© ysbrandcosijn / iStock / Getty Images
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Gefahrstoffe

DER BITTERE BEIGESCHMACK

Blausäure, Kaliumcyanid, Zyklon-B oder Zyankali. Es gibt einige Synonyme und Variationen für eines der bekanntesten und effizientesten Gifte mit dem Aroma von Bittermandeln. Doch wie viel Wahrheit steckt dahinter?

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An einem Samstagabend läuft ein alter Spionagefilm aus der Zeit des Kalten Kriegs im Fernsehen. Ein Agent wird von der Gegenseite festgesetzt und soll für wichtige Informationen gefoltert werden. Plötzlich zerbeißt er eine Kapsel, die er aus einem hohlen Zahn hervorholt und stirbt. So dramatisch wird die Wirkung der Blausäure dargestellt. Die Effektivität und Schnelle des tödlichen Ausgangs ist allerdings nicht so übertrieben, wie es dem ein oder anderen erscheinen mag.

Innere Erstickung Blausäure, chemisch als Cyanwasserstoff bezeichnet, zeigt sich in reinem Zustand als eine farblose Flüssigkeit mit einem aromatischen Geruch nach Bittermandeln. Aufgrund des geringen Siedepunkts von 26 °C ist sie leicht flüchtig. Etwa ein Milligramm Blausäure pro Kilogramm Körpergewicht ist ausreichend um den Tod durch innere Erstickung herbeizuführen. Das in Blausäure enthaltene Cyanid-Ion komplexiert reversibel das dreiwertige Eisen-Ion der Cytochrom-C-Oxidase in den Mitochondrien. Durch diese Blockade kann Sauerstoff von den Zellen nicht mehr verwertet werden und die Stoffwechselenergieproduktion kommt zum Erliegen. Da dieser Vorgang sehr schnell vonstatten geht, kommt meist jede Hilfe zu spät.

Nach ersten unspezifischen Symptomen wie Kopfschmerzen, Schwindel und Hautrötung kommt es zur Tachykardie und Hyperpnoe. Bewusstlosigkeit, Krämpfe und Atemstillstand folgen in geringem Abstand, falls nicht mit reinem Sauerstoff beatmet wird. Als weitere Maßnahme wird intravenös Hydroxocobalamin, auch als Vitamin B12 bekannt, gegeben. Das Cobalt-Ion im aktiven Zentrum des Hydroxocobalamin hat eine höhere Affinität zum Cyanid-Ion der Blau- säure als das Eisen-Ion der Cytochromoxidase. Somit wird die reversible Blockade der Cytochrom-C-Oxidase aufgehoben und es kann wieder Energie generiert werden. Je nach Ausmaß der Vergiftung und Beginn der Therapie kann sich der Körper wieder völlig erholen oder es bleiben Störungen des zentralen Nervensystems zurück. Bei Vergiftungen mit kleineren nicht tödlichen Mengen mit Blausäure sind körpereigene Entgiftungsmechanismen möglich.

Die Rhodanid-Synthetase addiert ein Schwefel-Ion an das Cyanid-Ion wodurch Thiocyanat entsteht. Dieses ist ein natürlich im Körper vorkommender Stoff, der unter anderem sogar künstlich bei Produkten gegen Haarausfall eingenommen werden kann. Auch in höherer Konzentration zeigt es keine toxischen Effekte. Zur Unterstützung dieser körpereigenen Entgiftung kann Natriumthiosulfat gegeben werden. Somit stellt man dem Körper eine gute Schwefelquelle zur Verfügung um den Entgiftungsprozess zu unterstützen. Von den toxischen Eigenschaften soll es nun zu den Anfängen und Nutzen der Blausäure gehen. Trotz der tödlichen Wirkung wurde die Blausäure ganz harmlos in einem bekannten Komplex als Nebenprodukt identifiziert.

Näher als man denkt Das schöne Berliner Blau gilt als Namensgeber der Blausäure. Was heutzutage schon die Summenformel von Berliner Blau Fe[Fe(CN)] verrät, wurde erst circa 50 Jahre nach der Entdeckung herausgefunden. Der französische Chemiker Macquer trennte im Jahr 1752 das Berliner Blau in die beiden Ausgangsstoffe Eisenoxid und Cyanwasserstoff. Da es damals eine unbekannte Substanz war, wurde das Ausgangsmaterial Berliner Blau in die Namensgebung mit eingebunden. Nach über 250 Jahren weitergehender Forschung, die seit der Entdeckung vorübergegangen sind, wurde die Blausäure auch als wichtiger Bestandteil von Pflanzenfamilien gefunden.

Die Familie der Rosengewächse beinhaltet einige blausäureproduzierende Vertreter, die auch in europäischen Gefilden beheimatet sind. In der Unterordnung der Steinobstgewächse (Amygdalae), Gattung Prunus ist die Blausäure oft in den Kernen zu finden. Vermutlich hat sich das Gift als Fraßschutz gegenüber Tieren durchgesetzt. Bekannte Beispiele auch aus dem heimischen Garten sind Äpfel, Pfirsiche, Kirschen oder Pflaumen. Die enthaltenen Mengen an Blausäure gelten als vernachlässigbar und liegen nicht in Reinform vor, sondern gebunden als Mandelsäurenitril-Glykoside. Diese Glykosid-Stoffgruppe, die auch als cyanogene Glykoside bezeichnet wird, kann im Körper durch enzymatische Spaltung Blausäure freisetzen. Da im menschlichen Magen-Darm-Trakt keine günstigen Reaktionsbedingungen herrschen, wird eine relativ hohe Menge an cyanogenen Glykosiden benötigt, um eine tödliche Vergiftung herbeizuführen.

Eine bekannte, apothekenrelevante Frucht stellt im Gegensatz zu unseren Gartenpflanzen eine potenzielle Gefahr dar: die Bittermandel Prunus dulcis variation amaris. Diese Variation der Mandel beinhaltet Amygdalin, ebenfalls ein Vertreter der cyanogenen Glykoside. Pro Bittermandel kann im Körper bis zu ein Milligramm Blausäure entstehen. Somit reichen bei Kindern schon fünf bis zehn Bittermandeln aus, um den Tod herbeizuführen. Glücklicherweise schmeckt die Bittermandel so, wie es ihr Name vermuten lässt. Unbeabsichtigte Vergiftungen bilden daher eher die Ausnahme. Trotz des hohen Gefahrenpotenzials steht dem Einsatz in der weihnachtlichen Bäckerei nicht viel entgegen. Das Amygdalin ist stark hitzeempfindlich. Es zerfällt während des Backvorgangs in den Glykosidteil und Blausäure, die sich schnell verflüchtigt. Leider entpuppen sich nicht alle Einsätze der Blausäure so harmlos wie der Einsatz in der Weihnachtsbäckerei.

Grauenhafter Ruhm Schon im ersten Weltkrieg versuchte unter anderem Frankreich die tödliche Wirkung der Blausäure zu nutzen. Zum Glück für die deutschen Soldaten wurde die Rechnung ohne die physikalischen Eigenschaften der Blausäure gemacht. Sie verflüchtigte sich unter freiem Himmel sehr schnell und somit blieb die erhoffte Wirkung aus. Dieses Glück blieb anderen Menschen verwehrt. Der wohl bekannteste als auch grausamste Einsatz der Blausäure stand unter dem Markennamen „Zyklon B“. Die eigentlich für die Schädlingsbekämpfung entwickelte Methode des Blausäureeinsatzes, wurde von den Nationalsozialisten für die systematische Tötung von Lagerinsassen vor allem in Ausschwitz-Birkenau zweckentfremdet.

Auch aktuell gibt es fragwürdige Anwendungsmethoden. Unter dem irreführenden Begriff „Vitamin B17“ wird Krebspatienten Hoffnung gemacht ihre Behandlungserfolge zu verbessern. Enthalten ist das Amygdalin, daher sollte bei entsprechenden Kundenanfragen dringend von der Einnahme abgeraten werden. Abgesehen von fehlenden Langzeitstudien gibt es mehrere Fälle, in denen es zu entsprechenden Vergiftungserscheinungen kam. Kunden sollten intensiv über die hohen Risiken aufgeklärt werden. Seit ihrer Entdeckung wurde die Blausäure oft für negative Machenschaften eingesetzt. Da bleibt es nur zu hoffen, dass in Zukunft Weihnachten und abendliche Spionagefilme die einzigen Assoziationen bleiben, die mit Blausäure in Verbindung gebracht werden.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/2020 ab Seite 126.

Manuel Lüke, Apotheker, PTA-Lehrer für Gefahrstoffkunde

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