschaft nicht mehr.

Folge sind schwere Missbildungen. Liegen die Spaltbildungen im Bereich des Kopfes, resultiert ein teilweises oder komplettes Fehlen des Gehirns (Anenzephalus). Die Kinder sind meist nicht lebensfähig oder schwere körperliche und geistige Behinderungen sind die Folge. Betreffen die Fehlbildungen Wirbelsäule und Rückenmark, liegt ein offener Rücken (Spina bifida) vor. Die Kinder sind dann in der Regel geistig normal entwickelt, aber körperbehindert. Zu geringe Folatspiegel erhöhen beim Ungeborenen nicht nur das Risiko für Neuralrohrdefekte. Ebenso treten häufiger Herzfehler oder Lippen-Kiefer-Gaumenspalten auf und es werden ein verringertes Geburtsgewicht sowie Spontanaborte und Frühgeburten damit in Verbindung gebracht.

Viele Frauen wissen in den ersten Wochen der Schwangerschaft noch gar nicht, dass eine Befruchtung stattgefunden hat. Daher wird Frauen, die schwanger werden möchten, zur Prävention von embryonalen Fehlbildungen geraten, frühzeitig auf eine adäquate Zufuhr an Nahrungsfolat zu achten beziehungsweise Folsäure bereits präkonzeptionell, also bereits vor der Befruchtung in Form von Supplementen einzunehmen. Optimal wäre es, wenn Frauen mit Kinderwunsch gleich nach dem Absetzen der Verhütungsmaßnahmen eine Supplementation mit dem B- Vitamin starten würden – frei nach dem Motto „Folsäure statt Pille“.

In einigen Ländern ist zur Vorbeugung von Neuralrohrdefekten der Zusatz von Folsäure zu Getreideprodukten wie Mehl und Brot vorgeschrieben.

Präparate mit synthetischer Folsäure Folsäure, die zur Supplementierung eingesetzt wird, kommt selbst nicht ursprünglich in der Natur vor, sondern ist ein Kunstprodukt. Es ist eine synthetische Substanz ohne Vitaminfunktion. Erst im Organismus wird sie enzymatisch in die eigentlichen vitaminwirksamen Folatverbindungen überführt. Dabei ist 5-Methyl-Tetrahydrofolat (5MTHF) mit circa 98 Prozent der quantitativ wichtigste Metabolit beim Menschen. Fachgesellschaften raten, spätestens vier Wochen vor Beginn der Schwangerschaft zusätzlich zur normalen Ernährung täglich 400 μg Folsäure einzunehmen. Untersuchungen zeigen allerdings, dass die gegenwärtigen Empfehlungen zum Erreichen optimaler Erythrozytenfolatspiegel meist nicht ausreichen.

Vielmehr ist eine höhere Dosierung von 800 μg nötig, um den gewünschten Wert innerhalb der angestrebten Zeit zu erzielen. Inzwischen ist es auch üblich, mit einer höheren Dosierung von 800 μg zu beginnen, um bereits präkonzeptionell präventiv wirksame Erythrozytenfolatspiegel aufzubauen. Zudem hat es sich durchgesetzt, diese Dosierung in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen fortzuführen und dann ab der 13. Woche bis zum Ende der Stillzeit die Dosis auf 400 μg zu reduzieren. Frauen, die bereits mit einem Kind schwanger waren, das einen Neuralrohrdefekt hatte, haben ein 10- bis 20-fach erhöhtes Risiko, wieder Kinder mit einer derartigen Fehlbildung auszutragen.

Ihnen wird angeraten, vor einer erneuten Schwangerschaft präventiv hochdosiert Folsäure zu substituieren. Als Empfehlung gilt, täglich vier bis fünf Milligramm (mg) Folsäure über den gleichen Zeitraum einzunehmen. Neben reinen Folsäure-Supplementen sind auch Präparate auf dem Markt, die neben Folsäure bereits die körpereigene Vitaminform 5-MTHF enthalten. Von diesen Präparaten können Frauen profitieren, die aufgrund einer Enzymvariante nicht ausreichend biologisch aktives Folat aus synthetischer Folsäure bilden können.

Folsäure für ihn Aber nicht nur Frauen sollten an Folsäure denken. Auch Männer mit Kinderwunsch können profitieren. Die B-Vitamine B9 (Folsäure), B6 und B12 spielen eine wichtige Rolle bei der Regulation des Homocystein-Stoffwechsels. Sie helfen, die Homocystein-Menge auf einem normalen Niveau zu halten. Da ein Zuviel an Homocystein die Qualität und Menge der Spermien beeinträchtigen kann, lässt sich über eine ausreichende Folsäureversorgung bei Männern die Spermienentwicklung und -qualität positiv beeinflussen und damit die Fruchtbarkeit verbessern.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 01/19 ab Seite 82.

Gode Chlond, Apothekerin

×