© Die PTA in der Apotheke

Kommentar

ÜBERRASCHEND RATLOS

von Claus Ritzi Pharmajournalist (wdv)

Seite 1/1 3 Minuten

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Der Schock saß tief, als am Mittwoch, den 19. Oktober, vom Europäischen Gerichtshof verkündet wurde, dass die verschreibungspflichtigen Medikamente für ausländische Wettbewerber von der Preisbindung befreit werden. Dass die ABDA darauf mit „Entsetzen“ reagierte, ist überaus verständlich, zumal die Preisbindung für Rx- Arzneimittel für die deutschen Präsenzapotheken weiterhin gültig ist und somit ganz klar eine ungerechte Wettbewerbsverzerrung stattfindet – eine Inländerdiskriminierung der deutschen Apotheken. Soweit die Binnensicht.

Aus Sicht eines chronisch kranken Parkinson-Patienten etwa sieht die Sache aber schon ganz anders aus: Er ist erleichtert, dass er für seine teuren Medikamente Rx-Boni beispielsweise bei DocMorris erhält. Tatsächlich hatte der fixe Versandhändler sofort nach der Urteilsverkündung eine Kampagne am Start, die mit Preisnachlässen warb. Auf Seiten der ABDA dagegen war lediglich ein verzweifelter, an die Politik gerichteter Hilferuf zu hören, man möge doch jetzt bitte den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten verbieten.

ABDA-Präsident Friedemann Schmidt sollte wissen, dass diese Forderung aller Wahrscheinlichkeit nach verpuffen wird und nichts weiter ist als frommes Wunschdenken. Gab es wirklich keine andere Option, als diese Nebelkerze zu werfen?

Während nämlich renommierte juristische Experten vor dem Urteil davon ausgingen, dass der Fall so durchaus eintreten könnte, ignorierte man bei der Standesvertretung diese Gefahr offenbar komplett. Völlig ungeniert ließ man verlauten, für die jetzige Situation „keinen Plan B“ in der Tasche zu haben.

Über diese Aussage kann man nur den Kopf schütteln. Ist es nicht die originäre Aufgabe einer berufspolitischen Standesvertretung für jegliche nur denkbare Situation eine Handlungsalternative zu haben? Übrigens haben die Apotheker- Lobbyisten vor gar nicht allzu langer Zeit schon einmal einen Flop abgeliefert: So müssen die deutschen Pharmazeuten in Sachen Medikationsplan derzeit zuschauen, wie die Ärzte dieses Themengebiet dominieren. Auch vor diesem Hintergrund hätte ihnen ein zweiter Fehler in dieser Dimension einfach nicht passieren dürfen.

Dass diese Fehler gemacht wurden, ist allerdings kaum verwunderlich, wenn man sich das Selbstbild der ABDA vor Augen führt. So hatte ihr Präsident gerade auf dem Apothekertag seine Mission mit einer Bergtour verglichen, bei der man den Gipfel mit einer in ihrer Leistungsfähigkeit völlig disparaten Reisegruppe – also den Apothekern – gemeinsam oder „gar nicht“ erklimmen werde. Wäre ich ein Apotheker, hätte ich von meinen Standesvertretern ein völlig anderes Anforderungsprofil erwartet: Nämlich, dass sie als Späher und Vorhut den Dschungel des globalen Gesundheitsmarktes nach Chancen und Möglichkeiten durchkämmen.

Das Rx-Boni-Desaster könnte nun – sollten sich die politischen Rahmenbedingungen nicht ändern – tatsächlich zu einem spürbaren Apothekensterben führen, da insbesondere kleinere Apotheken den Wettbewerb mit DocMorris und Co. vermutlich verlieren werden. Fatalerweise haben auch weite Kreise der Bevölkerung keinerlei Mitleid mit den Apothekern und verweisen darauf, dass man sich in allen Branchen dem Wettbewerb stellen muss. Ohne ein politisches Supertalent zu sein, hätte man erkennen können, dass der Trend zur Globalisierung auch bedeutet, dass Handelshemmnisse mehr und mehr abgebaut werden – und somit das Urteil gar nicht so überraschend kam, wie es nun von den Standesvertretern suggeriert wird.

So derartig überrascht kann nur derjenige sein, der jahrelang in einer gemütlich geschützten Nische vor sich hingelebt hat. Aber was wäre denn die Alternative gewesen, wenn die Standesvertretung nicht so beamtenmäßig agiert hätte, wie sie es nun einmal getan hat? Dann hätte sie mit derselben Kampagnen- Wucht mit der die Doc- Morris-Strategen agieren, der Bevölkerung viel intensiver vermitteln müssen, dass die persönliche Beratung beispielsweise auch für chronisch kranke Menschen unersetzlich ist.

Und selbstredend hätten die Lobbyisten schon vor Jahren mit massivem Nachdruck und klaren Konzepten von der Politik fordern müssen, Beratungsleistungen auch angemessen zu vergüten. Wenn es nämlich nicht mehr nur um den Verkauf von Arzneimitteln geht, wäre auch die kleinste Apotheke noch in der Lage, in Konkurrenz zu mehr oder weniger anonymen Versendern zu treten. 

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/16 auf Seite 156.

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