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Bücher, von denen man spricht

ÜBER DIE HEILPFLANZENKUNDE

Wer das Lehrbuch von Ursel Bühring über die Heilpflanzenkunde liest, sollte sich auf Überraschungen gefasst machen. Es ist nämlich so spannend wie ein 800 Seiten langer Roman.

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Als PTA erinnern Sie sich: Auf dem Lehrplan in der PTA-Schule standen „Botanik“ und „Drogenkunde“ mit mehr oder weniger prickelnden Inhalten, die gleichwohl wichtig für die berufliche Ausbildung waren. In der Apotheke sind Phytotherapeutika oft ein wenig Nebensache, wenn der Kunde „was Pflanzliches“ wünscht, und das Mischen von Heilpflanzentees wird in mancher Offizin schon gar nicht mehr angeboten, da sich das Horten von Kamille, Weißdorn und Co in den großen Blechdosen kaum noch lohnt: Zu oft ist das Verfallsdatum erreicht, bevor die Drogen aufgebraucht sind. Mit dem Ergebnis, dass sie verworfen werden müssen.

Seriöse Phytotherapie Ursel Bühring, die fast zwei Jahrzehnte die renommierte Freiburger Heilpflanzenschule geleitet hat, ist den Pflanzen sozusagen verfallen und steckt so tief in dem Thema wie kaum jemand anderes in der Republik. Das merkt man ihrem Praxisbuch an. Im Wissenschaftsverlag Haug verlegt, bietet das laut Cover „Rundum-Paket des Heilpflanzenwissens“ schon in der 4. Auflage alles, was PTA, Apotheker und Ärzte wissen müssen – samt Therapieplan, der durch Studienergebnisse und Kommission E untermauert wird. Denn, so seufzt das ehemalige Kommissions-Mitglied Josef Karl im Vorwort: „Die esoterische Pflanzenliteratur ist gut gemeint, aber für die Praxis zum größten Teil unbrauchbar. Altes und Obskures klingt zwar durchaus interessant, doch damit arbeiten kann man nicht.“

So führt denn das wohlbeleibte Buch erst einmal durch ein paar Jahrtausende Pflanzenheilkunde. In einer Zeit, in der es keine Pharmazie aus dem Chemie-Labor gab, galt Paracelsus‘ Satz: „Alle Wiesen und Matten, alle Berge und Hügel sind Apotheken.“ Um 1800 kam die Pflanzenheilkunde unter anderem durch Sebastian Kneipp und Johann Künzle ganz groß in Mode, wobei letzterer voller Überzeugung äußerte: „Das Pflanzenwissen hat mir fürs praktische Leben mehr genützt als Homer und Virgil.“

Heute definiert das zuständige deutsche Kuratorium die Phytotherapie so: Sie „ist nicht Alternative, sondern Teil der heutigen naturwissenschaftlich orientierten Medizin. Sie schließt therapeutische Lücken und bietet ergänzende oder adjuvante Möglichkeiten bei der Behandlung und Vorbeugung akuter und chronischer Krankheiten.“ Doch welche PTA, welcher Apotheker weiß schon aus dem Stegreif die passende Teemischung, Urtinktur oder den Pflanzenextrakt, wenn der Kunde nach Präparaten aus der Botanik gegen Wechseljahresbeschwerden, Gedächtnisstörungen oder Blasenentzündung fragt. Damit das pharmazeutische Fachpersonal Antworten und Empfehlungen parat hat, sollte eigentlich in jeder Apotheke ein solches Buch stehen. Zwei Beispiele sollen das verdeutlichen.

Ginseng Präparate aus Ginseng radix, der aufbereiteten Wurzel des asiatisch/eurasischen Araliengewächses, werden je nach Diagnosestellung manchmal sogar von den Krankenkassen erstattet. Zahlt der Kunde es privat, ärgert er sich manchmal über den stattlichen Preis. Doch der wird verständlich, wenn man die Gewinnung des Gewächses betrachtet. Denn die Wurzel ist schwer zu kultivieren und wächst nur ganz langsam – so langsam, dass ihr Gewicht früher mit reinem Silber aufgewogen wurde. Noch heute kosten 50 Gramm (g) einer bestimmten Sorte bis zu 100 Dollar. Die Kostbarkeit der Wurzel war auch der Grund, weshalb lange Zeit größere Studien ausblieben: Sie waren einfach zu teuer. Mittlerweile ist dieser Umstand behoben; der echte Ginseng erhielt eine positive Monographie der Kommission E.

Sieben Jahre lang wächst er in den Urwäldern Nordkoreas oder in der Mandschurei, angebaut wird er hingegen in Korea, China, Japan und in der Ukraine. Sieben Jahre dauert es, bis die Wurzel ein Gewicht von 60 bis 100 g erreicht hat und geerntet werden kann. Verständlich, dass so etwas nicht gerade preisgünstig ist. Die Kommission E empfiehlt Ginseng bei Müdigkeits- und Schwächegefühl, nachlassender Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit und in der Rekonvaleszenz. Ursel Bühring listet nicht nur die Inhaltsstoffe auf, sondern auch die vielfältigen Eigenschaften: So wirkt Ginseng adaptogen, hat eine tonisierende, beruhigende und gleichzeitig zentralstimulierende Wirkung auf das zentrale Nervensystem, steigert Arbeitsgenauigkeit und Merkfähigkeit, verbessert sogar altersbedingte Depressionszustände.

„Ginseng“ schreibt Bühring kurz und klar, „wirkt am besten bei Gesunden. Er hat seine Stärke nicht in der Behandlung bestimmter Erkrankungen, sondern in der Vorbeugung: Er erhöht in unspezifischer Weise die Abwehrkraft des Organismus, vermag Anfälligkeiten für Krankheiten zu mindern und unterstützt die Genesung nach langwierigen Erkrankungen.“ Wenn man dann noch weiß, dass günstige Fertigarzneimittel aus dem Drogeriemarkt oft unterdosiert sind, sodass das Tagesziel von ein bis zwei Gramm reinem Wirkstoff gar nicht erreicht wird, kann man dem Kunden leicht vorrechnen, wie viel im Trockenextrakt der apothekenexklusiven Ware steckt: nämlich genug, um eine therapeutische Wirkung zu erreichen.

Traubensilberkerze Auch für Wechseljahresbeschwerden zeigt die Autorin eine echte, ganz konkrete pflanzliche Alternative zu Hormonpräparaten auf. In diesem Zusammenhang stellt sie die Traubensilberkerze (syn. Cimicifuga racemosa) vor, deren hormonausgleichende Fähigkeiten bereits den Indianern Kanadas bekannt waren und die sie fleißig nutzten. Inzwischen empfiehlt auch die Kommission E sie und hat festgestellt, dass die Wirkstoffe der Pflanze an die Estrogenrezeptoren binden, ohne jedoch ein Estrogen zu sein – was den angenehmen Nebeneffekt hat, dass auch Frauen sie einnehmen können, bei denen ein estrogenabhängiger Brusttumor diagnostiziert wurde (zur Sicherheit unter ärztlicher Aufsicht).

Ein weiterer Vorteil der auch „Indianische Frauenwurzel“ genannten Pflanze besteht darin, dass sie vor Osteoporose schützt. Bührings Therapiehinweise erschöpfen sich nicht mit dem Hinweis auf die mittlerweile preisgünstig erhältlichen Fertigpräparate – da Cimicifuga nur rund 4 Monate am Stück eingenommen werden soll, hat sie für die Zwischenzeiten einen Wechseljahrestee rezeptiert, der aus Salbei, Hopfen Rotklee, Melisse und Weißdorn besteht. Alles Pflanzen, denen eine regulierende Wirkung auf die typischen Beschwerden wie Hitzewallungen, Unruhezustände, Stimmungsschwankungen und Schlafstörungen zugeschrieben wird. Diese alternierende Therapie kann über lange Zeit fortgeführt werden.

Auf dem Weg zur Phyto-​PTA Wer nun Blut geleckt hat und sich über Phytotherapie im allgemeinen und besonderen fortbilden möchte: Nichts leichter als das. Bühring hat gemeinsam mit einer Mitautorin passend zum großen Nachschlagewerk ein kleineres „Praxisbuch für den Therapeutenschreibtisch“ geschrieben, wo die entsprechenden Therapien noch einmal kurz und knapp zusammengefasst sind. Außerdem erhältlich: Ein Arbeitsheft „Moderne Heilpflanzenkunde“, in dem PTA oder Apotheker ihre Kenntnisse zu den einzelnen Themenbereichen selbst überprüfen können. Und als Clou gibt es ein Kästchen mit Lernkarten, auf denen nach Pflanzen und Indikationen alles griffbereit sortiert ist. Vielleicht kann das Lernpaket manchen auf dem Weg zur Phyto-PTA begleiten.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 03/2020 ab Seite 138.

Alexandra Regner, PTA und Journalistin

Ursel Bühring: „Praxis-Lehrbuch Heilpflanzenkunde. Grundlagen – Anwendung – Therapie“,
Verlag Karl F. Haug, 4. Überarbeitete Auflage 2014, 808 Seiten, ISBN 978-3-8304-7749-5, 79,99 Euro

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