Diabetes-Utensilien © MihaPater / iStock / Getty Images Plus
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Autoimmunerkrankungen

TYP-1-DIABETES

Es ist die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kinder- und Jugendalter. Gleich mehrere Autoantikörper attackieren irrtümlicherweise die Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse, sodass diese kein Insulin mehr produzieren.

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Der Erkrankungsgipfel liegt zwischen 10 und 15 Jahren, ein Typ-1-​Diabetes kann aber in jedem Alter auftreten. Wie beim Typ-​2-Diabetes kommt es zu einem Verlust der Insulin-produzierenden Beta-Zellen der Langerhans’schen Inseln in der Bauchspeicheldrüse. Allerdings ist die Ursache nicht ein ungesunder Lebenswandel, sondern beim Typ-1-Diabetes greift fälschlicherweise das Immunsystem die Beta-Zellen an. Wenn etwa 80 Prozent von ihnen zerstört sind, ist der Körper nicht mehr in der Lage, ausreichend Insulin zu produzieren und die Erkrankung bricht aus.

Autoimmunreaktion Fachleute sprechen von Inselautoimmunität – weil sich die Reaktion gegen die Inselzellen richtet. Derzeit sind fünf verschiedene Inselautoantikörper bekannt: gegen zytoplasmatische Inselzellbestandteile (ICA), gegen Insulin selbst (IAA), gegen die Glutaminsäure-Decarboxylase (GADA), gegen die Tyrosinphosphatase (IA2) sowie gegen den Zink-Transporter 8 der Beta-Zelle (ZnT8). Bei den meisten Patienten mit Typ-1-Diabetes lässt sich zumindest ein Teil der genannten Autoantikörper nachweisen, bei einigen jedoch nicht. Diese Form wird dann als idiopathisch bezeichnet. Am häufigsten, vor allem bei Kindern, sind Antikörper gegen Insulin.

Typischerweise sind bei Patienten mit Typ-1-Diabetes mindestens zwei verschiedene Autoantikörper nachweisbar – und zwar in der Regel bereits Jahre vor dem Ausbruch der Erkrankung. Deshalb lassen sie sich gut als Biomarker für das Risiko verwenden, an Typ-1-Diabetes zu erkranken: Kinder, die zwei oder mehr Autoantikörper aufweisen, werden mit nahezu hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit erkranken. Je mehr verschiedene Autoantikörper und je höher die Titer, desto schneller die Progression. Dass auch T-Killerzellen bei der Zerstörung der Beta-Zellen eine Rolle spielen, ist schon länger bekannt. Mittlerweile ist auch belegt, dass darüber hinaus eine weitere Gruppe von T-Zellen, die regulatorischen T-Helferzellen, an der Autoimmunreaktion beteiligt sind.

LADA Eine Sonderform des Typ-1-Diabetes ist der „latent autoimmune diabetes in adults“ (LADA). Diese Patienten werden häufig zunächst mit einem Typ-2-Diabetes (fehl-)diagnostiziert, weil sie bereits erwachsen sind (älter als 35) und in der Regel Risikofaktoren wie Fettstoffwechselstörungen und/oder einen Bluthochdruck aufweisen. Allerdings sind sie meist schlanker als der typische Typ-2-Diabetiker, und – der entscheidende Unterschied – im Blut lassen sich GADA-Autoantikörper nachweisen.

Häufigkeit nimmt zu Rund 0,4 Prozent der Bevölkerung leiden an einem Typ-1-Diabetes – das sind allein in Deutschland rund 320 000 Patienten. Tendenz stark steigend: In den Industrienationen nehmen die Zahlen jährlich um drei bis fünf Prozent zu; warum, ist unklar. Über die Ursachen für die Autoimmunreaktion herrscht nur teilweise Klarheit. Bekannt ist, dass Gene eine Rolle spielen: Heute kennt man etwa 50 Genorte, die mit einem erhöhten Risiko für Typ-1-Diabetes assoziiert sind.

Kinder von Eltern mit Typ-1-Diabetes haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein erhöhtes Risiko ebenfalls zu erkranken. Andererseits sind bei 90 Prozent aller Betroffenen keine Fälle der Erkrankung bei Verwandten bekannt. Zu den prädisponierenden genetischen Faktoren müssen weitere Umweltfaktoren, darunter vermutlich Ernährung und Infektionen, dazukommen, um die Erkrankung auszulösen. Typ-1-Diabetes tritt gehäuft gemeinsam mit anderen Autoimmunerkrankungen wie Hashimoto Thyreoiditis, Vitiligo, Morbus Basedow, Zöliakie, Morbus Addison oder Multiple Sklerose auf.

Diagnose Ein Typ-1-Diabetes kann sich schleichend entwickeln, aber auch plötzlich ausbrechen. Im ersten Fall können ein ständiges Durstgefühl, verstärkter Harndrang, Gewichtsverlust, Muskelschwäche, Müdigkeit und Abgeschlagenheit, schlechte Wundheilung, trockene Haut oder auch Sehstörungen als Symptome auftreten. Weil sie nicht richtig gedeutet wurden oder weil es ein plötzlicher Ausbruch war, ist bei einer relevanten Anzahl von Patienten eine schwere Stoffwechselentgleisung der Anlass für die Diagnose.

Um dies zu verhindern, können heute bei Kindern mit erhöhtem Risiko – weil etwa Vater oder Mutter bereits an einem Typ-1-Diabetes erkrankt sind – die Autoantikörper bestimmt werden, um so das individuelle Risiko besser abzuschätzen. Im Labor zeigt sich bei einem Typ-1-Diabetes ein erhöhter Glukosespiegel im Blut (Hyperglylämie) sowie eine vermehrte Ausscheidung von Glukose mit dem Harn (Glukosurie) und eine Neigung zur Ketoazidose (Ansammlung von Ketonkörper, Übersäuerung des Blutes). Diese kann sich, je nach Schweregrad, durch Bauchschmerzen, Erbrechen, Übelkeit, vertiefte zwanghafte Atmung, Bewusstseinstrübung und -verlust, übelriechenden Atem und Urin bemerkbar machen und zum Koma führen.

Therapie und Prävention Die Folgen des Typ-1-Diabetes sind identisch mit denen des Typ-2-Diabetes: Nephropathie, Polyneuropathie, Retinopathie, Fußsyndrom, Mikro- und Makroangiopathie sowie erhöhtes Herzkreislaufrisiko. Um Hypo- und Hyperglykämien sowie Ketoazidosen und auch die genannten Folgekomplikationen zu vermeiden, ist eine Insulintherapie notwendig. Da die Beta-Zellen beim Typ-1-Diabetes vollständig zerstört werden, ist eine Behandlung mit oralen Antidiabetika, deren Wirkmechanismus eine Restproduktion von Insulin voraussetzt, nicht möglich. Ausnahme: Beim LADA bleibt häufig eine Restfunktion der Beta-Zellen erhalten, sodass ein Teil der Patienten nach der Diagnose noch einige Jahre oder sogar dauerhaft ohne Insulin auskommt.

Forschung für die Zukunft Viele Ansätze konzentrieren sich darauf, ein Risiko für einen Typ-1-Diabetes möglichst frühzeitig zu erkennen und den Ausbruch der Erkrankung hinauszuschieben oder, wenn möglich, ganz zu verhindern: Hoffnung setzen die Forscher vor allem auf eine Art Desensibilisierung ähnlich wie bei Heuschnupfen. Hier erhielten Kinder mit hohem Risiko (aufgrund von erkrankten Eltern und bestimmten Risikogenen) in einer Studie täglich oral Insulin, noch bevor sie selbst Autoantikörper entwickelten. Tatsächlich konnte gezeigt werden, dass das Immunsystem darauf positiv reagierte.

Jetzt wird in mehreren europäischen Ländern untersucht, ob sich dadurch langfristig auch ein Ausbruch der Erkrankung verhindern lässt – im Mausmodell funktioniert das bereits. Auch Nasenspray als Darreichungsform wird untersucht. Darüberhinaus wird getestet, ob sich ein schützender Effekt auch bei Kindern noch einstellt, wenn bereits Autoantikörper vorhanden sind, die Erkrankung aber noch nicht ausgebrochen ist. Weitere Forschungsansätze umfassen unter anderem monoklonale Antikörper gegen Antigene auf Lymphozyten – sie sollen die Interaktion der Immunzellen untereinander und damit die Autoimmunreaktion hemmen. Darüberhinaus werden verschiedene Modalitäten zur Transplantation von Beta-Zellen untersucht.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/18 ab Seite 114.

Dr. rer. nat. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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