© olly - Fotolia.com

Repetitorium

PALLIATIVMEDIZIN – TEIL 3

Schmerz, Atemnot, Obstipation, Übelkeit und Erbrechen sind die häufigsten palliativ-pharmazeutischen Probleme, die eine adäquate Arzneimitteltherapie benötigen. Grundlegendes hierzu erfahren Sie in diesem abschließenden Repetitoriumsteil.

Seite 1/1 8 Minuten

Seite 1/1 8 Minuten

Schmerztherapie ist ein umfangreiches Spezialgebiet. An dieser Stelle können deshalb nur wichtige Grundlagen vermittelt werden. Die Auswahl der geeigneten Schmerzmittel für einen Palliativpatienten hat nach Art und Intensität des Schmerzes zu erfolgen, nicht nach dem vorhandenen Krankheitsstadium. An der Schmerzentstehung, -verarbeitung und -empfindung sind unterschiedliche Rezeptoren und Systeme beteiligt.

Besonders wichtig – gerade für die vielen Tumorpatienten – ist die Unterscheidung zwischen Nozizeptorschmerz und neuropathischem Schmerz. Doch was ist das überhaupt? Ersterer entsteht durch direkte Irritation von „Schmerzrezeptoren“, eben den Nozizeptoren. Diese sind im ganzen Körper verteilt und lassen sich je nach Lage unterteilen in somatische, also körperliche und viszerale (Haut, Schleimhaut, Eingeweide).

Typisch für somatische Ursachen sind drückende, bohrende, gut lokalisierbare, punktförmig stechende Schmerzen, die oftmals bei Belastung zunehmen. Viszeraler Schmerz wird hingegen eher als bohrend, dumpf, drückend und schwer lokalisierbar beschrieben. Neuropathischer Schmerz entsteht durch Schädigung oder Irritation des zentralen Nervensystems. Typisch sind brennende, kribbelnde, blitzartige oder einschießende Schmerzen. Die Art und Intensität des Schmerzes beeinflusst die Substanzauswahl. Daher ist es immer wichtig, den Patienten zu fragen, wo er Schmerzen hat und wie er diese empfindet.

Nicht-Opioid-Analgetika Ein wichtiger Bestandteil in der palliativpharmazeutischen Versorgung sind Opioide. Eine wirklich effektive Schmerztherapie baut aber auf der Kombination aus einem Opioid und einem Nicht-Opiod-Analgetikum auf.

Zu den Nicht-Opioiden gehören die nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) wie Acetylsalicylsäure, Ibuprofen und Diclofenac, Anilinderivate wie Paracetamol und Pyrazolderivate wie Metamizol. Bei den meisten dieser Medikamente treten ab bestimmten Dosierungen verstärkt Nebenwirkungen auf, ohne eine weitere Schmerzreduktion zu bewirken. Bei den NSAR sind dies insbesondere Magenulzera, Niereninsuffizienz und erhöhte Blutungsneigung. Dafür eignen sich NSAR wegen ihrer antientzündlichen und abschwellenden Eigenschaften gut bei somatischen Nozizeptorschmerzen (tumorbedingte oder Knochenschmerzen).

Metamizol ist im Magen-Darm-Bereich besser verträglich als NSAR und wird wegen seiner zusätzlichen spasmolytischen, also krampflösenden Wirkung, gerne bei viszeralen Schmerzen eingesetzt. Paracetamol ist ein relativ schwaches Schmerzmittel ohne antiphlogistische (entzündungshemmende) Wirkung. In der Palliativmedizin ist es wegen seiner vergleichsweise geringen therapeutischen Breite und der Möglichkeit von Leberzellschäden höchstens ein Ausweichpräparat.

Opioid-Analgetika Reichen Nicht-Opioid-Analgetika für eine akzeptable Schmerzreduktion nicht aus, ist die zusätzliche Gabe eines Opioids erforderlich. Eine Kombination verschiedener Opioide wird nur in seltenen Ausnahmefällen vorgenommen. Geeignet sind in der WHO-Stufe 2 bei den schwächeren Opioiden vor allem Tramadol und Tilidin. Ersteres ist peroral und parenteral verfügbar und kann zudem bei neuropathischen Schmerzen sehr hilfreich sein.

Interessante Links
+ www.palliativdrugs.com  Englischsprachiger, unabhängiger Informationsdienst für Gesundheitsdienstleister in der Palliativmedizin; enthält auch „off-label-use“ von Arzneimitteln. Über einen Button „Website auf Deutsch!“ finden sich viele Seiten mit Monografien rund um die Arzneimitteltherapie in der Palliativmedizin; Nach einer kostenlosen Registrierung existiert unter anderem ein Zugang zu einzelnen Arzneistoffprofilen, Dosisberechnungshilfen und Praxisanleitungen.

+ www.pallcare.info  PalliativeCareMatters (PCM) ist ein englischsprachiger Informationsdienst mit neuesten Journalartikeln, Studien, Leitlinien, aber auch E-Learnings im Bereich Palliativmedizin. Registrierung ist erforderlich, eine Gastnutzung ist nur eingeschränkt möglich.

+ www.dgpalliativmedizin.de  Homepage der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Anliegen der wissenschaftlichen Fachgesellschaft ist es, die Fortentwicklung der Palliativmedizin interdisziplinär und berufsgruppenübergreifend auf allen Ebenen zu fördern.

+ www.palliativ-portal.de  Speziell für palliativ-medizinisch/-pflegerisch und hospizlich betroffene Menschen und Ihre Familien. Hilfestellung um Palliativmediziner, SAPV-Teams etc. sind hier zu finden.

+ www.wegweiser-hospiz-palliativmedizin.de  Suchmöglichkeit für Hospizeinrichtungen sowie Texte zu Hospizarbeit und Palliativmedizin.

Vorteil von Tilidin ist die problemlose Anwendbarkeit bei Niereninsuffizienz. Zudem ist das Obstipationsrisiko durch die beigefügte Naloxonkomponente laut Untersuchungen vermindert. Dihydrocodein (DHC) ist zwar gut anwendbar, wenn eine zusätzliche antitussive, also hustenstillende Wirkung sinnvoll ist, bewirkt aber eine ausgeprägte Verstopfung, sodass wie bei den starken Opioiden die prophylaktische Gabe eines Laxans notwendig wird.

Werden die Tageshöchstdosen von Tramadol oder Tilidin von 600 bis 800 Milligramm überschritten, sind starke Opioide die bessere Wahl. Auf der WHO-Stufe 3 ist Morphin nach wie vor das Standardmedikament mit einer insgesamt guten Verträglichkeit. Die transdermale Gabe von Buprenorphin oder Fentanyl kann bei Patienten mit Tumorschmerzen und stabilem Opioidbedarf sowie bei Patienten mit Schluckstörungen, Tumoren im Mund-Rachen-Bereich oder bei gastrointestinalen Störungen vorteilhaft sein. Für hoch variable Schmerzzustände sind „Schmerzpflaster“ allerdings schlecht geeignet.

Retardpräparate sind für die Basismedikation in der Regel am sinnvollsten. Für Schmerznotfälle oder Schmerzspitzen (Durchbruchschmerzen) empfiehlt sich eine zusätzliche schnell, aber kurz wirksame Bedarfsmedikation, die einfach anzuwenden ist, zum Beispiel in Form von Tropfen, nicht retardierten Tabletten oder transmukosalen Systemen. Für Schmerzspitzen gibt es mittlerweile beispielsweise Fentanyl als Nasenspray oder oral-transmukosal „Lutscher“, also Fentanylcitratsticks. Auch eine Kombination von retardiertem Morphin als Basismedikation und kurzwirksamem Morphin für Schmerzspitzen ermöglicht in den meisten Fällen eine gute Schmerzreduktion.

Bedacht werden muss zudem: Sowohl die schwachen als auch die starken Opioide können Nebenwirkungen wie Obstipation, Übelkeit, Erbrechen, Sedierung, Verwirrtheit, Atemdepression, Harnverhalt, Juckreiz, Myoklonien, also unwillkürliche Muskelzuckungen, und Schwitzen verursachen. Sedierung und Atemdepression wären Zeichen einer Überdosierung. Obstipation ist eine chronische Nebenwirkung, die von Anfang an prophylaktisch durch Verschreiben von Laxanzien wie Natriumpicosulfat, Lactulose, Macrogolen, Sennosiden beziehungsweise Sorbitol behandelt werden sollte.

Auch der Opioidrezeptorantagonist Methylnaltrexon ist in Deutschland für die subkutane Therapie einer Opioid-bedingten Obstipation bei Palliativpatienten zugelassen. Die Nebenwirkungen Übelkeit, Erbrechen und Müdigkeit verschwinden aufgrund Toleranzentwicklung in der Regel nach etwa 14 Tagen. Bei den restlichen Nebenwirkungen kommt es zu keiner Toleranzentwicklung. Hier hilft – falls die Nebenwirkungen zu stark oder nicht tolerierbar sind – vielfach eine Opiatrotation, also der Wechsel auf ein anderes Opioid.

Für die einfache Apothekenversorgung von Palliativpatienten gilt: Wichtig ist schon der „kritische Blick aufs Rezept“. Sind die Analgetika ausreichend dosiert? Stimmen Einnahmezeitpunkt und Kombination von retardierten und schnell freisetzenden Arzneiformen? Reicht die verordnete Menge übers Wochenende? Wurde ein Laxans zusätzlich zu Morphin verordnet? Die Erfahrung zeigt: Eine Optimierung der Schmerztherapie und Rücksprache mit dem verschreibenden Arzt ist – zum Wohl des Patienten – oftmals notwendig.

Hilfe durch Ko-Analgetika Auch sie werden von Ärzten öfters zusätzlich verschrieben. Ko-Analgetika sind Substanzen, die selbst keine Schmerzmittel sind, aber deren Wirkung verstärken und ergänzen. Schmerzen können so besser oder mit weniger Nebenwirkungen kontrolliert werden. Häufig verwendet werden Bisphosphonate bei Knochenschmerzen, Butylscopolamin bei kolikartigen Schmerzen oder das Alpha-2-Sympathomimetikum Clonidin bei neuropathischen Schmerzen.

Bei neuropathischen brennenden Dauerschmerzen werden gerne zudem trizyklische Antidepressiva, wie Amitriptylin oder Clomipramin eingesetzt, die Antikonvulsiva Carbamazepin, Gabapentin und Pregabalin bei blitzartig einschießenden neuropathischen Schmerzattacken.

»Es gibt noch kein allgemein anerkanntes und durch Studien abgesichertes Stufenschema für eine antiemetische Therapie.«

Während bei den Antikonvulsiva Müdigkeit und Schwindel als häufigste unerwünschte Nebenwirkung genannt werden, sind es bei den trizyklischen Antidepressiva Mundtrockeneit, Sedierung (Müdigkeit), Schwindel und Tachykardie (Herzrasen). Kortikosteroide wie Dexamethason finden bei Nerven- und Weichteilkompressionen, bei Leberkapselschmerz, Ödemen oder Knochenmetastasen häufig Anwendung. Gleichzeitig wirkt Dexamethason appetitsteigernd, euphorisierend und antiemetisch – oft sehr erwünschte Nebeneffekte bei Palliativpatienten.

Übelkeit und Erbrechen sind oft Symptome in der Palliativmedizin – aber nicht für alle Betroffenen gleich belastend. Sie können getrennt und gemeinsam auftreten. Übelkeit ist erst einmal das unangenehme Gefühl von Missbehagen im Magenbereich, kann aber bis zum Gefühl sofort erbrechen zu müssen, reichen. Vegetative Begleiterscheinungen dabei sind meist Appetitlosigkeit bei gleichzeitig erhöhtem Speichelfluss.

Entscheidend für die richtige Behandlung und die Substanzauswahl ist, die Auslöser zu kennen. Liegen diese stärker im Magen-Darm-Bereich selbst (etwa Reduktion der Magen-Darm-Motilität, Magenlähmung, Darmverschluss), werden mit Prokinetika wie Metoclopramid (MCP), dem Dopaminantagonisten Domperidon, aber auch den ursprünglich als Antihistaminika entwickelten Wirkstoffen Dimenhydrinat oder Promethazin sowie den Neuroleptika Haloperidol beziehungsweise Levomepromazin gute Erfolge erzielt.

Haloperidol wirkt auch gut bei Opioid-induzierter Übelkeit beziehungsweise folgendem Erbrechen. Levomepromazin wird auch bei stoffwechselbedingtem Erbrechen, etwa aufgrund einer Hyperkalzämie (erhöhter Kalziumblutspiegel) oder bei Urämie (Harnvergiftung) eingesetzt. 5-HT3-Rezeptorantagonisten, wie Tropisetron, Palonosetron, aber auch Ondansetron, Granisetron zeigen gute Erfolge bei Erbrechen aufgrund chemotherapeutischer Behandlung (oder als Bestrahlungsfolge).

Auch Kortikoide wie Dexamethason und Prednisolon sind hochwirksame Antiemetika – mit weitgehend noch ungeklärtem Wirkmechanismus. Sie steigern auch die Wirkung von 5-HT3-Rezeptorantagonisten beziehungsweise beispielsweise von MCP, Haloperidol, Levomepromazin oder Promethazin. Es können somit auch mehrere Antiemetika kombiniert zum Einsatz kommen. Sind eher psychische Faktoren wie Angst, Stress, zermürbender Schmerz Auslöser für Übelkeit und Erbrechen kommen hingegen eher Benzodiazepine wie Lorazepam oder Midazolam zum Tragen. Ebenfalls eher unterstützend wirken Sekretionshemmer wie Butylscopolamin, Glycopyrrolat oder Octreotid.

Tatsache ist: Es gibt noch kein allgemein anerkanntes und durch Studien abgesichertes Stufenschema für eine antiemetische Therapie. Da die Patienten in der Regel nicht nur kurzzeitig, sondern ständig an Übelkeit und/oder Erbrechen leiden, empfiehlt sich – wie bei der Schmerztherapie –eine Dauertherapie mit lang wirksamen Präparaten und zusätzlich eine Bedarfsmedikation mit schnellem Wirkeintritt.

Eine orale Gabe ist nur sinnvoll, um Übelkeit vorzubeugen oder bei leichter Übelkeit. Bei anhaltender Übelkeit oder wiederholtem Erbrechen ist die parenterale oder rektale Gabe notwendig. Nur so kann überhaupt eine ausreichende Resorption sichergestellt werden.

Den ersten Teil finden Sie hier, zum zweiten Teil klicken Sie hier.

ZUSATZ-INFORMATIONEN
Atemnot und Angst
Diese beiden sind mit die bedrohlichsten Beschwerden in der Palliativmedizin. Atemnot ängstigt – und Angst macht Atemnot. Diesen Teufelskreis gilt es zu durchbrechen. Dabei ist Atemnot nicht mit Sauerstoffmangel gleichzusetzen. Häufig ist nicht eine zu geringe Sauerstoffaufnahme Schuld für Atemnot, sondern die nicht richtige Abatmung der anfallenden Kohlendioxidmenge. Die häufig auch von Angehörigen geforderte Sauerstoffgabe ist mit hohen Kosten und großem Aufwand verbunden und bewirkt beispielsweise die Austrockung der Schleimhäute sowie Bewegungseinschränkung durch Applikationsschläuche.

Gute nichtmedikamentöse Maßnahmen gegen Atemnot wie frische Raumluft, Ventilatoren, Atemtraining und Beruhigungstechniken sowie Lagerungshilfen kommen als Grundmaßnahmen eher in Betracht. Außerdem hilft nichtmedikamentös die soziale und psychische Betreuung, die auch erkennt, ob dem Patienten im wahrsten Sinne des Wortes etwas die Luft zum atmen nimmt. Natürlich kann Auslöser von Atemnot auch die Verkleinerung der Gasaustauschfläche der Lunge aufgrund von Tumoren, Operationen, Bestrahlungen, können Brustfell-Erkrankungen, Lungen- oder Herzerkrankungen, Zwerchfellhochstand oder etwa eine Schwäche der Atemmuskulatur schuld sein.

Bei einer Dyspnoe (griechisch: dys = schwierig, pnoe = Atmung) sind Opioide Mittel der ersten Wahl in der medikamentösen Behandlungsstrategie. Dabei ist der genaue Wirkmechanismus dieser Substanzgruppe bei Atemnot noch nicht geklärt. Eine Dosistitration kann hierbei wie in der Schmerzbehandlung erfolgen. Bei akuter Atemnot sind Morphin, Fentanyl oder andere potente Opioide in nicht-retardierter Form gefragt. So hat sich der Off-Label-Use von Fentanyl nasal in den letzten Jahren palliativ immer stärker verbreitet. Über retardierte Opioide als Atemnot-Dauertherapie diskutieren Palliativmediziner eher kontrovers. Ein direktes Stufenschema wie bei der Schmerztherapie existiert nicht.

Bei der Therapie der Luftnot durch Angst sind Benzodiazepine wie Lorazepam, Midazolam durch ihre angstlösende und sedierende Wirkung Mittel der Wahl und gute Ergänzung zu den Opioiden. Viele Betroffene bevorzugen hier Lorazepam-Schmelztabletten, da das Schlucken von größeren Tabletten gerade wenn die Angst zu Ersticken besteht, kaum möglich ist. Midazolam wird eher subkutan injiziert. Sedierende Neuroleptika wie Prometazin oder Levomepromazin sowie Kortikosteroide werden bei speziellen Atemnot-Formen eingesetzt. Ansonsten sind auch Bronchodilatatoren wie Theophyllin, Beta-Sympathomimetika oder Anticholinergika – insbesondere bei schon bestehendem Asthma oder chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) im Einsatz.

Ziel jeder palliativmedizinischen Behandlung muss es sein, die Lebensqualität und Autonomie der Betroffenen so lange wie möglich zu gewährleisten. Über all der medikamentösen Therapie in der Versorgung sollte deshalb nicht vergessen werden: Für die bestmögliche Lebensqualität Betroffener ist die Sorge um das Seelenwohl im Alltag ganz entscheidend. Soziale Arbeit, psychologische Begleitung ist bei einer guten Palliativbetreuung nicht das Monopol einer darauf speziell ausgebildeten Berufsgruppe, sondern Aufgabe eines jeden Teammitglieds, also auch von Apothekern und PTA.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 09/13 ab Seite 80.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin

×