Junges Paar © KatarzynaBialasiewicz / iStock / Thinkstock
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Junge Krebspatienten

DIE FRUCHTBARKEIT ERHALTEN

Jährlich erkranken bei uns etwa 15 000 junge Menschen zwischen 18 und 39 Jahren an Krebs. Die notwendige Behandlung kann die Fruchtbarkeit schädigen. Doch oft ist es möglich, Vorsorge zu treffen.

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Krebs in jungen Jahren: Für Betroffene und ihre Familien ist die Diagnose ein riesiger Schock. Sie macht Angst, wirft unzählige Fragen auf, erfordert rasche Entscheidungen. Die gefährliche, potenziell lebensbedrohliche Erkrankung stellt das ganze Leben auf den Kopf und macht so manchen Zukunftsplan zunichte. Zum Glück ist die Prognose für junge Erwachsene mit Krebs heute besser denn je – etwa 80 Prozent können geheilt werden. Das ist ein enormer medizinischer Fortschritt. Doch die dafür erforderlichen Behandlungen wie Chemo- und Strahlentherapie, die die Krebszellen zerstören, haben bekanntlich viele Nebenwirkungen.

Eine davon: Sie können die Fruchtbarkeit dauerhaft schädigen und dazu führen, dass Männer keine Kinder mehr zeugen beziehungsweise Frauen nicht mehr schwanger werden können. Es ist wichtig, dass junge Patienten, die später eventuell eine Familie gründen oder noch weitere Kinder haben möchten, darüber informiert sind. Sie müssen wissen, inwieweit sich die individuell erforderliche Krebsbehandlung auf die Fertilität auswirken wird und ob es möglich ist, Vorsorge zu treffen, um die Fruchtbarkeit zu erhalten. „Wir verfügen heute über sehr gut etablierte Methoden zum Fruchtbarkeitserhalt beispielsweise durch die Entnahme und das Einfrieren von Spermien bei Patienten und von Eizellen bei Patientinnen“, sagt Professor Carsten Bokemeyer, Vorsitzender der DGHO, Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e. V.

„Die entsprechenden Maßnahmen müssen aber unbedingt vor Beginn der Therapie durchgeführt werden.“ Eine solche Vorsorge würde es vielen geheilten Krebspatienten später ermöglichen, Eltern zu werden. Der Kinderwunsch ist bei jungen Krebspatienten nicht weniger stark ausgeprägt als bei gesunden Gleichaltrigen. „Neun von zehn ehemaligen Patientinnen und Patienten wünschen sich ein eigenes Kind“, erklärt Professor Anja Borgmann-Staudt, Fachärztin in der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie an der Charité-Universitätsmedizin Berlin. „Die Betroffenen verbinden mit der Elternschaft ein Gefühl von Normalität, Dankbarkeit und Glück.“

„Es werden immer noch nicht alle Krebspatientinnen und -patienten vor Behandlungsbeginn über fruchtbarkeitserhaltende Möglichkeiten aufgeklärt.“ Professor Ralf Dittrich, Leiter des IVF- und Endokrinologischen Labors der Universitäts-Frauenklinik Erlangen

Entscheidung vor Therapiebeginn Sich quasi unmittelbar nach der niederschmetternden Diagnose „Krebs“ mit dem eigenen Kinderwunsch und dem Erhalt der Fruchtbarkeit auseinandersetzen zu müssen, scheint vielen Patienten vergleichsweise unwichtig oder gar abwegig. Vor allem sehr junge Männer, die vielleicht gerade erst den Schulabschluss geschafft und sich über die Familienplanung noch keinerlei Gedanken gemacht haben, sind nicht selten überfordert. Doch kommen junge Erwachsene nicht darum herum, sich vor Therapiebeginn mit diesem Thema zu beschäftigen und weitreichende, zukunftsweisende Entscheidungen zu treffen.

Ob und inwieweit die erforderliche Krebstherapie Einfluss auf die Fruchtbarkeit haben wird, ist von vielen unterschiedlichen Faktoren abhängig. So greifen beispielsweise zahlreiche Chemotherapeutika nicht nur die Krebszellen an, sondern auch die Keimzellen, also weibliche Ei- beziehungsweise männliche Samenzellen. In welchem Ausmaß die Medikamente unwiderrufliche Schäden verursachen, hängt unter anderem vom Präparat und der für den Behandlungserfolg erforderlichen Dosierung ab. Bei Frauen spielt auch das Alter zu Beginn der Therapie eine Rolle: Je älter die Patientin ist, desto größer ist das Risiko, durch die Chemotherapie unfruchtbar zu werden.

Nicht nur Zytostatika, sondern auch Strahlentherapien und erforderliche Operationen (z. B. bei Eierstock-, Gebärmutterhals- oder Hodenkrebs) können zu Unfruchtbarkeit führen. Gleiches gilt, wenn zum Beispiel aufgrund einer bösartigen Erkrankung des blutbildenden Systems eine Stammzelltransplantation erforderlich wird. Im Vorfeld der Transplantation sind Krebspatienten sehr oft auf hochdosierte Chemo- und/oder Strahlentherapien angewiesen, die das Keimgewebe irreparabel schädigen.

Keimzellen einfrieren Auch wenn der Behandlungsbeginn bei bösartigen Erkrankungen keinen langen Aufschub duldet; genügend Zeit, um sich über Möglichkeiten des Furchtbarkeitserhalts zu informieren und entsprechende Vorkehrungen zu treffen, haben junge Erwachsene mit Krebs in aller Regel schon. Welche Maßnahmen zum Fruchtbarkeitserhalt infrage kommen, hängt ebenfalls von verschiedenen Faktoren ab und sollte in einem ausführlichen Gespräch mit dem behandelnden Arzt geklärt werden. Eventuell kann es sinnvoll sein, weitere Spezialisten – wie Reproduktionsmediziner und Psychoonkologen – hinzuzuziehen. Für junge Frauen mit Krebs besteht einerseits die Möglichkeit, befruchtete oder unbefruchtete Eizellen einzufrieren.

Eventuell ist es auch ratsam, Eierstockgewebe, das Eizellen enthält, zu konservieren und nach Abschluss der Krebsbehandlung bei Kinderwunsch wieder einzusetzen. „Vor einer Bestrahlung des Beckens oder Bauchraumes können die Eierstöcke aus dem Bestrahlungsfeld verlegt werden, um die Eizellen zu schützen“, beschreiben die Experten der Deutschen Krebshilfe in ihrem Ratgeber „Kinderwunsch und Krebs“ eine weitere Methode, die Fertilität zu erhalten. Für Männer besteht die vergleichsweise unkomplizierte Möglichkeit, vor Behandlungsbeginn Spermien einfrieren zu lassen. Ist aufgrund der Tumorerkrankung kein Samenerguss mehr möglich, kann alternativ auch Hodengewebe mit befruchtungsfähigen Spermien entnommen und eingefroren werden.

Hohe Kosten Die fruchtbarkeitserhaltenden Maßnahmen, die längst zum medizinischen Standard gehören, sind jedoch mit recht hohen Kosten verbunden. Und die müssen Patienten oft aus eigener Tasche bezahlen, denn eine Finanzierung der Entnahme und Konservierung von Eizellen, Spermien oder Hodengewebe sieht das Sozialgesetzbuch V (SGB V) als zentrales Regelwerk für die Gesetzliche Krankenkasse nicht vor. Auf diesen Missstand und die Erfordernis einer entsprechenden Gesetzesänderung weisen die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs und die DGHO mit Nachdruck hin. „In unserem Land finanzieren die Solidarsysteme notwendige medizinische Therapien für alle Bürgerinnen und Bürger ohne Ansehen der sozialen Situation.

Aber die Folgen der Krebsbehandlung für einen Kernbereich des Lebens werden leider ausgeblendet: der Wunsch nach einer Familie mit eigenen Kindern. Das ist bestürzend“, sagt Professor Mathias Freund, Kuratoriumsvorsitzender der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. Viele junge Menschen können sich die notwendigen 3500 bis 4300 Euro für die Entnahme und das Einfrieren von Eizellen bei der Frau beziehungsweise circa 500 Euro für die Entnahme und das Einfrieren von Spermien beim Mann nicht leisten. Dazu kommen jährliche Kosten von rund 300 Euro für die Lagerung im Stickstofftank. Diese zusätzliche Belastung unmittelbar nach der Diagnose „Krebs“ sei unwürdig, mahnen Experten.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/18 auf Seite 112.

Nina Leonard, Freie Journalistin

Infos, Rat und Hilfe

Rund um Kinderwunsch und Krebs können sich Betroffene und Angehörige hier informieren: Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs (www.junge-erwachsene-mit-krebs.de): Die Stiftung wurde 2014 von der DGHO mit dem Ziel gegründet, die Therapiemöglichkeiten und Versorgungssituation junger Krebspatienten zwischen 18 und 39 Jahren zu verbessern. Besonders für junge Menschen bedeutet die Krebsdiagnose einen gravierenden Einschnitt in die gesamte Lebens- und Zukunftsplanung.

FertiPROTEKT (www.fertiprotekt.com): Das Netzwerk ist ein Zusammenschluss von Zentren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die sich mit der Fertilitätsprotektion beschäftigen. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Beratung über den Schutz der Fruchtbarkeit vor geplanten Behandlungen (Operation, Chemotherapie, Bestrahlung), die als unerwünschte Nebenwirkung die Zeugungsfähigkeit einschränken können.

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