© MartesiaBezuidenhout / fotolia

Gesunde Darmflora

DAS ZUSÄTZLICHE ORGAN

Jeder Mensch trägt 1,5 bis 2 Kilogramm Bakterien in seinem Darm. Sie wiegen damit schwerer als beispielsweise Leber oder Gehirn. Ihre vielen Funktionen beginnen Forscher gerade erst zu verstehen.

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Man könnte uns auch als gigantische Wohngemeinschaft betrachten: 1014 Bakterien leben allein in unserem Darm, also eine 1 mit 14 Nullen, in Worten: einhundert Billionen. Das sind zehn Mal mehr als wir Körperzellen besitzen. Vergleicht man die Anzahl der Gene, so haben alle unsere Darmmitbewohner zusammen sogar einhundert mal mehr als wir.

Wobei sowohl „Bakterien“ als auch Darm“flora“ hier eigentlich nicht ganz richtig sind. Denn es handelt sich zwar ganz überwiegend um Bakterien, aber nicht ausschließlich . Und das Wort „Darmflora“ stammt aus einer Zeit, als die Bakterien noch der Pflanzenwelt zugeordnet wurden – doch nach unserem heutigen Verständnis bilden sie eine eigene Domäne. Trotzdem werden beide Begriffe im allgemeinen Sprachgebrauch weiter verwendet.

Schon lange ist bekannt, dass Darmbakterien Nahrungsbestandteile für uns aufschließen und verwertbar machen, die wir selbst nicht verstoffwechseln können. Auch dass sie bestimmte Vitamine herstellen, ist nicht neu. Dass dies aber bei Weitem nicht ihre einzigen Funktionen sind, wird zunehmend klarer.

Inzwischen wird die Mikrobiota, so eines der korrekteren Fachworte für die Darmflora, auch mit Krankheiten wie Adipositas oder dem Metabolischen Syndrom in Verbindung gebracht. Was im Umkehrschluss bedeuten könnte, dass sich diese Zivilisationskrankheiten eines Tages möglicherweise durch die Beeinflussung der Darmbakterien vermeiden oder behandeln lassen könnten – so die Hoffnung vieler Forscher.

Individuelle Zusammensetzung Welche Bakterien in unserem Darm leben, hängt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab, von denen die Ernährung vermutlich der wichtigste ist. Außerdem spielen die genetische Ausstattung, die geografische Herkunft, das Alter, die Einnahme von Medikamenten und Erkrankungen eine Rolle. Insgesamt umfasst unsere Darmflora Schätzungen zufolge etwa 400 bis 1000 verschiedene Bakterienarten. Auch wenn einige von ihnen bei allen Menschen vorkommen, so ist die genaue Zusammensetzung und Verteilung der einzelnen Arten doch individuell verschieden.

Während der Fötus sich im Mutterleib entwickelt, ist sein Darm zunächst noch keimfrei. Die erste Kolonialisierung erfolgt während der Geburt. Bei vaginal entbundenen Babys ähnelt die Darmflora in der Zeit danach der Scheidenflora der Mutter (dort leben weitere Milliarden Bakterien). Sind die Babys per Kaiserschnitt zur Welt gekommen, so hat sie mehr Ähnlichkeit mit der Hautflora (10 Millionen Bakterien pro Quadratzentimeter) und den Bakterien im Krankenhaus. Mit der Zeit besiedeln dann immer mehr Arten den Darm.

Multifunktionsorgan Der Darm ist nicht nur ein Verdauungsorgan, er beherbergt auch das darmassoziierte Immunsystem GALT (= gut associated lymphaoid tissue), das größte Immunorgan des Körpers, sowie ein hochkomplexes Nervensystem, das manchmal auch als Bauch-Hirn bezeichnet wird. Im Darm findet somit permanent eine umfangreiche Interaktion zwischen Umwelt, Darmflora, Stoffwechsel-, Immun- und Nervensystem statt.

Kolonialisierungsresistenz Mittlerweile beginnt man einige Funktionen zu verstehen, die die Darmflora in Interaktion mit dem GALT erfüllt: So produziert sie einerseits selbst Substanzen, um unerwünschte Bakterien wie Krankheitserreger abzutöten. Andererseits regt sie die Darmschleimhaut an, Defensine zu bilden, also Proteine, die ihrerseits pathogene Keime abwehren.

ZUSATZINFORMATIONEN
Weiterhin fördert sie die Bildung von sogenannten Tight-junctions-Proteinen, die die Barriere-Funktion des Darms verbessern. Und schließlich finden pathogene Bakterien schlechter Platz im Darm, wenn bereits die Bakterien der Darmflora an die Darmwand angeheftet sind. Diese Funktionen fasst man auch als „Kolonialisierungsresistenz“ zusammen. Wichtig: Die Bakterien der Darmflora und aufgenommene Nahrung werden vom Immunsystem toleriert und nicht angegriffen. Auch bei diesem als „orale Toleranz“ bezeichnetem Mechanismus spielt die Darmflora eine entscheidende Rolle. Schließlich ist die Darmflora an der Stimulierung der Th-1-Immunantwort beteiligt.

Krankheiten mit gestörter Darmflora assoziiert

Bei adipösen Menschen ist die Zusammensetzung der Darmflora gegenüber normalgewichtigen verändert. Was davon aber Ursache und was Folge ist, ist unklar. Untersuchungen legen nahe, dass die Darmbarriere bei Fettleibigen gestört ist – eine Funktion von der bekannt ist, dass sie durch die Darmflora beeinflusst wird. Dadurch können subklinische Entzündungen im Darm, aber auch in anderen Organen wie beispielsweise Muskeln, Leber oder Fettzellen entstehen. Diese wiederum könnten die Entwicklung eines metabolischen Syndroms inklusive Insulinresistenz und Fettstoffwechselstörung verursachen oder begünstigen.
 
Einige Untersuchungen liefern Hinweise, dass komplexe Kohlenhydrate, die sonst kaum verwertbar sind, bei Adipösen besser verstoffwechselt werden – weil die Darmflora anders zusammengesetzt ist. Demzufolge wären dicke Menschen tatsächlich bessere „Futterverwerter“. Allerdings reichen die beobachteten Effekte nicht aus, um das Übergewicht in vollem Umfang zu erklären.

Außerdem könnte die veränderte Darmflora aber möglicherweise die Produktion gastrointestinaler Hormone beeinflussen, die wiederum Auswirkungen auf das Essverhalten haben könnten. Das würde nebenbei bedeuten, dass die Darmflora sogar einen Einfluss auf unser Gehirn hat. Auch bei Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa ist die Zusammensetzung der Darmflora verändert, genauso wie bei Patienten mit Reizdarmsyndrom. Aber auch hier ist unklar, ob es sich dabei um eine Ursache oder eine Folge handelt.

Probiotika und Präbiotika

Als Probiotika bezeichnet man gesundheitsassoziierte Bakterien wie Bifidobakterien, Lactobazillen und auch bestimmte Hefen. Präbiotika dagegen sind unverdauliche, fermentierbare Kohlenhydrate wie beispielsweise Inulin. Ihre Einnahme soll das Wachstum von bestimmten erwünschten Bakteriengruppen fördern. Traditionell werden Probiotika bei Durchfallerkrankungen vor allem in Zusammenhang mit Antibiotika eingesetzt, um die gestörte Darmflora wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Positiven Einfluss haben einzelne Probiotika auch bei Colitis Ulcerosa und beim Reizdarmsyndrom. Ob Prä- oder Probiotika darüberhinaus Übergewicht, Diabetes oder Allergien vorbeugen oder eine Rolle bei ihrer Behandlung spielen können, ist offen.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 12/14 ab Seite 126.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

×