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Bücher, von denen man spricht

DARÜBER SPRICHT MAN NICHT

Dr. Yael Adler ist Meisterin darin, auf vergnügliche Art zu erklären, was anderen peinlich ist. Ganz unverkrampft erzählt sie auch in ihrem neuen Buch „Darüber spricht man nicht“ über Tabuzonen des menschlichen Körpers.

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Stellen sie sich vor, Sie wären ein Mann und seit etwa 15 Jahren mit einer Dermatologin glücklich verheiratet. Stellen Sie sich weiterhin vor, Sie hätten extreme Schmerzen am Hintern …“ – so beginnt das Kapitel mit dem Titel „Analabszess“. Und, ach, als Leser leidet man mit dem armen Mann, der sich nicht traut, seiner Frau das zu zeigen, was er gar nicht sehen kann, aber ihn unsäglich quält. Gerade noch rechtzeitig darf seine Gattin mal drüberschauen – und er landet sofort in der Notaufnahme, denn eine böse Fistel hat es beinahe geschafft, seinen inneren Schließmuskel zu zerfressen.

Über Cola-Flaschen und Staubsauger In Yael Adler gibt es die seltene Kombination einer Buchautorin, die nicht nur ihr Thema von der Pike auf beherrscht, sondern auch noch den rechten Ton trifft. Ihr ist absolut nichts fremd, denn sie hat schon überall gearbeitet: „Die Chancen, die Ärzte in der Notaufnahme mit etwas völlig Neuem zu überraschen oder zu schockieren, sind relativ gering.“ In diesem Kapitel behandelt sie das Thema „Cola-Flaschen, Staubsauger und andere Sexunfälle“ und ja, man lernt dazu, was die Fleischeslust und ihre phantasievollen Ausgestaltungen betrifft. Gott sei Dank klärt sie darüber auf, was im Inneren eines Staubsauer-Ansaugstutzens passiert („in etwa 11 Zentimeter Tiefe wirbeln metallene Rotationsblätter“), was dem gar nicht so ungewöhnlichen Sexunfall den Namen „Morbus Kobold“ bescherte.

Auf einer Veranstaltung in Berlin, bei der sie ihr Buch vorstellte, verriet sie sogar, dass über diese spezielle Verletzung bereits eine Doktorarbeit geschrieben wurde. Das Staubsaugermodell wurde damals, so wie es war, eilig vom Markt genommen und erschien erst später wieder in modifizierter Form. Dr. Adler ist Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten und als solche täglich mit den Tabuthemen ihrer Patienten konfrontiert. Ob Inkontinenz, Erektionsstörungen, oben genannte Unfälle oder Körpergeräusche – die Frau Doktor weiß, was Menschen beschäftigt und dass es für viele völlig unmöglich ist, es offen auszusprechen, obwohl es doch Hunderttausende gemein haben. Oder wussten, Sie, dass einer Frau bei bestimmten Yogafiguren ein Vaginalfurz entfleuchen kann (peinlich)?

Dass Menschen, die an Misophonie leiden, sich so stark vor dem hörbaren Schmatzen und Kauen anderer ekeln, dass sie sich in aller Öffentlichkeit erbrechen müssen (noch peinlicher)? Dass „Käsefüße“ ihren Namen daher haben, dass ihre chemischen Geruchsverbindungen sich auch in Limburger, ranziger Butter und Erbrochenem finden? Gottseidank belässt es die Autorin nicht bei diesen spektakulären Enthüllungen, sondern gibt auch ganz praktischen, hemdsärmeligen und supernützlichen Rat. Denn am Ende jedes Kapitels findet sich eine Tabelle, in der Hilfsmaßnahmen übersichtlich untereinander stehen. Zum Thema Käsefuß lernt man, dass der Mann an sich stärker schwitzt und seinen Füßen ruhig einmal ein bisschen Freiheit gönnen darf, also eine ohne Socken. Auch spezielle Schuheinlagen, eine Leitungswasseriontophorese (verordnungsfähig) oder ein Fußbad in Eichenrindesud helfen.

Tipps und Tricks Von überaus praktischem Wert auch das Thema „Verhütung“. Adler erläutert unter anderem, wie hormonelle Verhütungsmethoden, die ja dem Körper eine Schwangerschaft vorgaukeln, unseren Körpergeruch verändern. Denn das Sprichwort „Ich kann dich gut riechen“ kommt nicht von ungefähr: Unsere Nase findet nämlich in Wirklichkeit den Partner; Pheromone sorgen dafür, dass wir am Geruch erkennen, ob ein Mann oder eine Frau genetisch zu uns passen. Setzt also bei einem Paar mit Kinderwunsch, das sich mit Pille kennen gelernt hat, die Frau ihr Kontrazeptivum ab, verändert sich sowohl ihr eigener Geruch als auch die geschnupperte Wahrnehmung des Partners. Und dann ist plötzlich alles anders: Yael Adler erzählt von einer Frau, die ihren Mann plötzlich „nicht mehr riechen konnte“ und sich trennte.

Doch was tun, wenn ja die hormonelle Verhütung nicht gerade optimal für den Körper ist? Adler gibt auch hierzu Tipps: Etwa den mit dem Kupferkettchen, das am Dach der Gebärmutter implantiert wird oder der kupferhaltige Intraauterinball (IUB), der erst seit Kurzem in Deutschland erhältlich ist. Auch bei anderen Themen spart sie nicht mit Ratschlägen: Herpes, das allzeit bereite und furchtbar unangenehme Virus, ist zwar irgendwie Schicksal (90 Prozent haben es, aber nur bei 20 Prozent bricht es aus), doch kann man zumindest versuchen, es kampfunfähig zu machen. Neben dem bekannten Aciclovir, gegen den das Virus bereits Resistenzen ausbildet, kann man auch Mikronährstoffe zuführen, am besten nach einem Blutcheck. Adler benennt es präzise: „Erfahrungsgemäß helfen ganz besonders Vitamin D3, Zink, Selen und die Aminosäure Lysin (drei Gramm pro Tag). Lysin vertreibt die Konkurrenz-Aminosäure Arginin und entzieht damit den Viren ihr Futter. (…..) Ein Geheimtipp, der kaum beworben wird, ist frei verkäufliches Zinksulfatgel.“

Die Menopause ist gar keine Pause Und dann klärt die Autorin endlich einmal darüber auf, worüber Frauen sich schon seit vielen Jahrzehnten wundern: Warum klingt der Begriff Menopause eigentlich so, „als würden Frauen durch ein Klingelzeichen vom Menopausenhof zurück in die Klasse gerufen, wo es fröhlich weitergeht wie zuvor“? In Wirklichkeit ist „Pause“ jedoch dem griechischen pausis entlehnt, was schlicht und einfach Ende bedeutet – „und dieses Ende kündigt sich über einen mehrjährigen Zeitpunkt an“. Im Zuge des Klimakteriums kommt es zur bekannten Scheidentrockenheit und möglicherweise Schmerzen beim Sex, auf der Habenseite stehen dann auch noch Lichen sclerosus, eine trockene Hautentzündung in und an Penis und Vagina. Noch nie davon gehört? Darüber spricht man nicht … Noch nicht einmal mit der PTA.

Adler bringt Licht ins Dunkel der widerstreitenden Lager „zusätzliche Hormone oder nicht“. Doch wenn die Beschwerden sehr schlimm sind? „Statistiken bescheinigen einer rechtzeitig begonnenen Hormonersatztherapie (um die 50) eine gute Prophylaxe für Osteoporose“. Auch die Naturapotheke hat so einiges zu bieten: Die Traubensilberkerze zum Beispiel. Die dürfen nämlich auch Frauen nehmen, die Brust- oder Gebärmutterschleimhautkrebs hatten. Und auch Männer kennen die Andropause: Ihr Teststeronspiegel sinkt, viel langsamer zwar als der Estrogenspiegel der Frau, aber ja, alles wird weniger. Ja sicher, es gibt ein Gel dagegen, doch: „Wie wir gerade schon bei den weiblichen Wechseljahren gesehen gehaben, nehmen wir den körperlichen Wandel nicht als Lauf der Natur wahr, sondern neigen dazu, ihn zur behandlungswürdigen Erkrankung zu erklären“. Das wäre doch mal ein Grund, darüber zu sprechen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 05/2020 ab Seite 136.

Alexandra Regner, PTA und Journalistin

Dr. Yael Adler erklärt fast alles, was uns peinlich ist: Darüber spricht man nicht. Verlag Droemer HC, 368 Seiten, ISBN: 978-3-426-27751-5, 16,99 Euro

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