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Urtikaria

WIE VON BRENNESSELN GESTOCHEN

Juckende Quaddeln überall – wenn die Haut so reagiert, handelt es sich um eine Urtikaria. Die Ursachen sind vielfältig, und es kann lange dauern, den Auslöser zu finden. Manchmal gelingt das nie.

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Die Nesselsucht ist eine meist ungefährliche, aber sehr unangenehme Veränderung der Haut, die sowohl akut auftreten als auch chronisch werden kann. Bei der akuten Form bilden sich die Quaddeln an der betroffenen Körperstelle meist innerhalb eines Tages wieder zurück; der Prozess kann aber auch bis zu sechs Wochen in Anspruch nehmen.

Die akute Nesselsucht kann immer wieder auftreten, wenn der Körper mit dem Auslöser in Kontakt kommt. Lebensbedrohlich kann die Urtikaria dann werden, wenn Schwellungen am Kehlkopf zu Atemnot führen. In Deutschland sind etwa 800 000 Menschen von Urtikaria betroffen, darunter mehr Frauen als Männer. Meist tritt die Erkrankung im mittleren Lebensabschnitt auf.

Quälender Juckreiz Bei einer Urtikaria entstehen auf der Haut stark juckende Stellen, die aussehen, als habe man sich an einer Brennnessel gestochen, daher auch der Name „Nesselsucht“. Die Quaddeln haben einen Durchmesser von wenigen Millimetern bis hin zur Größe eines Handtellers. Sie können nur an einer Stelle auftreten, aber auch über den Körper wandern.

Die Nesselsucht kann zudem „streuen“ und dann den Großteil des Körpers bedecken (disseminierte Urtikaria). Für die Betroffenen ist das kaum auszuhalten, denn neben dem unerträglichen Jucken ist die Haut durch die Quaddeln geschwollen und bei großflächigem Befall daher stark und schmerzhaft gespannt. Im schlimmsten Fall kann die Haut einreißen, wodurch beim Kratzen Bakterien eindringen und Infektionen verursachen können.

Reaktion wie bei einer Allergie Der Grund für die Quaddeln ist ein Überschuss des Neurotransmitters Histamin aus den Mastzellen der Immunabwehr. Dies geschieht als Reaktion auf ein Allergen, sobald IgEAntikörper auf den Mastzellen damit in Kontakt kommen. Durch das Histamin wird eine Entzündungsreaktion ausgelöst, wobei das Hormon die Durchlässigkeit der kleinen Blutgefäße in der Lederhaut erhöht, sodass sie Wasser einlagert, was zur Gewebsschwellung und damit zu den juckenden Quaddeln führt.

Gleichzeitig stimuliert das Histamin aber auch Nervenfasern in der Haut, wodurch Neuropeptide ausgeschüttet werden, die ebenfalls einen Juckreiz auslösen. Diese Neuropeptide stimulieren ihrerseits wieder die Mastzellen – ein Juckreiz-Teufelskreis beginnt. Meist ist tatsächlich ein Allergen der Auslöser der Nesselsucht, seien es bestimmte Stoffe in Nahrungsmitteln oder Medikamenten wie Acetylsalicylsäure. Urtikaria kann aber auch durch eine Pseudoallergie ausgelöst werden, das bedeutet, durch äußere Reize wie Kälte, Hitze oder Druck.

Diese, unter dem Begriff „physikalische Urtikaria“ zusammengefassten Nesselsuchtformen, lassen sich leicht erkennen, da die Quaddeln sehr schnell auftauchen, nachdem die Haut dem Reiz ausgesetzt wurde. Dann hilft es, den Reiz zu meiden, um die Urtikaria in den Griff zu bekommen. Wesentlich schwieriger ist es, wenn die Nesselsucht substanzinduziert ist.

Dann heißt es, in aufwändigen Verfahren durch Allergietests den Auslöser zu finden. Bei den unzähligen Substanzen, die prinzipiell als Verursacher in Frage kommen, verwundert es nicht, dass der Auslöser häufig nicht gefunden wird. Man spricht dann von einer idiopathischen Urtikaria, also einer Nesselsucht ohne bestimmbare Ursache.

Erste Hilfe gegen den Juckreiz Ist beim ersten Auftreten der Urtikaria die Zahl der Quaddeln relativ gering und der Juckreiz nicht zu stark, bedarf die Nesselsucht eigentlich keiner Behandlung. Kühlung, zum Beispiel durch einen feuchten Lappen, kann Linderung bringen. Bei stärkerem Juckreiz können Antihistaminika helfen, die entweder topisch als Salbe oder systemisch in Tablettenform verabreicht werden können.

Kortikoidhaltige, systemisch wirkende Medikamente werden nicht mehr empfohlen, da ihre Wirkdauer zu kurz ist und außerdem nicht kontrolliert werden kann, ob sich die Quaddeln von selbst zurückbilden. Salben mit Menthol, Polidocanol oder Harnstoff können ebenfalls Linderung bringen.

Wenn das Jucken chronisch wird Hält die Urtikaria länger als sechs Wochen an, spricht man von einer chronischen Nesselsucht. Hier liegt meist eine Grunderkrankung vor, wie etwa ein unentdeckter Entzündungsherd im Körper, der zu einer dauerhaften Histamin-Überproduktion führt. Es kann jedoch auch eine Histaminintoleranz sein. Bei dieser Störung ist der Körper nicht in der Lage, mit der Nahrung aufgenommenes Histamin ausreichend zu metabolisieren, sei es durch einen Mangel an Histamin-abbauenden Enzymen oder eine Dysbalance zwischen Histaminzufuhr und -abbau.

Die Histaminintoleranz ist nicht angeboren und betrifft meist Frauen. Therapierbar ist sie mit einer streng histaminarmen Diät, im schlimmsten Fall mit der Kartoffel- Reis-Diät, in der über einen gewissen Zeitraum nur Kartoffeln, Reis, Zucker, Salz und Wasser zugeführt werden. Vitamin B6 kann den körpereigenen Histamin-Stoffwechsel unterstützen. Ist eine histaminarme Diät nicht möglich, kann auch das histaminabbauende Enzym Diaminoxidase (DAO) zu den Mahlzeiten eingenommen werden.

Ein Befall mit Helicobacter pylori ist als Ursache für Nesselsucht ebenfalls nachgewiesen. Daher sollte man bei einer ständig wiederkehrenden oder gar chronischen Nesselsucht immer auch auf dieses Magenbakterium testen. Andere Ursachen der chronischen Nesselsucht können Störungen der Funktion der Nebennierenrinde oder der Schilddrüse, wie zum Beispiel die Hashimoto-Thyreoiditis sein, durch die die Botenstoffe aus dem Gleichgewicht geraten.

Manchmal ist auch eine Autoimmunerkrankung der Auslöser für die Nesselsucht, die dann allerdings nur eines von vielen meist schwerer wiegenden Symptomen ist. Da Autoimmunerkrankungen lediglich symptomatisch zu behandeln sind, wird man in einem solchen Fall die Quaddeln mit Antihistaminika bekämpfen. Einige Patienten mit chronischer idiopathischer Urtikaria sprechen allerdings nicht auf diese Wirkstoffe an, selbst wenn sie hochdosiert verabreicht werden.

Wie eine im März 2013 im New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie zeigte, kann ihnen mit dem Asthmamittel Omalizumab geholfen werden. Hierbei handelt es sich um einen monoklonalen Antikörper, der die IgE-Antikörper im Körper neutralisiert. Sie sind dann nicht mehr fähig an Mastzellen zu binden und sie zur Histaminausschüttung anzuregen.

In den vergangenen Jahren haben sich in an der Charité Berlin und der Universitätsklinik Mainz Urtikaria- Forschungszentren entwickelt, die immer wieder Teilnehmer für laufende Studien suchen. Zurzeit wird eine Salbe gegen Kälteurtikaria getestet, sie soll einen Rezeptor hemmen, der den Juckreiz auslöst. Beide Forschungszentren bieten auch Urtikaria- Sprechstunden an.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/16 ab Seite 130.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

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