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Repetitorium

VIREN – TEIL 2

Man könnte meinen, SARS-CoV-2 sei das einzige gefährliche Virus – weit gefehlt. Im Schatten von Corona lauern viele Killer. Wie infiziert man sich mit Viren und warum verlaufen manche Virosen harmloser als andere?

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Machen wir uns nichts vor, sie sind immer da. Auch schon vor den Zeiten, als das Tragen von Mund-Nasen-Schutz Pflicht war, wären die aktuellen Hygiene-Maßnahmen sinnvoll gewesen. So verzeichnen Arztpraxen aktuell auch einen Rückgang von Atemwegsinfekten, Erkältungen oder anderen banalen Virusinfekten. Die kleinen Biester infizieren uns häufiger als wir glauben: Fast jeder Erwachsene in Europa ist latent mit dem Herpes-simplex-, Cytomegalie- oder Herpes-Zoster-Virus infiziert. Die gute Nachricht: Virusinfektionen mögen deutlich häufiger auftreten als beispielsweise solche mit Pilzen oder Bakterien, verlaufen in der Regel aber auch harmloser beziehungsweise limitieren sich selbst.

Dennoch: Wenn es einer ernst meint, sind die Folgen häufig schwerwiegend – wie sonst erklärt sich die intensive Suche nach Impfstoffen und medikamentösen Therapien gegen einige Virusinfekte? Und die Suche lohnt sich: Beispielsweise Pocken konnten durch einen Impfstoff bereits ausgerottet werden. Doch wie Impfungen oder Arzneimittel wirken und eingesetzt werden, wird erst Thema des dritten Repetitoriumteils sein. Jetzt geht es erst einmal um Infektionswege, Diagnostik und Infektionsverläufe.

So findet das Virus seinen WegDringt ein Virus in seinen Wirt ein, spricht man von einer Virusinfektion. Diese kann, muss aber nicht, eine Infektionskrankheit nach sich ziehen. Dabei können typische Symptome auftreten, aber auch symptomfreie Infektionen sind möglich. Manche Infektionen verlaufen auch schleichend, dann spricht man von einer Slow-Virus-Infektion, die gekennzeichnet ist durch eine sehr lange Inkubationszeit, das Zentrale Nervensystem betrifft und in den meisten Fällen tödlich endet – ein Beispiel wäre eine spezielle Form der Hirnhautentzündung, ausgelöst durch das Masernvirus.

Doch dazu muss es erst einmal an seinen Wirt drankommen, also durch die Luft, Körperflüssigkeiten oder auf anderen Wege in den Organismus aufgenommen werden. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten:

Tröpfcheninfektion: Mumps, Masern, Röteln, Windpocken – es sind meistens die Kinderkrankheiten mit dermalen Symptomen, die sich durch eine Tröpfcheninfektion manifestieren. Doch auch die klassischen Erkältungskrankheiten oder Covid-19 verbreiten sich auf diesem Weg. Durch einen herzhaften Nieser oder feuchten Huster gelangen die Viren in einem feinen Sekretnebel (Aerosol) in die Atemwege eines neuen Wirts. Kleinere Partikel halten sich dabei zwar länger in der Luft, größere hingegen können besser in die Atemwege eindringen und enthalten mehr Erreger, wodurch sie insgesamt als infektiöser bewertet werden. Befinden sich auf den Schleimhäuten des neuen Wirts genügend Erreger – die Zahl ist von Virus zu Virus unterschiedlich – kann die Invasion starten. Die meisten Epidemien oder Pandemien verbreiten sich auf diesem Weg. Die Präventionsmaßnahmen können wir mittlerweile alle im Schlaf aufsagen: Hustenetikette, Abstand halten, Mund-Nasen-Schutz tragen.

Kontaktinfektion: Das Virus geht direkt auf den neuen Wirt über, wird also von Person zu Person durch Körperkontakt weitergegeben, zum Beispiel beim Händeschütteln oder durch Schleimhautkontakt beim Küssen. Es stellt den wichtigsten Infektionsweg für empfindliche Viren dar, die außerhalb ihres Wirts nicht lange überleben können. Dazu zählen auch die Viren, die durch den Austausch von Körperflüssigkeiten wie Speichel, Blut oder Sexualflüssigkeiten übertragen werden: HIV, Hepatitis-​B- und -C-Viren oder Herpes-simplex-Viren. Schutzkleidung, Handschuhe und regelmäßiges Hände- waschen schützen vor Kontaktinfektionen.

Schmierinfektion: Dieser Weg wird häufig in einem Atemzug mit Kontaktinfektionen genannt, unterscheidet sich aber dadurch, dass die Übertragung indirekt, also durch mit Körpersekreten verunreinigte Oberflächen erfolgt. Wer sich also beherzt in die Hand niest und danach eine Türklinke anfasst, schafft beste Voraussetzungen für eine Schmierinfektion. Typische Erreger, die man sich auf diesem Weg fangen kann, sind Noroviren oder andere Magen-Darm-Erreger sowie Erkältungsviren. Also: Händewaschen und in der Erkältungszeit regelmäßig Türklinken, Tastaturen oder Telefone desinfizieren.

Nahrungsmittelinfektion: Wie der Name verrät, sind hier infizierte Lebensmittel an der Übertragung beteiligt. Diesen Weg nutzen zwar vorzugsweise Bakterien wie Salmonellen oder Listerien, aber auch so mancher Virus – zum Beispiel das Noro- oder Rotavirus.

Infektion durch blutsaugende Insekten: Nicht nur, dass die Einstichstelle häufig juckt oder brennt, auch so manche Infektion kann man sich durch Blutsauger einfangen. Zusammenfassend ist auch häufig von vektoriell übertragenden Infektionen die Rede. Der Vektor ist dabei ein Organismus, der das Virus (oder allgemein den Erreger) zu einem Wirt überträgt. Typische Vektoren sind die Tsetsefliege, Zecken oder die Sandmücke. Sie bleiben selbst zwar fit, infizieren uns Menschen allerdings mit Malaria, Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) oder Leishmaniose. Die beste Prophylaxe stellt demnach der Schutz vor einem Stich dar – beziehungsweise, im Fall der FSME, eine Impfung.

Komplett oder nur teilweiseDas Virus hat es also auf unseren Körper geschafft – und wie kommt es rein? Die häufigsten Pforten sind die Atemwege, also durch die Nase oder den Mund beziehungsweise Rachen. Aber auch verletzte Haut oder Schleimhaut bieten Risse in unserem Schutzwall, ebenso das Auge oder der Magen-Darm-Trakt. Aber nicht jede Infektion muss generalisierte Auswirkungen haben, also mehrere Körperorgane betreffen. Ein Virus kann sich auch auf ein bestimmtes Areal beschränken. Demnach lassen sich Infektionen in systemisch oder lokal unterscheiden. Während sich eine systemische Infektion munter im ganzen Körper verbreitet – das vermag beispielsweise das HI-Virus – wüten andere Viren lediglich an ihrer Eintrittspforte beziehungsweise der direkten Umgebung. So begnügen sich viele Erkältungsviren mit den oberen Atemwegen. Sobald die Haut – zum Beispiel durch Varizellen oder das Masern-Virus – oder das ZNS betroffen sind, spricht man immer von generalisierten Infektionen.

Zeig dich, Virus Bei banalen Virusinfekten stehen immer noch die Anamnese und der allgemeine Gesundheitszustand im Vordergrund. Ein erfahrener Arzt erkennt auch ohne Abstrich einen Erkältungsinfekt und vermag ihn von einer Influenza abzugrenzen. Würde bei jedem Arztbesuch ein Laborbefund anstehen, würden zentrale Sammelstellen wohl schlicht irgendwann zusammenbrechen. Bei Unsicherheiten oder Verdacht auf schwerwiegende Infektionen oder Infektionen mit meldepflichtigen Viruserkrankungen greift man jedoch auf Labortechniken zurück, um ganz klar Gewissheit zu haben – und das gilt nicht nur für das Coronavirus.

Auch wird unter Umständen prophylaktisch nach Viren gefahndet, wenn diese in bestimmten Lebenssituationen gefährlich werden könnten – beispielsweise Cytomegalie- oder Ringelrötelviren in der Schwangerschaft – oder um die Immunkompetenz gegen ein bestimmtes Virus abzuklären, sodass man sich eine Auffrischungs-Impfung sparen kann. Doch wonach sucht man eigentlich? In einem frühen Infektionsstadium lohnt sich der direkte Erreger- beziehungsweise Antigennachweis. Dabei lassen sich je nach Typ einzelne Virusproteine oder das Genom des Virus nachweisen. Je nach Erregerdichte lassen sich die Partikel unter dem Elektronenmikroskop erblicken oder mit Hilfe verschiedener Immunassays sichtbar machen.

Ein gängiger Assay, den Sie vom Prinzip her auch aus der Praxis kennen, ist der ELISA (Enzyme-linked Immunosorbent Assay). Dabei macht man sich das Schlüssel-Schloss-Prinzip einer Antigen-​Antikörper-Reaktion zu Nutze: Kennt man das Antigen (also zum Beispiel die Struktur eines spezifischen Virusproteins), entwickelt man einen passenden Antikörper dazu. An diesen bastelt man dann noch einen fluoreszierenden Farbstoff oder ein Enzym. Ist das Antigen in der Probe vorhanden, verbinden sich die beiden Teile und lösen eine Reaktion aus, die sichtbar ist. Auf diesem Weg kann das Virus direkt identifiziert werden. Sie kennen das Prinzip vom Schwangerschaftstest: Ist HCG im Urin, erscheint ein Strich, wenn nicht, bleibt das Feld leer.

Das bekannteste Beispiel für den Genomnachweis ist wohl die PCR (Polymerase Chain Reaction oder Polymerase-Kettenreaktion), das Verfahren ist für fast alle humanpathogenen Viren etabliert. Dabei werden mit Hilfe des Enzyms Polymerase bestimmte Genabschnitte in der Virus-DNA vervielfältigt und anschließend charakterisiert. Das Erbgut von RNA-​Viren muss zuvor in DNA umgeschrieben werden, dazu kommt eine Reverse Transkriptase zum Einsatz. Im fortgeschrittenen Stadium einer Infektion oder wenn die Infektion vielleicht schon durchgemacht wurde, werden eher spezifische Antikörper der Immunabwehr nachgewiesen. Das liefert natürlich nur bedingt eine Aussage zu einer akuten Infektion, jedoch sind häufig Antikörper der Klasse IgM in der Akutphase nachweisbar – diese sollten aber nicht überinterpretiert werden, denn ihre Bestimmung ist mit Risiken behaftet.

So finden sich auch häufig nach einer erfolgreich durchlebten Infektion noch IgM-​Antikörper. Ein enormer Anstieg kann allerdings ein Hinweis auf eine frische oder wiederkehrende Infektion sein. Der Nachweis von IgG lohnt sich im Grunde nur zum Nachweis einer zurückliegenden Infektion oder zur Bestimmung des Impfstatus. Auch hierbei kommen mittlerweile verschiedene Immuno-Assays zum Einsatz, nur ist das Grundprinzip dem Antigennachweis entgegengesetzt: Statt mit Antikörpern Antigene zu fangen, fängt man nun mit Antigenen Antikörper und lässt sich dies durch eine Fluoreszenzmarkierung aufzeigen.

Mit Hilfe verschiedener Immunassays lassen sich akute wie durchlebte Virusinfekte bioanalytisch nachweisen.

Die Killer Das Ziel eines jeden Virus ist eigentlich die unbegrenzte Vermehrung und Übertragung auf weitere Wirte. Praktisch wäre es also, wenn der Wirt nicht sofort stirbt, sobald eine Infektion geglückt ist. Rhinoviren gelten diesbezüglich als evolutionäre Meister und haben einen entscheidenden Vorsprung: Sie sind massenhaft über den gesamten Globus verteilt und eine Infektion limitiert sich in der Regel selbst, der Wirt nimmt dabei keinen bleibenden Schaden. In dieser Zeit hat der Wirt – manchmal sogar unbemerkt – munter zur Virusverbreitung beigetragen. Komplizierte Viruserkrankungen sind eigentlich immer durch eine Sekundärinfektion aufgrund eines geschwächten Immunsystems, zum Beispiel durch Bakterien, zu erklären.

Oder wie heißt es umgangssprachlich: Ein Schnupfen bleibt unbehandelt sieben Tage, behandelt eine Woche. Auch Warzen-Viren oder das Herpes-simplex-Virus nähern sich dem Gipfel der Anpassung. Aber warum verlaufen manche Virusinfekte dann alles andere als harmlos oder sogar tödlich? Diese Viren hängen einfach noch zurück – sie haben sich noch nicht optimal an ihren Reservoirwirt angepasst. Die ausgelösten Krankheiten sind meist nur ein ungewollter Nebeneffekt, für den der Wirt, aber auch das Virus büßen müssen.

Sie schwappen meist von einem Wirt, an den sie sich bereits gut angepasst haben, unbeabsichtigt auf den Menschen über und lösen so Krankheitsverläufe mit hoher Sterblichkeitsrate aus. In der Top-Five der Killer-Viren, gegen die auch heute einfach noch kein Kraut gewachsen ist, stehen das Dengue-, Ebola-, Influenza-, HI- und das Coronavirus. So negativ wollen wir allerdings nicht enden, denn die Wissenschaft forscht – und sie hat schon einiges erreicht. Wie der aktuelle Stand zu Virustatika, Impfungen und Therapien ist, erfahren Sie im dritten und letzten Teil unseres Repetitoriums Viren. In diesem Zuge stellen wir auch ein paar populäre Virusvertreter vor.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 08/2020 auf Seite 92.

Farina Haase, Apothekerin/Online-Redaktion

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