Politik

ÜBERBLICK ZUR AUT-IDEM-SUBSTITUTION

Ärzte, Krankenkassen, Patienten, Pharmaindustrie und Apotheker – da man es allen recht machen wollte, entstand ein Kompromiss, der von Beginn an Probleme bei der Umsetzung verursachte.

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Drehen wir zum besseren Verständnis die Zeit zurück. Das Jahr 2002 war die Geburtsstunde des Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetzes und zugleich der Substitutionsregelung. Nach heftigen Diskussionen wurde eine Regelung getroffen, die besagte, dass Apotheken zur Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels dann verpflichtet sind, wenn der Arzt einen Wirkstoff oder kein preisgünstiges Arzneimittel verordnet und den Austausch nicht ausdrücklich ausschließt.

Die Definition für „preisgünstig“ lieferte der Gesetzgeber gleich mit: Die obere Preislinie errechnete sich als „das untere Drittel des Abstandes zwischen dem Durchschnitt der drei niedrigsten Preise und dem Durchschnitt der drei höchsten Preise wirkstoffgleicher Arzneimittel“. Die komplizierte Kompromissformel provozierte Ausweichreaktionen der Pharmaindustrie. Denn durch Phantasiepreise für Arzneimittel ohne Marktbedeutung ließ sich die „Preisdrittellinie“ fast beliebig manipulieren.

GKV-Modernisierungsgesetz Ab April 2004 waren Substitutionen nach Vorgaben des Rahmenvertrages zwischen Apotheken und Krankenkassen auszuführen. Ein unter der Wirkstoffbezeichnung verordnetes Arzneimittel war danach durch eines der drei preisgünstigsten Arzneimittel zu ersetzen. Wurde ein konkretes Handelspräparat verordnet und dessen Austausch durch den Arzt nicht ausgeschlossen, standen das verordnete Arzneimittel und die drei preisgünstigsten Arzneimittel zur Verfügung, die in Wirkstärke und Packungsgröße identisch sowie für den gleichen Indikationsbereich zugelassen waren und ferner die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besaßen.

Die Substitutionsregeln wurden also mit dem GKV-Modernisierungsgesetz nicht nur vereinfacht – die Ermittlung der Preisdrittellinie entfiel –, sondern für Apotheken auch erweitert. Allerdings fehlten Anreize, besonders preiswerte Arzneimittel abzugeben. Es kam, wie es kommen musste. Der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen meldete sich zu Wort und wies darauf hin, dass im generikafähigen Markt vielfach „ein Rabattwettbewerb um die Gunst der Apotheken statt eines Preiswettbewerbs zugunsten von Krankenkassen und Verbrauchern“ stattfand. Die Folge: Mit dem Arzneimittelversorgungswirtschaftlichkeitsgesetz wurden im Jahr 2006 Naturalrabatte an Apotheken verboten.

GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz Bei Vorliegen eines Rabattvertrags zwischen einer Krankenkasse und einem Hersteller wurden nunmehr die Apotheken verpflichtet, innerhalb der Aut-idem-Substitution ein wirkstoffgleiches Rabattpräparat abzugeben, d.h. dem rabattierten Präparat „absolute Vorfahrt“ zu gewähren. Der Erfolg der Verknüpfung von Rabattregelung und Substitutionspflichten der Apotheken ließ nicht lange auf sich warten. Die Zahl der Rabattverträge und die auszutauschenden Arzneimittel nahmen sprunghaft zu.

Auszutauschen sind seither vor allem Generika. Nichtsdestotrotz blieb die Substitutionsregelung auf der gesundheitspolitischen Agenda. Denn Diskussionen über die „Spielregeln“ beim Austausch flammten immer wieder auf. Kassen und Hersteller stritten vor allem über die schwammigen Formulierungen wie „gleicher Indikationsbereich“ und „identische Packungsgröße“.

AMNOG Klarheit brachte nun die am 1. Januar mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz getretene Neuregelung zur Aut-idem-Austauschverpflichtung nach § 129 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Um die Rabattverträge leichtgängiger zu machen, wurde festgelegt, dass die Apotheken ein Arzneimittel abzugeben haben, das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch ist, für ein gleiches Anwendungsgebiet zugelassen ist und die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt. Damit ist der Streit vom Tisch, ob die Indikationsgebiete von verordnetem und abgegebenem Arzneimittel übereinstimmen müssen. Es genügt, wenn ein Anwendungsgebiet gleich ist. Für die Patienten kann dies bedeuten, dass die vom Arzt diagnostizierte Krankheit im Beipackzettel nicht in jedem Fall aufgeführt ist.

Als identisch gelten Packungsgrößen mit dem gleichen Packungsgrößenkennzeichen. Maximal zulässige Abweichungen, zum Beispiel 20 Prozent Überschreitung nach unten und oben für N 1, sollen den Austausch erleichtern. Zudem wurde mit dem AMNOG die Verpflichtung zur vorrangigen Abgabe von patentgeschützten und importierten Arzneimitteln, für die ein Rabattvertrag besteht, an Versicherte der jeweiligen Krankenkasse hergestellt. Voraussetzung für die Austauschpflicht der Apotheke ist, dass das rabattierte Arzneimittel nach Abzug des Rabatts preisgünstiger ist.

Der Kunde zahlt Seit Anfang des Jahres haben die Apotheken zudem die Möglichkeit, auf Wunsch des Patienten ggf. nicht das Rabattarzneimittel, sondern das gewünschte Arzneimittel abzugeben. Der Patient muss das Medikament zunächst voll bezahlen und kann dann die Rechnung bei seiner Kasse einreichen. Inwieweit sich diese Mehrkostenregelung in der Praxis durchsetzt, bleibt abzuwarten, denn der Erstattungsbetrag wird die Auslagen der Patienten nicht decken. Das Nähere zur Substitution und zur Mehrkostenregelung wird im neuen Rahmenvertrag zwischen GKV-Spitzenverband und Deutschem Apothekerverband geregelt. Es bleibt abzuwarten, ob diese neue Austauschregelung länger gültig bleibt als die bisherigen Vorläuferversionen.

Den vollständigen Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 02/11 ab Seite 56.

Dr. Michael Binger, Hessisches Sozialministerium

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