Ein Flatlay auf dunkelgrünem Hintergrund: Mehrere lose Tabletten und Kapseln, Tablettenblister, ein Fieberthermometer, Vials und ein Stethoskop liegen um eine chirurgische Maske herum drapiert. Die Maske zeigt die EU-Flagge.
Auf europäischer Ebene arbeiten mehrere Institutionen an der Gesundheitsversorgung der EU-Bürger. Welche das sind und was genau sie tun, erfahren Sie in dieser Serie - dieses Mal geht es um die EMA.

Wie geht Gesundheit auf Europäisch?

NEUES MANDAT FÜR DIE EMA

Die Pandemie rückte sie ins Rampenlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit: EU-Institutionen, die für Gesundheitsthemen zuständig sind. Die EMA zum Beispiel. Lernen Sie die EU-Gesundheitsinstitutionen in der Serie „Wie geht Gesundheit auf Europäisch?“ kennen!

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Jedes Fertigarzneimittel, das in einer deutschen Apotheke über den Tresen geht, muss sie haben: eine behördliche Zulassung. Und immer häufiger kommt die aus Brüssel. Vor allem, wenn es sich um neue, innovative Medikamente handelt, denn ein Großteil dieser Arzneimittel wird von der Europäischen Kommission zugelassen.

Zuvor allerdings werden die Zulassungsdaten von der Arzneimittelagentur EMA (European Medicines Agency) geprüft. Die ist nämlich für die wissenschaftliche Beurteilung und für die Sicherheitsüberwachung von Arzneimitteln in der EU zuständig. Erst wenn sie eine positive Empfehlung abgibt, kann die Kommission den Marktzugang für das Medikament genehmigen.

Innovative Arzneimittel im Fokus

Für die EMA war 2020 ein Ausnahmejahr. Insgesamt 97 neue Arzneimittel hat sie zur Zulassung empfohlen. Die höchste Zahl seit mehr als zehn Jahren. 39 davon enthalten neue Wirkstoffe, die vorher noch nicht in der EU zugelassen waren. Hinzu kamen 83 Indikationserweiterungen für bestehende Zulassungen – mehr als ein Drittel davon waren übrigens Krebsmedikamente. Es sind meistens die neuen, innovativen Arzneimittel, die den zentralen Zulassungsprozess auf EU-Ebene durchlaufen. Generika und rezeptfreie Arzneimittel werden hingegen eher auf nationaler Ebene von den Behörden der Mitgliedsstaaten geprüft und zugelassen.

Schon die Zahl der EMA-Prüfungen für Standardzulassungen war 2020 ungewöhnlich hoch. Das gleiche gilt aber auch für so genannte bedingte Zulassungen (Conditional Marketing Authorisation – oder kurz CMA). Die kommen immer dann zum Einsatz, wenn es schnell gehen muss: bei neuen Medikamenten für bislang nicht behandelbare Krankheiten etwa, oder bei Produkten für den Einsatz in Notfallsituationen – Impfstoffe gegen das Corona-Virus zum Beispiel, die schnell verfügbar sein sollen. Comirnaty®, der erste in der EU zugelassene COVID-19-Impfstoff, war eines von insgesamt 13 Arzneimitteln, die letztes Jahr eine bedingte EU-Zulassung erhielten. Auch das waren deutlich mehr als in den Jahren zuvor.

Bedingte Zulassung: schnell und sicher

Für eine bedingte Zulassung müssen die normalerweise nötigen, umfangreichen Daten aus klinischen Studien noch nicht alle vorliegen, sondern können nachgereicht werden. Dazu ist der Hersteller verpflichtet. Tut er es nicht, ist die Zulassung weg. Das ist allerdings eher die Ausnahme. In der Regel erhalten bedingt zugelassene Arzneimittel eine dauerhafte Standardzulassung, wenn alle notwendigen Daten vorliegen und geprüft sind.

Auch wenn die Datenlage zunächst dünner ist: Eine bedingte Zulassung ist keine Zulassung zweiter Klasse, denn die Beurteilung der Daten erfolgt nach den gleichen Prinzipien wie im Standardprozess. Kernprinzip ist das Verhältnis zwischen Nutzen und Risiken eines Arzneimittels. Eine Zulassungsempfehlung gibt es nur, wenn der Nutzen überwiegt.

Wesentlicher Bestandteil der Beurteilung ist zudem die Art und Weise, wie Risiken gehandhabt, minimiert und überwacht werden. Das Risikomanagement wird zum Zeitpunkt der Zulassung vereinbart – und danach immer wieder geprüft.  

Priorität Patientensicherheit und Transparenz

Das gilt auch für Qualität, Sicherheit und Nutzen-Risiko-Verhältnis. Gemeinsam mit den Behörden der Mitgliedstaaten überwacht die EMA diese Faktoren auch nach der Zulassung kontinuierlich. Das ist ihre zweite zentrale Aufgabe neben der Prüfung und Zulassung von Arzneimitteln. Ziel des Monitorings ist es, die Nutzung von Medikamenten und Wirkstoffen zu optimieren, Nebenwirkungen zu vermeiden und damit für die Sicherheit der Patienten zu sorgen. Dazu kann die EMA eine ganze Reihe regulatorischer Maßnahmen ergreifen.

Sie kann zum Beispiel verlangen, dass auf der Basis neuer Sicherheitsdaten die Produktinformationen geändert werden müssen. 2020 war das für 490 zentral zugelassene Arzneimittel der Fall. Sie kann aber auch die Aussetzung oder Rücknahme eines Arzneimittels veranlassen, oder den Rückruf von Produktionschargen.

Basis dafür sind die jährlichen Empfehlungen zu Sicherheitswarnungen, die der Sicherheitsausschuss der EMA herausgibt. Die werden übrigens auch in die Produktinformationen von Tausenden national zugelassener Produkte aufgenommen, damit Patienten und Angehörige der Gesundheitsberufe fundierte Entscheidungen treffen und solide beraten können, wenn sie ein Arzneimittel verwenden, verschreiben oder abgeben.

Zwei weitere Kernaufgaben der EMA komplettieren schließlich die zentrale Mission, Sicherheit und Transparenz über den gesamten Lebenszyklus von Arzneimitteln hinweg zu gewährleisten: Das wissenschaftliche Beratungsangebot der EMA fördert Forschung und Innovation im Pharmasektor und unterstützt damit insbesondere kleine und mittlere Unternehmen bei der Entwicklung neuer Arzneimittel. Zudem veröffentlicht die EMA unparteiische und auch für Laien verständliche Informationen über Arzneimittel und deren zugelassene Anwendungen. Dazu gehören zum Beispiel Zusammenfassungen der wissenschaftlichen Beurteilungsberichte, die auch für Laien verständlich sind.

Pandemie mobilisiert Ressourcen

Dass 2020 für die EMA ein außergewöhnliches Jahr war, lag allerdings nicht nur an den generell steigenden Herausforderungen in ihren Kernaufgaben, sondern vor allem an den Herausforderungen durch die COVID-19-Pandemie. „Als wissenschaftliche Einrichtung für die Regulierung von Arzneimitteln hat die EMA eine wesentliche Rolle dabei zu spielen, dass Behandlungen und Impfstoffe zur Bekämpfung dieser neuen Krankheit so schnell wie möglich zugelassen werden. Und zwar ohne die EU-Standards für Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität zu gefährden.“ So umreißt EMA-Direktorin Emer Cooke im Jahresbericht die Aufgabe, mit der die Agentur seit Beginn der Pandemie konfrontiert ist.

Eine Aufgabe, die die EMA erstaunlich zielgerichtet und tatkräftig anging. Nur wenige Tage nachdem die Weltgesundheitsorganisation WHO den Ausbruch des neuen Corona-Virus als internationalen Gesundheitsnotfall eingestuft hatte, aktivierte die EMA am 4. Februar 2020 einen Aktionsplan zur Koordination von Gegenmaßnahmen und zur Entwicklung neuer Behandlungen und Impfstoffe. Zwei Monate später setzte sie die COVID-19-Taskforce ein. Die unterstützt Mitgliedstaaten und Europäische Kommission, damit Impfstoffe und therapeutische Arzneimittel gegen COVID-19 schnell und koordiniert entwickelt, genehmigt und überwacht werden.

Schnellere Verfahren – Modell für die Zukunft?

Und sie führte ein rollierendes Bewertungsverfahren ein, den Rolling Review. Er ist das wichtigste Instrument zur schnellen Zulassung von Impfstoffen und Therapeutika gegen COVID-19. Und er hat das Potenzial, künftig auch andere Zulassungsverfahren zu beschleunigen. Der Rolling Review nutzt das Prüfverfahren für bedingte Zulassungen (nicht alle Daten müssen vollständig vorliegen, Zulassung erfolgt vorläufig), setzt aber noch früher ein: Die EU-Experten prüfen Daten aus laufenden klinischen Studien, sobald diese zur Verfügung stehen.

Dafür muss es noch nicht einmal einen förmlichen Zulassungsantrag geben. Den stellt der Hersteller erst, wenn die EMA entscheidet, dass ausreichend Daten verfügbar sind. Der Antrag wird dann zudem nach einem verkürzten Zeitplan bearbeitet. So konnte zum Beispiel für den Impfstoff Comirnaty® und das COVID-19-Medikament Veklury® (Remdesivir) die Bewertung innerhalb von 150 Tagen abgeschlossen werden, statt der der sonst üblichen 210 Tage.

Für die Mitarbeiter und Experten der EMA stieg die Arbeitsbelastung dadurch aber enorm. Das weiß auch Taskforce-Chef Dr. Marco Cavaleri: „Für eine kurze Zeit hält man das durch. Die Leute arbeiten die Wochenenden durch,

machen keinen Urlaub. Aber wenn das Jahre so weitergeht, ist das ein Problem“, sagte der Impfstoffexperte, der seit fast 16 Jahren für die EMA arbeitet, vor kurzem in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. „Wir müssen darüber nachdenken, wie wir mehr Kapazitäten aufbauen und uns in Zukunft besser auf solche Krisen vorbereiten können,“ so Cavaleri.

„Wir müssen darüber nachdenken, wie wir mehr Kapazitäten aufbauen und uns in Zukunft besser auf solche Krisen vorbereiten können.“

Mehr Kompetenzen für besseres Krisenmanagement

Kapazitäten sind das eine Problem. Kompetenzen das andere. Immer wieder muss die EMA in der Pandemiebekämpfung Ad-hoc-Lösungen finden und umsetzen. Auch in Bereichen, für die sie eigentlich gar nicht zuständig ist. Ein Beispiel waren zu Beginn der Krise die Engpässe bei Arzneimitteln und bei Medizinprodukten wie etwa COVID-19-Test-Kits. Ein anderes ist der Mangel an Harmonisierung, der unter anderem dazu führt, dass klinische Studien zu Impfstoffen in jedem Mitgliedstaat separat genehmigt werden müssen.

Die EU-Kommission ist sich dieser Probleme bewusst und sie versucht sie anzugehen. Im November 2020 hat sie einen Gesetzesvorschlag auf den Weg gebracht, der das Mandat und damit die Zuständigkeiten der EMA in Krisenfällen ausweitet: Als erstes will die EU die Krisenvorbereitung verbessern. Dazu soll die EMA eine Datenbank aufbauen, über die Arzneimittelengpässe gemeldet und überwacht werden.

Parallel dazu sollen die EU-Mitgliedstaaten nationale Plattformen entwickeln, um die Arzneimittelversorgung in Echtzeit zu überwachen und so generell das Management von Arzneimitteln, medizinischen Geräten und Medizinprodukten zu verbessern. Zudem sollen hochrangig besetzte Lenkungsgruppen eingerichtet werden, die Kommission und Mitgliedstaaten beraten und unterstützen.

Zweites zentrales Ziel ist eine bessere Koordination und Transparenz bei klinischen Studien – vor allem in Krisenfällen. Dazu wird die Notfall-Taskforce zu einem festen Bestandteil der EMA. Sie kann im Krisenfall aktiviert werden und hat unter anderem die Aufgabe bei klinischen Studien und bei der Prüfung zur Zulassung von Arzneimitteln wissenschaftlich zu beraten, zu koordinieren und zu unterstützen. Zudem sollen mehr Informationen über die Studien und auch die Zulassungsentscheidungen der EMA veröffentlicht werden.

Auf dem Weg zur EU Gesundheitsunion

COVID-19 hat schmerzlich gezeigt, dass Europa auf grenzübergreifende Gesundheitskrisen nur schlecht bis gar nicht vorbereitet war. Das will und muss die EU ändern. Die Ausweitung des Mandats der EMA ist dabei nur eine von vielen Maßnahmen. Auch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) soll mehr Befugnisse bekommen und es wurde ein Gesetz zu grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren auf den Weg gebracht. Beide sollen – wie auch die Mandatserweiterung der EMA – bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein.

Zudem hat die EU eine neue Behörde für die Krisenvorsorge und Krisenreaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) installiert. Die hat ihre Arbeit bereits aufgenommen. Und 2022 steht im Rahmen der EU-Pharmastrategie eine Überarbeitung des Arzneimittelrechts an, bei der es unter anderem um eine krisenfeste und sichere Versorgung mit Arzneimitteln geht. Gesamtziel ist der Auf- und Ausbau einer EU-Gesundheitsunion, in der die Gesundheitssysteme aller Mitgliedstaaten fit sind für die Zukunft.

Die EMA auf einen Blick
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) ist eine dezentrale Agentur der Europäischen Union (EU). Sie ist zuständig für die wissenschaftliche Bewertung, Überwachung und Sicherheitsbeobachtung von Arzneimitteln in der EU – und zwar während ihres gesamten Lebenszyklus.

Gründung: 1995
Sitz: seit 2019 in Amsterdam (davor London; Umzug aufgrund des Brexits)

Aufgaben:
● Bewertung von Anträgen auf Marktzulassung
● Überwachung der Sicherheit von Arzneimitteln während ihres gesamten Lebenszyklus
● Wissenschaftliche Beratung, um Entwicklung von und Zugang zu Arzneimitteln zu erleichtern. Unternehmen und Forscher können schon frühzeitig im Entwicklungsprozess wissenschaftliche, rechtliche und regulatorische Themen mit der EMA abklären.
● Bereitstellung von Informationen für Angehörige der Gesundheitsberufe und Patienten

Arbeitsweise: Die EMA arbeitet eng mit den zuständigen Arzneimittelzulassungsbehörden der EU-Mitgliedsstaaten zusammen (In Deutschland: das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI)). Dieses Europäische Netzwerk für die Arzneimittelzulassung bündelt Ressourcen und Fachwissen in und verschafft der EMA Zugang zu Tausenden von europäischen Experten aus den Regulierungsbehörden der Mitgliedstaaten. Diese Experten sind es, die in den sieben wissenschaftlichen Ausschüssen der EMA Arzneimittel bewerten, über deren Zulassung entscheiden und sie danach kontinuierlich überwachen. Die nationalen Arzneimittelbehörden sind damit direkt in die Bewertungs- und Zulassungsentscheidungen der EMA eingebunden. 

Organe:
● Verwaltungsrat: 36 Mitglieder, die ernannt werden, um ausschließlich in öffentlichem Interesse zu handeln. Der Verwaltungsrat legt unter anderem den Haushalt der EMA fest, genehmigt das Arbeitsprogramm und ist verantwortlich dafür, dass die EMA effizient arbeitet.
● Exekutivdirektor: Aktuelle Direktorin ist die irische Pharmazeutin Emer Cooke. Als gesetzliche Vertreterin der EMA ist sie für alle operativen Angelegenheiten zuständig darunter auch die Erstellung des jährlichen Arbeitsprogramms.
● Sieben wissenschaftliche Ausschüsse: besetzt mit je einem Experten (und einem Vertreter) aus den Zulassungsbehörden jedes EU-Mitgliedstaats sowie aus Island und Norwegen, einer wechselnden Zahl unabhängiger Experten sowie 1-2 Vertretern von Patientenorganisationen und/oder aus den Gesundheitsberufen. Diese Expertengremien beurteilen die eingereichten Zulassungsanträge und erarbeiten damit die Basis für jede Arzneimittelzulassung in Europa.
● Facharbeitsgruppen unterstützten die Ausschüsse in spezifischen wissenschaftlichen Fragen.

Quellen:
EMA, Jahresbericht 2020 (in Englisch): https://www.ema.europa.eu/en/about-us/annual-reports-work-programmes 
EMA, Vom Labor zum Patienten - der Weg eines von der EMA bewerteten Arzneimittels (in 21 Sprachen): https://www.ema.europa.eu/en/about-us/what-we-do/authorisation-medicines 
Website der EMA (in Englisch): www.ema.europa.eu 
EU-Kommission, Verordnungvorschlag zu einer verstärkten Rolle der Europäischen Arzneimittel-Agentur bei der Krisenvorsorge und dem Krisenmanagement in Bezug auf Arzneimittel und Medizinprodukte: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A52020PC0725 
EU-Parlament, Pressemeldungen (in Englisch): COVID-19 lessons learned: stronger role for EU medicines regulator (22.06.2021):https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20210617IPR06466/covid-19-lessons-learned-stronger-role-for-eu-medicines-regulator 
Reinforcing the mandate for EU medicines Regulator (28.07.2021): https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20210701IPR07513/reinforcing-the-mandate-for-eu-medicines-regulator 
Deutschlandfunk, EMA in Amsterdam: Impfstoff-Schaltzentrale im Rampenlicht: https://www.deutschlandfunk.de/ema-in-amsterdam-impfstoff-schaltzentrale-im-rampenlicht.795.de.html?dram:article_id=498190 
Vfa-Patientenportal, Die Zulassung von Arzneimitteln: ein komplexer Prozess: https://www.vfa-patientenportal.de/arzneimittel/entwicklung-und-forschung/die-zulassung-von-arzneimitteln-ein-komplexer-prozess.html 

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