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Krebserkrankungen

AUF DEM VORMARSCH

Lange galt das Leberkarzinom als ein seltener Krebs. Doch in den vergangenen 35 Jahren hat sich die Fallzahl verdoppelt. Ein Grund dafür ist unsere Wohlstandsgesellschaft. Alkohol und Übergewicht sind die größten Risiken.

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Leberkrebs geht in etwa 80 bis 90 Prozent der Fälle von den Leberzellen (Hepatozyten) aus, in den restlichen Fällen von Zellen der Gallengänge. In der Leber finden sich zudem häufig auch Metastasen anderer Tumoren, die jedoch nicht zu den eigentlichen Lebertumoren gezählt werden. In Deutschland erkranken jährlich knapp 9000 Menschen neu an einem hepatozellulären Karzinom, Männer dabei etwa dreimal so häufig wie Frauen. Der Krebs tritt meist erst im Alter auf, am häufigsten etwa um das 70. Lebensjahr herum.

Multitalent Leber Die Leber liegt in zwei Lappen gegliedert im rechten Oberbauch, direkt unterhalb des Zwerchfells. Mit etwa eineinhalb Kilo ist sie das schwerste Organ im menschlichen Körper und erfüllt zahlreiche Aufgaben. So verstoffwechselt und speichert sie nicht nur unsere Nährstoffe, sondern entgiftet auch toxische Abbauprodukte, reguliert den Blutzuckerspiegel und ist essenziell für die Blutgerinnung. Anders als andere Organe ist die Leber zudem sehr regenerationsfähig. Daher entsteht ein Leberkrebs meist erst nach Jahrzehnten, wenn sie durch eine andere Grunderkrankung über lange Zeit geschädigt wurde. Größte Risikofaktoren hierbei sind Schädigungen durch Alkoholabusus und Hepatitis-Infektionen sowie Fettleibigkeit. Weniger als 20 Prozent aller hepatozellulären Karzinome treten ohne Vorerkrankung auf.

Risikofaktor WohlstandIn den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich die Zahl der Erkrankungen verdoppelt. Das führen Wissenschaftler auch darauf zurück, dass sich die Zahl der Adipositas- und Diabeteskranken wesentlich erhöht hat. Für das Jahr 2020 prognostizieren sie, dass die nicht-alkoholische Fettleberhepatitis (NASH) die weltweit häufigste Form der Lebererkrankung in den westlichen Industrieländern darstellen wird. Im Gegensatz dazu waren früher hierzulande chronische Infektionen mit Hepatitis-B- oder -C-Viren lange Zeit der Hauptgrund für eine Leberzirrhose und damit letztlich auch für Leberkrebs.

Die Viren werden durch Körperflüssigkeiten übertragen. Da man sie erst seit den 1990er Jahren nachweisen kann, kam es zwischen 1960 und 1990 durch verseuchte Blutkonserven vermehrt zu Hepatitis-Infektionen und somit zu mehr Leberkrebsfällen. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass man einem Leberkrebs vorbeugen kann, indem man einen gesunden Lebenswandel betreibt und sich gegen Hepatitisinfektionen schützt, wobei für Hepatitis B auch eine Impfung verfügbar ist.

Hoffnung bei inoperablem Leberkarzinom: Medikamente, die das Immunsystem beeinflussen.

Späte Beschwerden Leberkrebs wird leider oft erst sehr spät erkannt, sodass die typischen Beschwerden wie Schmerzen im Oberbauch, Appetitlosigkeit, Gelbsucht oder Aszites in der Regel erst im fortgeschrittenen Stadium auftreten. Selbst dann bleibt der Tumor häufig auf das Organ beschränkt, kann aber auch ins Bindegewebe und Bauchfell durchbrechen und metastasieren. Liegt ein Verdacht auf Leberkrebs vor, kann man mittels Ultraschall schon kleine Tumoren nachweisen. Man weiß allerdings nicht, ob es sich dabei um einen primären Lebertumor, seine Metastasen oder Tochtergeschwulste anderer Tumoren handelt, was durch weitere bildgebende Verfahren und eine Blutuntersuchung auf den Marker alpha-Fetoprotein geklärt werden kann.

Ist die Diagnose Leberkrebs gesichert und die Ausbreitung des Tumors ermittelt, kann die Therapie beginnen. Eine Heilung ist dabei möglich, wenn der Tumor durch eine Operation noch vollständig entfernt werden kann. Dies geht jedoch nur, wenn er nicht zu groß und auf die Leber beschränkt ist, günstig liegt und die Leberfunktion noch ausreicht. Da das Lebergewebe extrem regenerativ ist, kann sich danach eine gut funktionsfähige Leber wieder erholen. Meist ist sie jedoch schon stark vorgeschädigt, was eine Operation oft unmöglich macht. Dann kann eine Lebertransplantation helfen, für die jedoch nur eine kleine Zahl an Betroffenen in Frage kommt.

Hilfe von innen Ist eine chirurgische Entfernung nicht möglich, gibt es mehrere Therapieformen, um den Tumor lokal zu bekämpfen und eventuell eine Heilung zu erzielen. Bei der perkutanen Ethanol-Injektion (PEI) wird unter bildgebender Kontrolle Ethanol in den Tumor gespritzt. Allerdings wird diese Methode nur noch durchgeführt, wenn die medizinisch überlegenere Radiofrequenz-Ablation (RFA) nicht angewandt werden kann. Hierbei wird der Tumor durch eine eingeführte Sonde mit Radiofrequenzwellen „verkocht“, was bis zu einem Durchmesser von fünf Zentimetern möglich ist. Umgekehrt kann der Tumor aber auch durch ein Kryoablation genanntes Verfahren vereist werden. Daneben gibt es heute noch weitere Verfahren, wie die Zerstörung durch Mikrowellen oder elektrische Felder.

Kombinierte Blockade Kann der Tumor weder operiert noch ablativ entfernt werden, ist in der Regel keine Heilung mehr möglich. Hier kommen palliative Verfahren wie die transarterielle Chemoembolisation (TACE) und die selektive interne Radiotherapie (SIRT) zum Einsatz. Bei der TACE werden kleinste Partikel, an die ein Zytostatikum gebunden ist, über eine Arterie in die Leber injiziert. Sie wirken, indem sie die Blutzufuhr zu den Tumorzellen für eine bestimmte Zeit blockieren, wodurch gleichzeitig auch das Medikament länger effektiv bleibt.

Häufig wird die TACE heute nicht mehr nur palliativ genutzt, sondern eingesetzt, um die Zeit bis zu einer möglichen Lebertransplantation zu überbrücken. Bei der SIRT werden winzige radioaktive Kügelchen in die Leberarterie gespritzt, die die Blutversorgung des Tumors stoppen und seine Zellen bestrahlen. Diese Therapieform ist sehr wirksam, birgt aber auch gefährliche Nebenwirkungen. So müssen die Kügelchen punktgenau eingebracht werden und dürfen nicht in Blutgefäße des Bauchraumes abströmen. Ihr Vorteil ist, dass sie auch bei Betroffenen mit verlegter Pfortader oder gefäßinvasiven Tumoren angewendet werden kann. Ist der Tumor bereits sehr groß, wird er meist von außen bestrahlt, häufig zusätzlich zu SIRT.

Herkömmliche Chemotherapie nicht indiziert Hat sich der Tumor über die Leber hinaus ausgebreitet, muss systemisch therapiert werden. Leberkrebs spricht jedoch auf herkömmliche Chemotherapien nicht gut an. Seit einigen Jahren können aber Tyrosin-Kinasehemmer eingesetzt werden, die zielgerichtet bestimmte Signalwege der Tumorzellen blockieren und hierdurch besser wirksam sind. 2007 wurde mit Sorafenib der erste Wirkstoff zur Behandlung von Leberkrebs zugelassen. Bis 2016 war dies das einzige Medikament, das nachgewiesen lebensverlängernd wirkte. Für die Erstlinientherapie ist mittlerweile auch Lenvatinib einsetzbar. Versagen diese beiden Medikamente, sind mittlerweile Regorafenib und Cabozantinib für die Zweitlinientherapie zugelassen.

Multimodal und Immuntherapie sind die Zauberworte Zurzeit wird in verschiedenen Studien untersucht, inwiefern eine Kombination von verschiedenen Therapien bei Leberkrebs sinnvoll ist. Kombinierte Therapien konnten bisher schon gute Ergebnisse liefern. Doch die Hoffnung liegt – wie bei allen Tumorarten – auf der Entwicklung von Medikamenten, die das Immunsystem beeinflussen. Entweder, indem sie den Tumorzellen die „Tarnkappen“ entreißen, die sie vor dem körpereigenen Immunsystem schützen, oder indem sie das Immunsystem selbst zum zielgerichteten Kampf gegen Krebszellen motivieren.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 03/2020 ab Seite 98.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

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