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Haben Sie Angst vor Doppelgängern?

WENN DIE KÖRPERFRESSER KOMMEN …

Menschen, die am Capgras-Syndrom leiden, erkennen zwar die Gesichter geliebter Personen, können aber nicht mehr glauben, dass es sich wirklich um diese handelt.

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Kennen Sie das auch? Die intensive, aber zugleich befremdliche Faszination, die von seltenen neurologischen Erkrankungen und ihrer teils bizarren Symptomatik ausgeht? Ein Beispiel hierfür ist das Capgras-Syndrom, bei dem Patienten den Eindruck haben, ihnen nahestehende Personen seien durch Doppelgänger ersetzt oder ihre Körper von Aliens übernommen wie in dem Science-Fiction-Klassiker „Die Körperfresser kommen“.

Doch anders als im literarischen Vorbild, das tatsächlich von einer Invasion Außerirdischer handelt, geht es beim Capgras-Syndrom freilich um eine Sinnestäuschung: Die Betroffenen erkennen zwar noch die Gesichter ihrer Lieben, doch sie haben irrigerweise den Eindruck, nicht den vertrauten Menschen vor sich zu haben, sondern einen Betrüger, der sich nur für die bekannte Person ausgibt – eine Wahnvorstellung, die sie bis zur Mordabsicht treiben kann! Dieses Symptom tritt gelegentlich im Zusammenhang mit Schizophrenie auf, kann aber auch isoliert vorkommen, etwa nach einem Schädel-Hirn-Trauma oder Schlaganfall.

Wie so oft bei derartigen neurologischen Erscheinungen führen sie uns nicht nur näher an ein Verständnis der Erkrankung an sich, sondern auch an ein Verständnis der Funktionsweise des Gehirns insgesamt heran. Aufschlussreich war in diesem Zusammenhang ein Vergleich des Capgras-Syndroms mit der sogenannten Prosopagnosie, also der Unfähigkeit, Gesichter zu erkennen.

Personen, die unter dieser Gesichtsblindheit leiden, erkennen zwar die Identitäten ihnen eigentlich bekannter Personen nicht mehr, ihr Körper zeigt aber beim Anblick dieser Gesichter dennoch autonome Reaktionen, etwa Veränderungen des elektrischen Hautwiderstandes, die er beim Anblick unbekannter Personen nicht zeigt. Das Gehirn erkennt die Gesichter also noch immer, allerdings wird dies den Patienten nicht mehr bewusst.

Beim Capgras-Syndrom hingegen scheint es sich umgekehrt zu verhalten: Sie erkennen zwar die Gesichter, doch die autonome Reaktion des Körpers bleibt aus. Ursache scheint eine Störung der Kommunikation zwischen einem Teil der Großhirnrinde im Bereich des Schläfenlappens , der für die visuelle Gesichtererkennung zuständig ist, und der Amygdala, einem Teil des limbischen Systems, der eine Rolle bei der Speicherung emotionaler Gedächtnisinhalte spielt, zu sein.

Eine plausible Hypothese zur Erklärung ist daher, dass die Patienten zwar die Gesichter erkennen, ihnen aber die für die jeweilige Person gewohnte emotionale Bedeutung nicht mehr zuordnen können. Die Betreffenden kommen ihnen daher fremd vor. Da das Gehirn stets versucht, die ihm zur Verfügung stehenden Informationen sinnvoll zu deuten, kommt es konsequenterweise zu dem Schluss, einem Doppelgänger gegenüberzustehen. Bei Unbekannten, die ohnehin keine autonomen Reaktionen auslösen, bleiben dieser Informationskonflikt und damit auch die Fehlinterpretation aus. Man könnte sagen, von wem ich nichts weiß, der macht mich nicht heiß – kennen Sie das auch?

Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg
sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg.
Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 04/15 auf Seite 12.

 


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