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Was hat der Magen mit dem Gehirn zu tun?

VOLLER BAUCH STUDIERT NICHT GERN

Ghrelin, ein vom Magen vor den Mahlzeiten produziertes Peptidhormon, löst Hungergefühl und Appetit aus, beeinflußt aber auch kognitive Vorgänge im Gehirn.

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Kennen Sie das auch? Sie sind im Lernstress und müssen sich auf eine Prüfung vorbereiten, für die Sie unheimlich viel Stoff zu büffeln haben. Sie arbeiten auch fleißig und diszipliniert, stehen früh auf, schaffen am Vormittag ein großes Pensum und begeben sich dann nach einigen Stunden mit gutem Gewissen in Ihre wohlverdiente Mittagspause. Doch nach dem Essen müssen Sie feststellen, daß Sie mit dem Lernen viel schlechter vorankommen als noch vor der Pause. Das alte Sprichwort ‚Voller Bauch studiert nicht gern’ kommt Ihnen in den Sinn und Sie fragen sich, woran das eigentlich liegt.

Ein Schlüssel zu dieser Verbindung liegt in der Funktion des Ghrelins. Dabei handelt es sich um ein kleines, aus 28 Aminosäuren bestehendes Peptid, das von den Belegzellen des Fundus bei leerem Magen produziert wird und primär durch Auslösen von Appetit und Hungergefühl die Nahrungsaufnahme reguliert. Wie die meisten Hormone gelangt Ghrelin in die Blutbahn und erreicht auf diesem Wege auch das Gehirn. Hier ist es in der Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden, sodass es potenziell auch hier seine Wirkungen entfalten kann. Tatsächlich konnten in einer Reihe von Hirnstrukturen Ghrelinrezeptoren gefunden werden, etwa im Hypothalamus, Kortex und Hippocampus.

Insbesondere die beiden letztgenannten Strukturen spielen eine zentrale Rolle bei der Langzeitgedächtnisbildung: Der Hippocampus stellt dabei so etwas wie einen Flaschenhals dar, den Informationen passieren müssen, ehe sie im Kortex abgespeichert werden können. Beidseitige Läsionen des Hippocampus führen denn auch zu einer anterograden Amnesie, bei der neue Informationen nicht mehr länger als ein paar Minuten gespeichert werden können, die Patienten also den Rest ihres Lebens in der Gegenwart des Tages ihrer Verletzung verharren.

Im Tierexperiment konnte nachgewiesen werden, dass Ghrelin die Bildung neuer Synapsen fördern bzw. die Übertragungsstärke an bestehenden Synapsen im Hippocampus verändern kann – beides zentrale Mechanismen von Lernen und Gedächtnis. Auch im Verhalten zeigten die mit Ghrelin behandelten Tiere verbesserte Gedächtnisleistungen. Neben diesen direkten Auswirkungen auf Lern- und Gedächtnisleistungen konnte des Weiteren gezeigt werden, dass Ghrelin die durch chronischen Stress hervorgerufenen Angstzustände und Depressionen zu lindern vermag und so eine erhöhte Stresstoleranz bewirkt.

Diese beiden Mechanismen zusammengenommen, Förderung von Lern- und Gedächtnisleistungen und erhöhte Stresstoleranz, könnten also die Ursache dafür sein, dass das Lernen vor dem Essen, wenn der Ghrelinspiegel im Blut hoch ist, so gut funktioniert. Nach dem Essen, wenn der Ghrelinspiegel sinkt, fehlen dann diese positiven Wirkungen und das Lernen fällt schwerer. Vielleicht ist es also besser, die Pause etwas zu verlängern, bis der Magen sich wieder leert und erneut Ghrelin ausschüttet – aber so kennen Sie das ja vielleicht auch…

ZUR PERSON
Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg. Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 04/11 auf Seite 12.

Prof. Dr. Holger Schulze

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