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Repetitorium

EPILEPSIE – TEIL 1

Was ist Epilepsie überhaupt? Welche Ursachen hat sie? Wie zeigt sich ein epileptischer Anfall und was ist dann als Erste-Hilfe-Maßnahme zu tun? Symptome und Behandlung einer für viele noch sehr befremdlich wirkenden „Erkrankung“ sind Thema dieses Teils.

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Der Begriff „Epilepsie“ leitet sich von dem griechischen Wort „epilambanein“ ab, was so viel wie „gepackt“ oder „ergriffen werden“ bedeutet. Seit jeher hat das oft eindrückliche Erscheinungsbild dieser Krankheit Phantasie und Aberglauben der Menschheit beflügelt. Tatsächlich stellen Epilepsien eines der häufigsten chronischen neurologischen Krankheitsbilder dar und gehen für die Betroffenen oftmals mit beträchtlichen Einschränkungen der Lebensqualität einher.

Der Oberbegriff Epilepsie beschreibt verschiedene anfallsartig auftretende, chronisch-rezidivierende Krankheiten, die auf einer gesteigerten Erregbarkeit zentraler Neuronen (Nervenzellen) und damit einer Erniedrigung der Krampfschwelle beruhen. Es handelt sich um eine Störung im Gehirn, eine unnormale nervliche Erregungsbildung im Gehirn. Epileptische Anfälle können ganz unterschiedlich aussehen: Manche dauern nur wenige Sekunden, bleiben womöglich sogar unbemerkt. Leichtes Muskelzucken, Kribbeln oder kleine Bewusstseinspausen (Absence, früher als Petit Mal bezeichnet) sind hier Merkmale.

Andere halten über ein bis zwei Minuten an, gehen mit heftigen Krämpfen und unkontrollierbaren Zuckungen, Stereotypien, Bewusstseinsstörungen beziehungsweise Bewusstseinsverlust sowie teilweise verstärkten vegetativen Reaktionen einher (großer Krampfanfall, früher Grand Mal genannt).

Häufigkeit Tatsache ist: Etwa zehn Prozent aller Menschen weisen eine erhöhte Krampfbereitschaft auf, die sich teilweise im Elektro-Enzephalogramm (EEG) aufzeigen lässt. Zwei bis fünf Prozent aller Menschen haben unter besonderen Einwirkungen mindestens ein Mal in ihrem Leben einen epileptischen Anfall, der sich ohne diese Umstände jedoch nicht wiederholt. Aktive Epilepsien treten jedoch mit einer Häufigkeit von 0,5 bis 1 Prozent in der gesamten Weltbevölkerung auf, wobei alle Regionen beziehungsweise Volksgruppen mehr oder weniger gleichermaßen betroffen sind. Epilepsien gehören damit zu den häufigsten chronischen Krankheiten des zentralen Nervensystems.

In Deutschland leben insgesamt rund 400 000 Epileptiker und jährlich kommen etwa 50 neue Fälle pro 100 000 Menschen hinzu. Obwohl Epilepsien in jedem Lebensalter auftreten können, werden bereits im Kindesalter bis zum zehnten Lebensjahr etwa 50 Prozent und bis zum zwanzigsten Lebensjahr etwa zwei Drittel manifest. Zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr ist das Anfallsauftreten am niedrigsten. Etwa ein Drittel der Epilepsien tritt erstmals jenseits des 60. Lebensjahres auf mit – aufgrund der kontinuierlichen Alterszunahme der Bevölkerung – zunehmender Tendenz.

STATUS EPILEPTICUS
Die meisten epileptischen Anfälle enden nach wenigen Minuten von selbst und der Betroffene erholt sich auch ohne therapeutische Maßnahmen. Hält ein generalisiert tonisch-klonischer (Grand-mal-)Epilepsieanfall länger als fünf Minuten an beziehungsweise treten mehrere epileptische Anfälle, auch fokaler Natur, dicht hintereinander auf, so dass Bewusstlosigkeit bestehen bleibt oder keine Erholung des Betroffenen einsetzen kann, wird von einem Status epilepticus gesprochen – einem gravierenden medizinischen Notfall, der sofort intensivmedizinische Hilfe erfordert. Je länger so ein Zustand andauerd, desto größer ist – insbesondere bei einem Grand-mal-Anfall – die Gefahr einer irreversiblen Schädigung des Gehirns oder auch ein tödlicher Verlauf.

Epilepsien sind sozialmedizinisch nicht nur wegen ihrer Häufigkeit in der Gesamtbevölkerung relevant, sie beeinträchtigen auch das soziale Leben der Betroffenen. In der Mehrzahl der Fälle ist die Erkrankung zwar „unsichtbar“, dennoch stigmatisiert sie die Kranken.

Die Entstehung Das Gehirn befindet sich quasi dauerhaft in einem Zustand übersteigerter Aktivität, in dem es dazu neigt, epileptische Anfälle hervorzurufen. Dieser ist dann in der Regel eine vorübergehende, plötzlich auftretende Funktionsstörung des zentralen Nervensystems. Nervenzellgruppen der Hirnrinde senden plötzlich gleichzeitig und hochsynchron Signale, zwingen anderen Nervenzellen ihren Rhythmus auf.

Die Folgen sind sehr unterschiedlich – je nachdem, in welchem Gehirnareal die Nervenzellen genau liegen, wie viele an dem Geschehen beteiligt sind und welche Körperfunktionen diese Zellen steuern. In manchen Fällen besteht ein epileptischer Anfall nur in einem Aussetzer, einem Absence, der ein paar Sekunden dauert. In einem anderen Fall zuckt beispielsweise nur eine Hand, eine Extremität, bei wiederum einem anderen Fall verkrampfen sich alle Körpermuskeln gleichzeitig.

Oft laufen die einzelnen Anfälle bei einem Epileptiker aber jedes Mal gleich ab. Insofern wird genau differenziert, ob epileptische Krampfanfälle fokal oder generalisiert mit oder ohne Bewusstseinsverlust auftreten. Die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) schlüsselt die verschiedene Anfallsformen und Epilepsien genau auf, da sich danach unter anderem auch die Therapie richtet.

Fokale Anfälle (Fokus = lateinisch: Herd) entstehen, wenn die Entladungen von einem begrenzten Hirnrindenbezirk ausgehen und auf bestimmte Hirnbereiche beschränkt bleiben. Solche Anfälle werden auch teilweise, partielle, oder herdförmige Anfälle genannt. Bei erhaltenem Bewusstsein wird dieser als einfach, bei gestörtem Bewusstsein mit Dämmerattacken der Betroffenen als komplex bezeichnet. Generalisierte Anfälle treten auf, wenn beide Hirnhälften von den Entladungen betroffen sind – entweder von Anfang an (primär generalisierte Anfälle) oder weil sich die Entladungen ausbreiten (fokal eingeleitete, sekundär-generalisierte Anfälle).

Bei generalisierten Anfällen kommt es meistens auch zu vorübergehenden Bewusstseinsstörungen. Eine konkrete Ursache für die Epilepsie ist bei solchen Anfällen seltener auszumachen als bei fokalen Anfällen. Statistisch ist allerdings die Mortalität (Todesrate) von an generalisierten epileptischen Anfällen Leidenden zwei bis drei Mal höher als in der Normalbevölkerung. Die Entstehung epileptiformer Aktivität kann auf eine Imbalance zwischen neuronaler Erregung und Hemmung zurückgeführt werden.

Messungen mit Mikroelektroden ergaben, dass während eines epileptischen Anfalls bei Na+-, K+-, Ca2+- und Cl–-Ionen intra- und extrazellulär charakteristische Konzentrationsänderungen eintreten. Die Erregbarkeit einer Zelle wird durch hemmende K+- und Cl–-Kanäle sowie erregende Na+- und Ca2+-Kanäle bestimmt. Veränderungen der Leitfähigkeit und Öffnungswahrscheinlichkeit dieser Kanäle wie auch Veränderungen des außerzellulären Ionenmilieus können zu einer Erregungssteigerung der Zelle mit nachfolgenden epileptiformen Entladungen führen.

Der Gelegenheitsanfall Nicht jeder epileptische Anfall tritt im Rahmen einer Epilepsie auf. Abzugrenzen sind Gelegenheitsanfälle, die bei circa zehn Prozent der Bevölkerung mindestens ein Mal im Leben auftreten, ohne dass eine Disposition bekannt ist. „Gelegenheit“ bedeutet hier nicht „gelegentlich“, sondern dass ein akuter Vorfall der Auslöser ist.

Prinzipiell können epileptische Anfälle bei jedem Gehirn durch bestimmte Faktoren wie Schlafmangel, Alkoholentzug, Stoffwechselstörungen, bestimmte Krankheiten in der Schwangerschaft (Eklampsie), Vergiftungen, unerwünschte Wirkungen von Medikamenten (insbesondere bekannt bei Chloroquin, Amitriptylin, Lithiumsalze, Theophyllin), sensorische Reize (Flackerlicht), psychische Belastungssituationen ausgelöst werden.

Zu den Gelegenheitsanfällen zählen auch Fieberkrämpfe bei kleinen Kindern im Alter zwischen sechs Monaten und fünf Jahren. Solche Gelegenheitsanfälle sind noch kein eindeutiges Zeichen für eine Epilepsie, selbst wenn sie wiederholt vorkommen sollten. Allerdings konnte festgestellt werden, dass der Anteil der Epilepsiepatienten, bei denen in der Kindheit Fieberkrämpfe aufgetreten sind, durchaus dreizehn bis 19 Prozent beträgt.

Ursachen Zusätzlich zur Anfallklassifikation der ILAE wurde 1989 eine Unterteilung der Epilepsien nach zugrundeliegender Ursache erarbeitet, wobei zwischen idiopathischen, symptomatischen und kryptogenen Epilepsien unterschieden wird. Idiopathische Epilepsien (ohne erkennbare Ursache) sind Folge einer vermuteten oder nachgewiesenen erblichen Disposition. Krankhafte Veränderungen des Gehirns konnten nicht nachgewiesen werden.

Symptomatische Epilepsien sind Ausdruck einer morphologisch- histologisch nachweisbaren Hirnschädigung (hirnorganischer Befund). Schädel-Hirn-Traumen, Tumoren, Enzephalitiden (Hirnentzündungen), Entwicklungsstörungen des Gehirns, frühkindliche Hirnschäden, Stoffwechselstörungen, immunologische Erkrankungen, aber auch Vergiftungen sind hier häufige Verursacher. Kryptogene Epilepsien sind mutmaßlich auch symptomatische Epilepsien, aber ein hirnorganischer Befund liegt nicht vor, die Ursache ist – trotz moderner Diagnostik – noch unklar.

Diagnose Neben beim Anfall anwesenden Personen, die diesen beschreiben können, wird auf jeden Fall ein Elektroenzephalogramm (EEG) angefertigt. Mit diesem ist ein direkter Nachweis einer Epilepsie möglich. Dabei werden neuronale Aktionspotenziale, die sich aus der Entladungsaktivität von Neuronen und Neuronenverbänden ergeben, als Summenpotenzial dargestellt und epilepsietypische Veränderungen festgehalten.

Die für eine Epilepsie verantwortlichen auslösenden Herde können durch bildgebende Positronen-Emissionstomografie (PET) und Magnetresonanztomografie (MRT) lokalisiert werden. Um festzustellen, ob hinter dem Anfall andere Ursachen, etwa eine Hirnblutung, Arteriosklerose etc. steckt, kann zusätzlich eine Computertomografie (CT) zum Einsatz kommen. Auch Blut- oder Gehirnwasseruntersuchungen werden verwendet, etwa um eine Entzündung des Gehirns auszuschließen.

Aura und wichtige Epilepsiesyndrome Manche epileptische Anfälle beginnen mit einer Aura (griech.: „Wahrnehmung eines Lufthauches“). Die Betroffenen bemerken dabei zum Beispiel ungewöhnliche Sinneseindrücke wie Kribbeln, Art Nadelstiche, Taubheitsgefühl, Wärmeflashs, es kommt zu Seh-, Konzentrationsstörungen oder Halluzinationen. Einige spüren seltsame Empfindungen im Bauch (epigastrische Sensationen), auch Übelkeit und Erbrechen oder unkontrollierter Stuhl- oder Harnabgang ist möglich. Andere haben das Gefühl zu schweben. Bei Kleinkindern äußert sich eine Aura vielfach durch ein ängstlich-anhängliches Verhalten. Auch merkwürdige Geschmacks- und Geruchseindrücke oder Schwindel sind möglich.

Manche Epileptiker erkennen an der Aura, dass ein größeres Anfallsgeschehen kurz bevorsteht. Andererseits kann eine Aura aber ebenso gut das einzige Symptom eines Anfalls sein. Manchmal lassen die Symptome für den Neurologen Rückschlüsse zu, in welcher Hirnregion der Anfall entsteht. Das hilft unter Umständen, der Ursache auf die Spur zu kommen. Insgesamt sind über 50 verschiedene Epilepsiesyndrome bekannt.

Ziel der Behandlung bei Epilepsien ist die weitgehende Anfallsfreiheit mit möglichst wenigen Nebenwirkungen. In manchen Fällen, insbesondere bei genauer Herdlokalisation, helfen epilepsiechirurgische Eingriffe. Welche Möglichkeiten auf medikamentöser Seite existieren, ist Thema in Teil 2 und 3.

ZUSATZINFORMATIONEN
Epilepsieformen
Etwa 60 Prozent aller Epilepsie-Formen sind dabei fokal. Symptomatische Formen überwiegen vor allem bei Erwachsenen deutlich. Die fokalen Anfälle werden nach ihrer epileptogenen Zone beziehungsweise der Anfallsursprungszone eingeteilt in Temporal-, Parietal-, Frontal- und Okzipitallappen-Epilepsie, da auch die auftretenden Symptome stark abhängig vom involvierten Hirnareal sind.

Ein einfach-fokaler Anfall spielt sich bei vollem Bewusstsein ab. Bewegungs-Auffälligkeiten, etwa Zuckungen eines Körperteils sind häufig, auch unwillkürliche Körperdrehungen oder Lautäußerungen. Manchmal kommt es zu ungewöhnlichen Sinneswahrnehmungen wie Kribbeln, Blitze-Sehen, abstrusen Höreindrücken, Schwindel, Geruchs- oder Geschmacksstörungen. Auch Sprachstörungen, Halluzinationen, Angstgefühle sind häufig.

Die Wahrnehmungsstörungen werden – wie weiter oben bereits beschrieben – auch als Aura zusammengefasst. Eine Sonderform sind die nach dem englischen Neurologen John Hughlings Jackson (1835 bis 1911) genannten fokal-motorischen Jackson-Anfälle mit zunehmender Ausbreitung der Muskelzuckungen von einem Teil eines Armes oder Beines auf die ganze Extremität, unter Umständen auch die ganze Körperhälfte sowie Gegenseite.

Bei komplex-fokalen Anfällen trübt sich zusätzlich das Bewusstsein und der Betroffene ist nicht mehr richtig ansprechbar, verhält sich unter Umständen merkwürdig: Möglich sind auch Sprechhemmungs-Reaktionen, Automatismen (Kau-, Schmatz-, Schluck- oder sonstige Zungenbewegungen) oder zielloses herumlaufen.

Bei den generalisierten Anfällen gibt es Epilepsien, die mit Krämpfen einhergehen (konvulsive Epilepsie) und solche, bei denen keine Krämpfe auftreten (nicht-konvulsive Epilepsie). Grob unterteilt werden können sie in kleine generalisierte Anfälle (früher französisch Petit-mal genannt) mit kurzen Bewusstseinspausen (Absencen) ohne Sturz, myoklonische Anfälle mit einzelnen oder unregelmäßig wiederholenden Zuckungen einzelner Gruppen, atonische Anfälle, klonische Anfälle, tonische Anfälle oder tonisch-klonische Anfälle.

Dieser „große“ Anfall (früher Grand-mal genannt) geht mit Bewusstseinsverlust, gelegentlich anfangs einem gepressten Schrei, Sturz (tonisches Stadium mit generalisierter Versteifung der gesamten Muskulatur), anschließend rhythmische Zuckungen von Armen und Beinen (klonisches Stadium) und Übergang der Bewusstlosigkeit in einen tiefen Nachschlaf unterschiedlicher Länge einher. Solche Grand-Mal-Anfälle können bei allen Epilepsiesyndromen vorkommen und durch eine Aura oder einen anderen fokalen Anfall eingeleitet sein.

Wichtige epileptische Syndrome des Kindes- und Jugendalters sind das West-Syndrom (Blitz-Nick-Salaam-Anfall bei Säuglingen), das häufig schwer zu behandelnde Lennox-Gastaut-Syndrom, das Landau-Kleffner-Syndrom, die Rolando-Epilepsie oder die juvenile myoklonische Epilepsie (Janz-Syndrom).

Die vielen einzelnen Anfallsformen im Detail muss weder Apotheker noch PTA kennen. Wichtig zu wissen ist aber: Der Anfallstyp bestimmt bei der Therapie wesentlich die Auswahl der richtigen Medikamente (Antiepileptika, gern auch Antikonvulsiva genannt). Und die Ätiologie der Epilepsie (Krankheitsursache) ist für die Prognose von besonderer Bedeutung.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 04/14 ab Seite 84.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin

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