Frau sitzt vor Toilette © KittisakJirasittichai / iStock / Getty Images
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Antidote

ERBRECHEN ODER BESSER NICHT?

Soll man bei einer Vergiftung Erbrechen auslösen? Und wenn ja, wie? Darf man einem Vergifteten im Notfall den Finger in den Hals stecken? Welche Maßnahmen in welchem Fall richtig sind, erfahren Sie hier.

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Für einige Gifte gibt es spezielle Gegenmittel, die auch dann noch wirksam sind, wenn die Giftwirkung schon eingesetzt hat. Manchmal besteht die einzige Chance aber darin, das Gift möglichst schnell auszuscheiden. Alle Maßnahmen, die dazu führen, dass ein Gift aus dem Organismus entfernt wird und, wenn möglich, gar nicht in den systemischen Kreislauf gelangt, werden als Giftelimination bezeichnet. Prinzipiell wird zwischen primärer und sekundärer Giftelimination unterschieden.

Primäre Giftelimination Hierzu zählen alle Maßnahmen, die eine Giftresorption verhindern. Es sind unspezifische Maßnahmen, die logischerweise zeitnah zur Giftaufnahme erfolgen müssen – ehe das Gift resorbiert und damit in der Blutbahn angekommen ist. Beim provozierten Erbrechen wird aktiv Erbrechen ausgelöst, indem das Brechzentrum medikamentös stimuliert wird. Es stellt eine echte Alternative zur Magenspülung dar. Als Sofortmaßnahme kann es unmittelbar nach der oralen Giftaufnahme in einem Zeitfenster von bis zu 60 Minuten eingesetzt werden. Allerdings besteht eine hohe Aspirationsgefahr. Aspirieren bedeutet, dass es während des Erbrechens zur Inhalation von Erbrochenem kommen kann. Dabei können zusätzlich die Luftwege in Mitleidenschaft gezogen werden oder es kann sogar zur Erstickung kommen.

Ausgelöst wird provoziertes Erbrechen daher nicht von Ersthelfern, sondern vom Arzt. Bei Vergiftungen ist in jedem Fall ein Notarzt zu rufen. Bei Erwachsenen wird mit der intravenösen Applikation von Apomorphin über eine Stimulation von Dopamin-D2-Rezeptoren im Brechzentrum Emesis ausgelöst. Apomorphin ist bei Kindern unter sechs Jahren kontraindiziert. Insbesondere für Kinder steht Ipecacuanha-Sirup zur Verfügung. Die Alkaloide Emetin und Cephaelin sind die wirksamen Bestandteile darin, die in ausreichender Konzentration zur lokalen Stimulation der Vagusfasern in der Magenschleimhaut und damit zum Erbrechen führen. Ipecacuanha-Sirup kann nach der NRF-Vorschrift 19.1. Brecherregender Sirup – Sirupus emeticus – hergestellt werden und enthält etwa 1,4 Milligramm (mg) Ipecacuanha-Alkaloide, berechnet als Emetin, pro Milliliter.

Die Dosierung des Sirups nach NRF beträgt für Kinder von einem bis anderthalb Jahren 10 Milliliter (ml), für Kinder von anderthalb bis zwei Jahren 15 ml, für Kinder von zwei bis drei Jahren 20 ml, für Kinder über drei Jahren sowie für Erwachsene 30 ml in 100 bis 200 ml Wasser oder Fruchtsaft. Bei allen Vergifteten, unabhängig vom Alter, ist die Gabe einer konzentrierten Kochsalzlösung oder die mechanische Reizung mit einem Finger, der in den Hals gesteckt wird, absolut ungeeignet! Provoziertes Erbrechen, auch durch den Arzt, ist außerdem kontraindiziert bei Vergiftungen mit Säuren oder Laugen, weil hierdurch Mund und Speiseröhre erneut verätzt werden. Auch bei einer Tensidvergiftung durch Spülmittel oder andere schäumende Substanzen ist die Aspirationsgefahr extrem hoch und provoziertes Erbrechen darf auch hier nicht ausgelöst werden.

Handelt es sich bei den Vergifteten um Personen, die bewusstseinsgetrübt oder bereits bewusstlos sind oder sich im Schockzustand befinden, ist provoziertes Erbrechen ebenfalls kontraindiziert. Gleiches gilt für Säuglinge. Aufgrund ihrer großen Oberfläche können Adsorbenzien bei direkten Kontakt viele Giftstoffe anlagern, also adsorbieren. Der gebundene Giftstoff kann nicht mehr resorbiert werden und verbleibt bis zur Ausscheidung im Magen-Darm-Trakt. Die Giftresorption kann damit zum größten Teil verhindert werden. So wirkt beispielsweise medizinische Kohle, die auch als Aktivkohle oder Carbo medicinalis bezeichnet wird. Gewonnen wird dieser reine Kohlenstoff aus Pflanzen.

Wenn die Aktivkohle zeitnah nach der oralen Giftaufnahme, also unmittelbar nach dem Verschlucken, verabreicht wird, kann sie am effektivsten wirken. Sie gilt als Universalantidot, weil sie sehr viele verschiedene Substanzen binden kann. Die orale Gabe erfolgt als Suspension in Wasser und muss in einer Dosierung von 0,5 bis 1Gramm pro Kilogramm Körpergewicht (1g/kg Körpergewicht) erfolgen. Die Kohle entfaltet ihre adsorbierende Wirkung vor allem bei lipophilen Substanzen. Bei Vergiftungen mit sehr hydrophilen Stoffen wie anorganischen Salzen, Säuren, Laugen oder Alkohol ist sie wenig wirksam oder ganz unwirksam.

Nach circa 30 Minuten sollte sich zusätzlich die Gabe eines salinischen Abführmittels wie Glaubersalz oder Bittersalz anschließen, damit die gebundenen Giftstoffe möglichst schnell ausgeschieden werden. Nachteilig ist der Einsatz der Aktivkohle, wenn für die Diagnose eine Magenspiegelung nötig ist, da durch ihre schwarze Farbe eventuelle Ätzspuren im Magen verdeckt werden und so die Verletzungen nicht mehr gesehen werden können. Die Magenspülung wird selbstverständlich von einem Arzt durchgeführt, stellt jedoch für den Patienten eine schwere psychische Belastung dar. Es erfolgt hier die Gabe von lauwarmer, physiologischer Kochsalzlösung bis zur Gesamtmenge von 20 bis 60 Litern. Mit einem Magenschlauch werden Einzelportionen von 150 bis 300 ml verabreicht.

Diese Maßnahme ist bei bewusstlosen Personen oder solchen, die sich im Schock befinden, nicht durchführbar. Ebenso ist sie bei oralen Säure- oder Laugen-Vergiftungen sowie bei Vergiftungen mit Tensiden kontraindiziert. Eine schnelle Darmentleerung kann durch Gabe von osmotisch wirksamen Laxanzien erreicht werden. Diese Maßnahme ist bei Vergiftungen möglich, wenn das Gift den Magen bereits passiert hat und es damit für das Auslösen von Erbrechen oder die Magenspülung zu spät wäre. Auch sie kann jedoch nur in einem engen Zeitfenster wirksam werden und muss deshalb erfolgen, bevor das Gift aus dem Darm resorbiert wurde. Hierfür steht neben Lösungen von Natriumsulfat (Glaubersalz) Sorbit-Lösung zur Verfügung.

Sekundäre Giftelimination Ist die Giftresorption bereits erfolgt, greifen Maßnahmen zur Beschleunigung der Giftelimination. Die verschiedenen Maßnahmen richten sich nach den Stoffeigenschaften des Giftes sowie nach der Vergiftungsart. Bei der Hämodialyse wird das Blut mit Heparin versetzt, um die Blutgerinnung zu unterbinden und die Fließfähigkeit während der Dialyse zu garantieren. Mit Hilfe einer Dialyseflüssigkeit wird das Blut extrakorporal, also außerhalb des Körpers, mittels einer Dialyseapparatur gereinigt und dem Körper wieder zugeführt. Im Falle der Hämoperfusion werden verschiedene, speziell vorbereitete Adsorbentien eingesetzt.

Das heparinisierte Blut wird extrakorporal über diese Adsorbentien geleitet, schrittweise gereinigt und dem Körper wieder zugeführt. Bei der therapeutischen Plasmapherese wird mithilfe eines Plasmapheresegerätes das patienteneigene Plasma aus dem Blut abzentrifugiert und durch eine Substitutionslösung ersetzt. Diese enthält diverse Elektrolyte, Puffersubstanzen und Albumine oder ein Frischplasmakonzentrat und simuliert körpereigenes Plasma. Die Methode wird bei solchen Giften durchgeführt, die eine hohe Plasmaeiweißbindung zeigen. Die forcierte Diurese wird eingesetzt, wenn der Giftstoff oder dessen Metabolite hydrophil genug sind, um renal ausgeschieden zu werden.

Durch die intravenöse Gabe von Schleifendiuretika, vorwiegend Furosemid, die parallel zur Infusion einer Kochsalz-Lösung erfolgt, soll eine Steigerung der renalen Elimination erreicht werden. Bei der Austauschtransfusion findet eine alternierende Blutentnahme zur Infusion gleicher Blutmengen aus Blutkonserven statt. Besonders lipophile Substanzen können verstärkt durch Unterbrechung des entero-hepatischen Kreislaufs ausgeschieden werden. Unter dem entero-hepatischen Kreislauf versteht man das mehrfache Zirkulieren einer Substanz zwischen Darm, Pfortader, Leber und Gallenblase. Das bedeutet, die Substanz, die aus dem Darm über die Pfortader in die Leber und dann mit der Gallenflüssigkeit wieder in den Darm gelangt ist, wird in tieferen Darmabschnitten teilweise oder ganz rückresorbiert und erneut in die Leber transportiert.

Physiologisch dient der entero-hepatische Kreislauf der Rückresorption von Gallensäuren, Bilirubin, Cholesterin und Vitamin B12. Aber auch Giftstoffe können in diesem Kreislauf zirkulieren. Durch die wiederholte Gabe von Aktivkohle oder Colestyramin wird er unterbrochen. Diese Maßnahme kann bei Vergiftungen mit tricyclischen Antidepressiva, herzwirksamen Glykosiden, indirekten Antikoagulanzien oder bei Knollenblätterpilzvergiftung angewandt werden. Bei einer Intoxikation mit gasförmigen Substanzen, beispielsweise mit halogenierten Kohlenwasserstoffen, oder Giften, die gasförmige Metabolite bilden, kann zur Steigerung der pulmonalen Elimination eine Hyperventilation ausgelöst werden. Der Atemluft wird hierbei Carbogen zugesetzt. Das ist Luft, die mit fünf Prozent CO2 angereichert wurde. Beim Einatmen dieses Luft-Carbogen-Gemisches steigt der Kohlendioxid-Gehalt im Blut an und löst somit eine Erhöhung der Atemfrequenz aus. Der gasförmige Giftstoff kann somit schneller exhaliert werden.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/19 ab Seite 90.

Bärbel Meißner, Apothekerin

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