© Benis Arapovic / 123rf.com

Schädel-Hirn-Trauma

WIE AUS DEM NICHTS

Schwere Kopfverletzungen treten häufig als Folge von Unfällen oder Stürzen auf. Sie treffen überwiegend jüngere Menschen. Wie sie ausgehen, ist lange nicht abzusehen.

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Als ein Schädel-Hirn-Trauma wird eine Verletzung des Schädels bezeichnet, die mit einer Verletzung des Gehirns einhergeht. Die Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie geht von jährlich 400 Fällen pro 100 000 Einwohnern in Deutschland aus, 300 davon müssen stationär im Krankenhaus behandelt werden, bei 180 sind langfristige Schäden zu erwarten, 40 Patienten versterben an den Folgen. Bis zu einem Altern von 45 Jahren ist das Schädel-Hirn-Trauma sogar die häufigste Todesursache.

Primäre und sekundäre Verletzungen Die häufigsten Ursachen von Schädel-Hirn-Verletzungen sind laut Deutscher Gesellschaft für Unfallchirurgie vor allem Verkehrsunfälle und Stürze (20 Prozent). Außerdem kommen sie nach Schlägereien, epileptischen Anfällen und kurzzeitiger Bewusstlosigkeit etwa infolge eines Kreislaufkollapses oder von Herzrhythmusstörungen vor. Schließlich können auch Alkohol oder Drogen im Spiel sein.

Ärzte unterscheiden zwischen einem offenen und einem gedeckten Schädel-Hirn-Trauma. Von ersterem spricht man, wenn die Kopfhaut, der Schädelknochen und die Dura Mater (die äußere, harte Hirnhaut) verletzt sind und das Gehirn dadurch offen liegt. Bei einem gedeckten Schädel-Hirn-Trauma bleiben diese Strukturen unverletzt. In jedem Fall entstehen im Moment der Gewalteinwirkung die so genannten primären Schäden am Schädel und im Gehirn. Sie umfassen Verletzungen des Knochens, der Gefäße, der Hirnhäute und der Hirnsubstanz.

Ausgehend von den primären kommt es zu sekundären Schäden durch Blutungen, Schwellungen oder Hirnödemen. Die Gefahr: Weil das Gehirn vom Schädelknochen eingeschlossen ist, erhöht sich der Druck im Gehirn. Dadurch kann nicht mehr ausreichend frisches Blut zu den Zellen gelangen, was wiederum zu einem Sauerstoffmangel führt.

Regeneration fördern und Schäden vermeiden Neurone im zentralen Nervensystem sind nach einem irreversiblen Schaden unwiederbringlich verloren. Es ist das Ziel der Behandlung, denjenigen Zellen, die in einem Umfang geschädigt sind, dass sie noch regenerieren können, die optimalen Bedingungen dafür zu bieten. Zudem wird versucht, die sekundären Schäden und ihre Folgen so weit wie möglich einzudämmen. Um beides zu erreichen, muss die Sauerstoffversorgung des Gehirns optimiert werden.

Um die Schwellungen zudem so gering wie möglich zu halten, kann laut der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie versucht werden, dem Gehirn medikamentös Wasser zu entziehen; zusätzlich können Operationen, etwa zur Entfernung von Blutungen, nötig sein. Der Zweck eines künstlichen Komas, also einer Langzeitnarkose ist es, die Aktivität und damit auch den Sauerstoffbedarf des Gehirns zu reduzieren. Zusätzlich können durch das künstliche Koma die Stressreaktionen des Körpers abgemildert werden.

Helm auf!
Es kann jeden treffen. Plötzlich. So wie Michael Schumacher. Er war mit angemessener Geschwindigkeit und mit Helm unterwegs, als er beim Skifahren stürzte und unglücklich mit dem Kopf auf einen Stein schlug. Ohne Helm, sagen die Ärzte, hätte er den Sturz nicht überlebt. So hat er noch eine Chance: dass er wieder aus dem Koma erwacht und dass die Schäden, die das schwere Schädel-Hirn-Trauma in seinem Gehirn angerichtet hat, ihn – so wünschen es ihm alle – nicht (allzu sehr) beeinträchtigen werden.

Mit dem Ziel, den Sauerstoffbedarf zu verringern, wird auch die Körpertemperatur um ein paar Grad heruntergefahren. Die Schmerzen werden durch Schmerzmittel unter Kontrolle gehalten. Steigt der Druck im Gehirn trotz allem zu stark an, können die Ärzte eine sogenannte Entlastungskraniektomie durchführen: Bei dieser Operation entfernen sie einen Teil des Schädelknochens und öffnen die Dura mater. Wenn die Schwellung zurückgegangen ist, wird der Schädel wieder verschlossen.

Ausgang ungewiss Sobald wie möglich – also wenn die Schwellungen im Gehirn zurückgegangen und die Blutungen behandelt sind – werden die Ärzte den Patienten wieder aus dem künstlichen Koma aufwecken. Dies geschieht langsam, indem die Narkosemedikamente über mehrere Tage oder sogar Wochen ausgeschlichen werden. Dabei muss der Körper lernen, wieder selbst die Kontrolle über seine Funktionen wie etwa die Atmung zu übernehmen. Es ist möglich, dass der Körper mit Stress auf den Aufwachprozess reagiert – was es aber unbedingt zu vermeiden gilt.

Vielfach sind die Patienten zunächst orientierungslos, und die Rückkehr des Bewusstseins kann sich über einen längeren Zeitraum hinziehen. Es fällt ihnen schwer einzuordnen, was von ihren Erinnerungen tatsächlich passiert ist. Heute sind Experten überzeugt, dass eine freundliche Umgebung und auch die Anwesenheit von Angehörigen für die Patienten von großer Bedeutung sind.

Ein Problem während des Aufwachprozesses stellen Entzugserscheinungen dar, weil der Körper sich über längere Zeit an die Narkosemedikamente gewöhnt hat. Zudem tritt bei mindestens der Hälfte der Betroffenen ein Delir auf, das behandelt werden muss. Wieweit sich der Patient erholen wird, welche Funktionen zurückkehren und welche Folgeschäden bleiben, lässt sich oftmals erst mehrere Wochen oder Monate nach dem Erwachen aus dem Koma absehen.

Noch schwerer als Lähmungserscheinungen, Gleichgewichts- oder Empfindungsstörungen schränken häufig Störungen der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses, des Denkens und des Planens ein. Es kann passieren, dass sich die Persönlichkeit verändert. Abhängig von der betroffenen Region im Gehirn kann es außerdem zu einer Reihe weiterer Störungen kommen. Um den Patienten so weit wie möglich in die Lage zu versetzen, in sein Leben vor der Verletzung zurückzukehren, ist eine frühzeitige und intensive Rehabilitation essenziell.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 03/14 ab Seite 98.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

×