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Repetitorium

ERKRANKUNGEN DER SCHILDDRÜSE – TEIL 3

Rezeptpflichtige Arzneimittel machen den größten Teil der medikamentösen Optionen bei der Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen aus. Die Beratung in der Apotheke kann hier viel zu Therapietreue und Arzneimittelsicherheit beitragen.

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Gerade bei Schilddrüsenerkrankungen sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen beim zuständigen Arzt/Endokrinologen sinnvoll, um festzustellen, ob die gewählte Therapie noch ausreicht und die Einstellparameter sich nicht schon wieder verändert haben. Äußern Betroffene im Beratungsgespräch, sie seien wieder unruhiger, fühlten sich nicht mehr wohl in ihrer Haut, seien schlapp und stressanfälliger, sollte auf jeden Fall eine erneute Überprüfung angeraten werden.

Für die im Schilddrüsenbereich häufig anzutreffenden Langzeitanwender gilt zudem: Routine verführt so manchen zu Nachlässigkeit. Teilaspekte der Beratung, wie gezielte Ernährung, nichtmedikamentöse Maßnahmen, Einnahmemodalitäten, bei Älteren mögliche Wechselwirkungen mit weiteren eingenommenen Medikamenten, sollten in der Apotheken deshalb immer angesprochen werden.

Schilddrüsenhormone L-Thyroxin , seltener gegeben in Kombination mit Livothyronin (T3), bilden den Hormonersatz insbesondere bei

  • ungenügender oder fehlender Eigenproduktion,
  • zur Suppressionstherapie bei Schilddrüsenkarzinomen,
  • als Begleittherapie bei thyreostatischer Behandlung von Hyperthyreosen (Überfunktionen) nach Erreichen einer euthyreoten Stoffwechsellage,
  • in Kombination mit Jodid bei Jodmangelstruma, um Schilddrüse/Knoten zu verkleinern. Lebenslängliche oder zumindest langfristige Einnahme ist hierbei notwendig. Ausnahme: Bei einer Notfalltherapie oder bei Gebrauch für einen Schilddrüsensuppressionstest.

Die Dosierung erfolgt einschleichend, ganz individuell, wobei die adäquate Dosisfindung mittels Kontrolle des TSHWertes, der in der Regel im unteren bis mittleren Normbereich (0,5 bis 2,0 μU/ml) liegen sollte, eine besondere Herausforderung darstellen kann. Mindestens ein Mal, besser zwei Mal jährlich sollten anschließend Kontrolluntersuchungen stattfinden. Der L-Thyroxin-Bedarf variiert mit dem Alter und ist – relativ zum Körpergewicht – bei Kindern am größten und nimmt mit zunehmendem Alter ab.

Um eine stabile Stoffwechseleinstellung zu gewährleisten, ist eine gleichmäßige Hormonzufuhr wichtig. Einmal auf ein Präparat eingestellt, sollte der Patient nicht unkontrolliert wechseln müssen, da zwischen verschiedenen Produkten Bioverfügbarkeitsunterschiede von bis zu 20 Prozent normal sind. L-Thyroxin wird bei Nüchterneinnahme zu etwa 80 Prozent im Dünndarm resorbiert. Einnahme mit Nahrung vermindert die Bioverfügbarkeit um etwa 20 Prozent. Deshalb gilt als Empfehlung: Einnahme der meist verschriebenen L-Thyroxin-Tabletten morgens nüchtern mindestens eine halbe Stunde vor dem Frühstück unzerkaut mit etwas Leitungswasser. Grundsätzlich wäre aber auch die Einmaleinnahme am Abend möglich, wenn dies auf nüchternen Magen erfolgt und frühestens 30 Minuten später gegessen wird.

Neben der Tablettenform existiert für Neugeborene, Säuglinge und Kleinkinder eine oral einzunehmende Tropfenform sowie für die Notfalltherapie eine parenterale Applikationsform. Da L-Thyroxin (aufgrund hoher Plasmaproteinbindung) eine mittlere Halbwertszeit von sieben Tagen aufweist, hat es keine relevanten Auswirkungen, falls ein Patient eine Tabletteneinnahme ein oder zwei Tage einmal vergisst. Die Einnahme kann am entsprechenden Folgetag mit der normalen Dosierung fortgesetzt werden.

Wechselwirkungen treten insbesondere mit polyvalenten Kationen wie Kalzium, Aluminium, Eisen auf – und können durch Komplexbildung die L-Thyroxin-Resorption deutlich vermindern. Deshalb sollte im Beratungsgespräch nach der Einnahme entsprechender Arznei- oder Nahrungsergänzungsmittel, also nach Antazida, Eisensubstitution, Kalzium-Einnahme gegen Osteoporose gefragt werden. Auch Mineralwasser, das hohe Kalziummengen enthält, sollte gemieden werden. Ein mindestens zweistündiger Einnahmeabstand ist dann zu empfehlen. Ebenso beeinträchtigen Polymer-basierte Resorptionshemmer zur Blutfettsenkung, etwa Colestipol und Colestyramin, die Resorption von L-Thyroxin.

Bei einer Schwangerschaft kann – insbesondere in der ersten Schwangerschaftshälfte – der L-Thyroxin-Bedarf erhöht sein. Selten besteht eine unzureichende Konversation, also Umwandlung von Thyroxin in das eigentlich wirksame Hormon Trijodthyronin (T3). Auch Beta-Rezeptorenblocker und Glukokortikoide können eine Umwandlung von T4 in Liothyronin (T3) verhindern. In diesen Fällen ist eine direkte T3- oder Kombinationspräparat (T3 + T4)-Gabe angezeigt.

Missbrauch Schilddrüsenhormone Diverse Internetforen preisen Schilddrüsenhormone als ideales Schlankheitsmittel an. Tatsächlich beschleunigen Schilddrüsenhormone wie L-Thyroxin den gesamten Stoff- und so auch den Energiestoffwechsel. Untersuchungen weisen in „Abnehmpillen” aus dubiosen Internetquellen immer wieder Schilddrüsenhormone nach. Von diesem Missbrauch ist aufgrund der Nebenwirkungen einer Schilddrüsenhormonüberdosierung, wie Unruhe, Hitzeintoleranz, Atemnot, Muskelschwäche, Gefahr einer Insulinresistenz und insbesondere einer lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörung, dringend abzuraten.

Thyreostatika Zur medikamentösen Therapie einer Hyperthyreose werden Thyreostatika eingesetzt, die dafür sorgen, dass die Schilddrüse weniger Hormone produziert beziehungsweise freisetzt. Therapeutisch werden hierbei primär Medikamente vom Thionamid-(Thioharnstoff)-Typ verwendet, also Thiamazol und Carbimazol sowie ebenfalls Propylthiouracil (PTU). Sie verhindern die Umwandlung von Jodid in Jod und damit den Einbau von Jod in die Vorstufen der Schilddrüsenhormone (Jodisationshemmstoffe).

Carbimazol wird im Organismus zu Thiamazol umgewandelt, wobei 10 Milligramm Thiamazol mit etwa 16 Milligramm Carbimazol äquipotent sind. Thiamazol wird vollständig resorbiert und reichert sich in Schilddrüse, Leber und Niere an. Die pharmakologische Wirksamkeit liegt bei 24 Stunden, weshalb die ein Mal tägliche Einnahme der Tabletten unzerkaut, vorzugsweise morgens nach dem Frühstück sinnvoll ist. PTU hat eine kürzere Halbwertszeit. Hier empfiehlt sich die tägliche Dosisaufteilung auf zwei bis drei Einnahmen. Zusätzlich besitzt PTU eine hemmende Wirkung auf die Konversion von Thyroxin (T4) in Trijodthyronin (T3). Generell gilt: Es dauert zwei bis sechs Wochen, bis die volle Wirksamkeit dieser Thyreostatika eintritt.

PTU wird insbesondere als Ausweichpräparat eingesetzt, wenn es unter Thiamazol/Carbimazol zu Nebenwirkungen gekommen ist. Diese sind dosisabhängig, weshalb der Arzt möglichst immer die niedrigste, notwendige Dosis verordnen sollte. Nebenwirkungen treten zudem am ehesten in den ersten Behandlungswochen auf. Allergische Hautreaktionen, geringer Anstieg der Leberenzyme, gastrointestinale Beschwerden, Geschmacks- und Geruchsstörungen, Haarausfall, in schweren Fällen auch Knochenmarksdepression und eine lebensbedrohliche Agranulozytose (starke Verminderung der Granulozyten, einer Untergruppe der weißen Blutkörperchen), die sich meist mit Halsschmerzen und Fieber ankündigt, sind solche Nebenwirkungen.

AKTION SCHILDDRÜSE
Apotheken sind durch ihre große Anzahl von Kundenkontakten besonders geeignet, Volkskrankheiten im Bereich Prävention und Therapie zu begleiten. Führen Sie doch eine Aktion „Schilddrüsenwoche” in Ihrer Apotheke durch. Entweder wird hierzu die jährlich im April seitens der Schilddrüseninitiaitve Papillon veranstaltete Schilddrüsenwoche genutzt oder eigenständig – möglichst in Zusammenarbeit mit umliegenden Ärzten – agiert. Ideen: Mittels Fragebogen kann ein Schilddrüsencheck ausgefüllt oder auch der Schlucktest (siehe www.schilddruese.de) gemacht werden. Ein Kundenvortrag über Schilddrüsenerkrankungen schafft bei möglicherweise Betroffenen erst ein Problembewusstsein.

Bei sehr schweren Nebenwirkungen muss die thyreostatische Therapie in der Regel abgebrochen und eine Beseitigung der Hyperthyreose mittels Operation oder Radiojodtherapie angestrebt werden. Gegebenenfalls weicht im Einzelfall der behandelnde Endokrinologe auch kurzfristig auf ein alternatives Präparat wie Lithiumcarbonat oder Natrium-Perchlorat aus.

Lithium hemmt die Freisetzung der Schilddrüsenhormone aus den Thyreozyten, ferner verlängert es die thyreoidale Halbwertszeit von Jod und die Konversion von T4 zu T3. Es wird wegen seiner Hauptindikation bei bipolarer Depression, seinen Nebenwirkungen (Diabetes insipidus, Herzrhythmusstörungen, Tremor, Diarrhöen) und seiner geringen therapeutischen Breite nur in Ausnahmefällen in Dosen von etwa 1000 Milligramm/Tag eingesetzt. Angewandt wird es quasi nur bei Unverträglichkeit der konventionellen Thyreostatika oder zur Behandlung einer schweren jodinduzierten Hyperthyreose.

Perchlorat unterdrückt kompetitiv die Aufnahme von Jodid in die Schilddrüse (Jodisationshemmstoff). Ferner wird nicht organisch gebundenes Jod aus der Schilddrüse herausgedrängt. Es wird nahezu ausschließlich vor einem geplanten Kontrastmitteleinsatz angewandt, insbesondere bei Personen, bei denen durch eine Jodaufnahme in die Schilddrüse die Gefahr einer thyreotoxischen Krise besteht.

ZUM NACHSCHLAGEN
+ www.kit-online.org  Kompetenznetz Immunthyreopathien, ein Patientennetzwerk für Hashimoto-Thyreoiditis- und Morbus-Basedow-Betroffene im deutschsprachigen Raum.
+ www.forum-schilddruese.de Informationsforum für Patienten und Ärzte. Gut auch für Apotheker, da Materialien (Poster, Flyer, Broschüren, Vortrag) für eine jährliche Schilddrüsenwoche der Schilddrüseninitiative Papillon heruntergeladen werden können.
+ www.infoline-schilddruese.de  Informationsportal für Fachkreise mit Fortbildungen, Expertenrat etc.
+ www.jodmangel.de Portal des Arbeitskreises Jodmangel mit Informationen (Faltblätter, Broschüren) über Jodmangel und Schilddrüse.

Nur in Einzelfällen kommt es bei schwerer jodinduzierter Hyperthyreose zusätzlich zu den klassischen Thyreostatika (Thiamazol/ Carbimazol, PTU) oder sogar alternativ zu diesen zum Einsatz. Seit geraumer Zeit ist eine oral einzunehmende Lösung auf dem Markt. Die Tropfen sollten mit ausreichend Wasser, am besten nach dem Essen und wegen der kurzen Wirkdauer auf vier bis sechs Einzeldosen verteilt eingenommen werden.

Nebenwirkungen können Magen-Darm-Störungen, aber auch lebensbedrohliche Blutbildveränderungen oder ein nephrotisches Syndrom sein. Die individuelle Dosis der Thyreostatika wird auf Basis der Schilddrüsenwerte (fT3/fT4 und TSH) festgelegt, wobei initial alle zwei Wochen, bei Erreichen eines euthyreoten Zustandes alle vier bis sechs Wochen Kontrolluntersuchungen notwendig werden. Bei einer Hyperthyreose in der Schwangerschaft und auch in der Stillzeit wird bevorzugt PTU gegeben. Oberer Richtwert sind dabei etwa 150 bis maximal 200 Milligramm pro Tag.

Thyreostatika – und damit auch PTU – überwinden die Plazentaschranke, weshalb die Gefahr einer Hypothyreose beim Kind existiert: eine Gefahr, die nur durch die Gabe der niedrigsten möglichen Dosis reduziert werden kann. Treten bei Patienten mit Hyperthyreose, und das gilt auch für eine Hashimoto-Thyreoiditis im Anfangsstadium, ausgeprägte Herzrhythmusstörungen auf, können Betablocker (Propranolol, Metoprolol, Atenolol) vom Arzt zusätzlich verschrieben werden. Sie bewirken neben der Dämpfung der sympathischen Aktivität auch eine Hemmung der Konversion von T4 zu T3.

Da die üblichen Thyreostatika nicht sofort wirksam sind, kann so die Zeit bis zum Wirkungseintritt überbrückt werden. Anschließend erfolgt langsame Reduktion (Ausschleichen), teilweise wird eine niedrige Erhaltungsdosis vom Arzt beibehalten.

Sonderrolle des Jodids Jod ist für den Menschen ein essenzielles Spurenelement. Jodid selbst ist ein Synthesebaustein für die Schilddrüsenhormone. Es gewährleistet die Bedarfsdeckung, wenn diese durch die Ernährung nicht sichergestellt ist. Zur Jodsubstitution, Prophylaxe und Therapie verschiedener Schilddrüsenerkrankungen, in etwas höherer Dosierung zur Behandlung vor Operationen bei immunogenen Hyperthyreosen (beispielsweise Morbus Basedow), aber auch bei Exposition mit radioaktivem Jod – etwa nach Atomkraftreaktorunglücken – wird Jodidgabe eingesetzt.

Tatsächlich wird Jod/Jodid in höherer 5 bis 10 Milligramm-Dosierung etwa zur Vorbehandlung einer Struma-Operation kurzfristig als Thyreostatikum angewandt, da es vorübergehend durch Blockade der Jodorganifizierung die Hormonsynthese hemmt und die Thyreoglobulinproteolyse verringert. In niedrigerer Dosierung von 100 bis etwa 300 Mikrogramm täglich wirkt es hingegen thyreotrop. Da in der Schwangerschaft und Stillzeit ein erhöhter Jodbedarf besteht, sollte spätestens ab der zehnten bis zwölften Schwangerschaftswoche mit der oralen Einnahme von anorganischem Iodid begonnen werden.

Pflanzliche Thyreostatika In der Rote Liste® werden zusätzlich auch pflanzliche Thyreostatika gelistet, die insbesondere Wolfstrappkraut und seine Extrakte enthalten. Das genannte Anwendungsgebiet „Leichte Schilddrüsenüberfunktion mit vegetativ-nervösen Störungen” sollte streng eingehalten werden, denn die Mittel sind tatsächlich nur zur unterstützenden Wirkung oder bei sehr leichten Schilddrüsenstörungen einzusetzen. Die wissenschaftliche Datenlage zu „Lycopi herba” ist ziemlich dünn. Beachtet werden muss zudem, dass Wolfstrappkraut die Schilddrüsendiagnostik mit Radioisotopen stören kann.

Teil 1 der Serie Schilddrüse (April-Ausgabe) finden Sie  hier, zu Teil 2 (Mai-Ausgabe)  kommen Sie hier.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 06/12 ab Seite 74.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin

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