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Superspreader

ZUSAMMENKUNFT MIT VERHEERENDEN FOLGEN

SARS-CoV-2-Infizierte sind gerade dann hochansteckend, wenn sie noch keine Beschwerden zeigen. Ahnungslos treffen sie auf andere Menschen und können unter ungünstigen Umständen zum Superspreader werden.

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Die Tiroler Gemeinde Ischgl gilt als ein Corona-Ausbruchzentrum, denn Après-Ski sowie Aufenthalte in Skibussen und Seilbahnen haben im vergangenen März dafür gesorgt, dass sich viele Menschen angesteckt und die Viren in ihre Heimat gebracht haben. Ausgangspunkt soll vor allem die Bar „Kitzloch“ gewesen sein, in der Hunderte Menschen zusammen feierten. Am 7. März wurde unter anderem ein Barmann des Après-Ski-Lokals positiv auf Corona-Viren getestet, in seinem Umfeld infizierten sich immerhin 24 Personen.

Trotz der Infektionen setzte man die Skisaison bis zum 14. März weiter fort, sodass Hunderte Skitouristen die Erreger in ihre Heimatländer und –orte transportierten. In einer Antikörper-Studie stellten Wissenschaftler fest, dass bei 42,4 Prozent der dortigen Bevölkerung Antikörper im Blut nachweisbar waren – der höchste Wert, der in einer Testreihe gemessen wurde. Ischgl soll als Corona-Hotspot maßgeblich zur Virus-Verbreitung in Europa beigetragen haben.

Pandemie-Hochburg in Deutschland Das erste Superspreading- Event in Deutschland fand in der Gemeinde Gangelt im Kreis Heinsberg statt. Rund 300 Gäste feierten dort im Februar Karneval, eine Woche später trat in Nordrhein-Westfalen der erste Corona-Fall auf. Schnell war klar, dass die Person mitgefeiert und dort viele andere Gäste angesteckt hatte, die ebenfalls positiv auf das Corona-Virus getestet wurden.

iologische Bombe In Mailand (Italien) hat sich ein Fußballstadion als Virenparadies herausgestellt. Das Spiel zwischen Atlanta Bergamo und FC Valencia ereignete sich am 19. Februar. Zu diesem Zeitpunkt lagen in Italien lediglich drei bestätigte COVID-19-Fälle vor, zwei Wochen später gab es alleine in Bergamo 997 Infizierte. Bergamos Bürgermeister Giorgio Gori bezeichnete das Fußballfest aufgrund der fatalen Folgen als biologische Bombe. Nachdem das Rückspiel am 10. März in Valencia ohne Publikum ausgetragen wurde, testete man 35 Prozent der Mitarbeiter des FC Valencia positiv auf die Corona-Viren. In diesem Zusammenhang analysierten Forscher der West Virginia University Daten aus den Jahren zwischen 1962 und 2016 und fanden heraus, dass die Anzahl der Grippetoten während der Football-, Hockey- und Basketballsaison um bis zu 24 Prozent zunahm.

Da die saisonale Grippe-Sterblichkeit in US-Städten mit großen Sportereignissen korreliert, warnten die Wissenschaftler davor, Stadien während der Covid-19-Pandemie für Zuschauer zu früh zu öffnen. Auch Gottesdienste stellten sich bereits als Superspreading-Events heraus – nach einer Messe in einer Baptistengemeinde in Frankfurt am Main infizierten sich 200 Menschen, während es nach einer Andacht in einer Karlsruher Freikirche 24 Ansteckungen gab. Trotz der Hygienevorschriften erwiesen sich Kirchen als hochgradige Infektionsquellen.

Hochzeit mit Todesfolgen Eine Hochzeit in den USA im Bundesstaat Maine entpuppte sich ebenfalls als Superspreading-Event, wie die US-Seuchenschutzbehörde „Center of Disease and Prevention (CDC)“ ermittelte. Am 7. August feierten 55 (statt erlaubte 50) Menschen zusammen und achteten dabei nicht auf den nötigen Abstand. Obwohl bei den Gästen vor der Veranstaltung Fieber gemessen wurde und Schilder an Maske und Abstand erinnerten, zeigten einige Personen nach wenigen Tagen Symptome wie Halsschmerzen, Husten und Fieber. Die Tests ergaben, dass sie sich mit Corona-Viren infiziert hatten.

Durch die Hochzeitsgäste steckten sich 17 weitere Menschen an, eine Person verstarb an der Infektion. Besonders dramatisch war, dass eine COVID-positive Pflegekraft trotz der Beschwerden zur Arbeit in einem Altenheim erschien und dort 24 Bewohner infizierte, wovon sechs starben. Ein anderer Gast schleppte die Viren in ein Gefängnis ein, da er ebenfalls trotz der Symptomatik zur Arbeit erschien: 48 Häftlinge und 18 Mitarbeiter erkrankten. Das Beispiel dieser Hochzeit zeigt, wie verheerend die Folgen eines Superspreading-Events sein können – 177 Menschen infizierten sich und sieben von ihnen überlebten die Erkrankung nicht.

Hohe Ansteckungswahrscheinlichkeit Superspreader, also Menschen, die besonders viele andere Personen anstecken, beeinflussen somit den Verlauf der Pandemie enorm. Vor allem die Umstände, weniger der Infizierte selbst, führen zu der hohen Ansteckungsquote, wie bei den beschriebenen Superspreading-Events deutlich wird. SARS-CoV-2 gilt als sehr ansteckend und wird bei Zusammenkünften von Menschen leicht verbreitet, somit kann jeder Infizierte, der Kontakt zu vielen gesunden Personen hat, zum Superspreader werden. Ein Superspreading-Event beruht auf verschiedenen Faktoren, die aufeinander treffen: Die Dauer der Begegnungen, die Anzahl der Kontakte, das Verhalten, die Virulenz der Infizierten, die Atemintensität, die Nutzung von Masken, die räumliche Situation sowie der Dispersionsfaktor k spielen eine entscheidende Rolle.

Die Kennzahlen der Pandemie Normalerweise liegt die Reproduktionszahl R bei SARS-CoV-2 bei zwei bis drei, das bedeutet, dass eine SARS-CoV-2-positive Person zwei bis drei weitere Menschen infiziert. Allerdings handelt es sich dabei nur um einen Durchschnittswert, denn es gibt auch Betroffene, die niemanden anstecken, oder eben Superspreader, durch die sich eine Vielzahl von Kontaktpersonen infiziert. Die Wahrscheinlichkeit, jemanden aus dem eigenen Haushalt anzustecken, soll lediglich bei 15 Prozent liegen. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass Betroffene nur wenige Tage hochinfektiös sind. Der Dispersionsfaktor k (Streuparameter) beschreibt, ob eine Krankheit gehäuft auftritt. Er beantwortet die Frage, ob bei einem Infektionsgeschehen wenige Superspreader viele Menschen infizieren oder ob die Neuinfektionen auf viele infizierte Personen zurückzuführen sind. Der Wert k liegt zwischen null und eins: Tendiert er gegen null, stecken wenige Menschen viele andere Personen an (Superspreader), im Umkehrschluss infizieren bei einem hohen k-Wert viele Menschen nur wenige andere Personen.

Positiv oder negativ? SARS-CoV-2 wird über einen PCR-Test (Polymerase-Kettenreaktionstest) nachgewiesen, wobei Abstriche aus dem Mund-, Nasen- oder Rachenraum notwendig sind. Das Erbmaterial wird dann so stark vervielfältigt, dass die Viren nachweisbar werden, selbst wenn sie nur in geringen Mengen vorkommen. Die Tests sind sehr genau und zeigen nur in seltenen Fällen ein falsches Ergebnis an. Falsch-negative Ergebnisse sind zu Beginn der Infektion am wahrscheinlichsten, da sich die Viren zunächst nur langsam in den Atemwegen verbreiten – in solchen Fällen kann ein Infizierter unwissend zum Superspreader werden. Der optimale Zeitpunkt für den Nachweis der Erreger ist acht Tage nach der Infektion, dies entspricht oft dem dritten Tag nach dem Auftreten der Symptome.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 01/2021 ab Seite 24.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie, Fachjournalistin

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