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PKA-Fortbildung 03/16

VERBANDSTOFFKUNDE

Große Gebiete der Verbandstoffe dürfen einerseits von PKA beraten und abgegeben werden. Andererseits obliegt in nicht wenigen Apotheken Taxierung und Abrechnung derartiger Produkte der PKA. Ein Grund sich – wieder einmal – mit diesem Themengebiet zu beschäftigen.

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Verbandmittel gehören rein formal zu den CEzertifizierten Medizinprodukten, unterliegen den Vorschriften des Medizinproduktegesetzes und werden zu den nichtaktiven Medizinprodukten gezählt. Dabei erfolgt eine Einteilung der unterschiedlichen Verbandmittel je nach Zweckbestimmung, die letzlich vom Hersteller vorgegeben wird, in drei Risikoklassen. Zur Klasse I gehören definitionsgemäß Verbandmittel, die als mechanische Barriere, zur Absorption von Exsudaten , zur Fixierung oder zur Kompression angewendet werden.

Beispiele hierfür sind semipermeable („halbdurchlässige“) Wundfolien, Mullkompressen, Saugkompressen, Fixiermittel, elastische Binden. Verbandmittel, welche die Mikroumgebung der Wunde beeinflussen, etwa ein idealfeuchtes Klima schaffen (auch idealfeuchte Abdeckungen auf Schürfwunden nach dem Prinzip der feuchten Wundheilung), entsprechen der Klasse IIa. Hierzu zählen Alginat-, Hydrogel-, Schaumstoffkompressen, aber auch Hydrokolloide.

Bei unterschiedlichen Herstellern können Alginatkompressen je nach Anwendungsbereich aber auch schon der wiederum höheren Risikoklasse IIb zugeordnet sein. Diese Risikoklasse gilt für tiefere, mit Hautdurchtrennung verbundene, häufig chronische Wunden versorgende Verbandmittel. Typische Beispiele sind hier Alginat- und Schaumstofftamponaden, Mullbinden zur Tamponade, aber auch Hydrogel in Tubenform.

Zu guter Letzt existiert noch das höchstmögliche Gefahrenpotenzial, die Klasse III. Hierzu zählen Verbandmittel, die im Regelfall einen Arzneistoff enthalten, welcher die Wirkung des Medizinprodukts auf den menschlichen Körper unterstützt. Polihexanhaltige Wundauflagen, iodoformhaltige Tamponadebinden oder Povidon (PVP)-jodhaltige Wundgazen gehören hierzu. Selbst Wundgazen mit Silbersulfadiazin (Antibiotikum) können noch zu den Medizinprodukten zählen – mit der Besonderheit, dass dieses Medizinprodukt der Verschreibungspflicht unterstellt ist.

Wäre der Wirkstoff allerdings verantwortlich für die Hauptwirkung, gälte das Produkt in seiner Gesamtheit nicht mehr als Medizinprodukt, sondern schlicht und ergreifend als Arzneimittel und es würde dann das Arzneimittelgesetz (AMG) greifen. Dem hohen Gefahrenpotenzial der Klasse III Verbandstoffkunde zugerechnet werden zudem noch Produkte, die tierisches Gewebe enthalten, etwa kollagen- oder gelatinehaltige Wundauflagen. 

Übersicht Abgesehen von dieser rechtlichen Zweck-Einteilung sollte natürlich der Sinn der Verbandstoffe nicht aus den Augen verloren werden: Es sind in erster Linie Erzeugnisse auf Faserstoffgrundlage, die dazu dienen, Wunden zu versorgen, zu verschließen, Blutungen zu stillen, Sekret aufzusaugen, aber auch Körperteile zu schützen und zu verbinden beziehungsweise zu umhüllen oder zu komprimieren und so die Wundheilung zu fördern. Entsprechend gehören zu den Verbandmitteln Saug- und Polstermaterialien, Wundauflagen, Fixiermittel, Produkte zur Mobilisation, etwa Stütz- und Kompressionsbinden, aber auch Produkte zur Immobilisation, also Gips- und Castverbände.

Prinzipien der Wundbehandlung Bei der Versorgung von Wunden stehen generell die Prinzipien Reinigen beziehungsweise möglichst steriles Vorgehen, um keine weiteren Fremdkeime einzubringen, Desinfektion und Wundabdeckung im Vordergrund. Als initiale Wundtoilette wird das Abtragen, Abschneiden von devitalem beziehungsweise totem Gewebe mit scharfen, möglichst sterilen Instrumenten (chirurgisches Debridement) als sinnvoll angesehen. Chronische Wunden sollten stets feucht gehalten werden.

Ein feuchtes Wundmilieu beschleunigt den Heilungsprozess und reduziert das Narbenrisiko aber nicht nur bei chronischen, sondern auch bei alltäglichen Haut- oder Bagatellverletzungen. Generell gilt: Bei sauber granulierenden Wunden ist ein täglicher Verbandwechsel unnötig. Je länger der Verband auf der Wunde bleiben kann, umso ungestörter heilt diese im Regelfall ab.

Wundauflagen Die Wunde nach außen schützen, Blutund Wundflüssigkeit aufsaugen und als Trägermaterial für Salben und Lösungen dienen sollen Konventionelle Wundauflagen. Hierzu gehören Mullkompressen, Vliesstoffkompressen, kombinierte Saugkompressen, imprägnierte Wundgazen, aber auch Wundschnellverbände.

Viel häufiger als früher kommen heutzutage aber Moderne Wundauflagen zum Einsatz. Diese sollen während jeder der drei Wundheilungsphasen (Reinigungs-, Granulations- und Epithelisierungsphase) für möglichst optimale Bedingungen sorgen. Es gilt das Prinzip der „idealfeuchten Wundversorgung“: Die Wunde darf keinesfalls austrocknen, andererseits auch nicht wegen zu viel Feuchtigkeit mazerieren, also getränkt, aufgeweicht sein.

In der Reinigungsphase sollen Gewebetrümmer, Bakterien, Blut und Flüssigkeit in den Verband aufgenommen, gebunden werden. Unter Gewährleistung eines ungehinderten Gasaustausches – Sauerstoff zur Wundoberfläche hin, Wasserdampf aus dem Verband heraus – herrschen unter dem Wundverband treibhausähnliche Temperatur- und Feuchtigkeits- Bedingungen. Das bedeutet optimales Milieu für Zellteilung und Zellwanderung.

Wundauflagen, die ein feuchtes Wundmilieu bei nachlassender Flüssigkeitsabsonderung der Wunde aufrechterhalten, werden auch gerne noch differenzierter als hydroaktive Wundauflagen bezeichnet. Alginate, Hydrofaser/Hydrofiberverbände, Hydrogele, Hydrokolloide, Schaumstoffkompressen, Superabsorber und semipermeable Wundfolien gehören zu diesen modernen Wundauflageformen. Sie werden in verschiedenen Größen angeboten, sind in einigen Fällen auch zuschneidbar. Das Angebot ist leider sehr unübersichtlich, was sowohl den Effekt und die Funktion des jeweiligen Materials als auch den Preis betrifft.

Ein paar relevante Hinweise: Alginate werden aus Kalium- und Natriumsalzen der Braunalge gewonnen. Es handelt sich um ein Polysaccharid (Gemisch aus zwei Zuckersäuren). Dieses kann ein hydrophiles („wasserliebendes“) Gel bilden, das stark Exsudat bindet, weshalb sie für stark sezernierende Wunden gut geeignet sind. Bei wenig sezernierenden Wunden sind sie hingegen ungeeignet, weil sie dazu neigen mit der Wunde zu verkleben.

Hydrofasern sehen den Alginaten sehr ähnlich, bestehen aus Carboxymethyl-Cellulose oder Polyesterfasern und können ebenfalls größere Exsudatmengen absorbieren und einschließen. Hier wird beim Verbandwechsel das neugebildete Gewebe nicht beschädigt. Hydrogele (meist halbfeste Zubereitungen in der Tube oder Gelkompressen) bestehen aus einem Gel wasserunlöslicher Polymere, die bis zu 95 Prozent Wasser enthalten. Sie können befeuchtend wirken, dadurch Schorf und Beläge aufweichen, aber auch Exsudat aufnehmen. Gut wirken sie bei trockenen oder nur mäßig nässenden Wunden.

Hydrokolloide enthalten ein hydrophobes Polymergerüst, das mit stark quellenden Substanzen wie Pektin, Gelatine oder Carboxymethylcellulose ein Gel bildet. Sie können ohne zusätzliche Fixierung direkt auf die Wunde geklebt werden. Über dem Wundgebiet quillt die Hydrokolloidmasse unter Aufnahme von Exsudat auf, es bildet sich ein zähflüssiges Gel, das nicht mehr klebt, die Wundoberfläche feucht hält und sich den Wundkonturen gut anpasst. Anwendung finden sie bei leicht bis stark nässenden Wunden in allen Wundheilungsphasen. In Kombination mit einem wundfüllenden Alginat eignen sie sich auch für tiefe Wunden.

Schaumstoffkompressen bestehen entweder aus Pulyurethan oder Silikonschaum und können ein Vielfaches ihres Eigengewichtes an Exsudat aufnehmen. Superabsorber enthalten Polyacrylsäure (SAP = Super Absorbent Polymere), die jede Menge Flüssigkeit aufsaugt und nach dem „Pamperprinzip“ unter Bildung eines voluminösen Gels festhält. Produkte, die Substrate der Wundheilung wie Kollagen oder Hyaluronsäure in die Wunde freisetzen (hyaluronsäurehaltige Wundauflagen, Kollagenwundauflagen) werden zusätzlich noch als interaktiv bezeichnet.

Zunehmende Bedeutung erlangen auch antibakterielle und geruchsbindende Wundauflagen. Diese enthalten antimikrobiell aktive Substanzen wie Silber (häufig) oder Jodverbindungen (seltener) sowie Aktivkohle auf verschiedenen Trägermaterialien. Aktivkohle als hochaktives Adsorbens wirkt stark geruchsbindend, was bei infizierten Wunden sinnvoll sein kann. Auch Bakterien haften an der Oberfläche an, werden aber nicht abgetötet. Eine Imprägnierung der Aktivkohle mit elementarem Silber führt hingegen dazu, dass die an der Kohle haftenden Keime von Silberionen abgetötet werden.

Bei durchgehend offenen, chronischen Wunden, die teils sehr schmerzhaft sind, konnte mit all diesen Spezialmaterialien sehr gute Schmerzlinderung und Wundheilungsförderung erzielt werden. Bei den Wundfolien wiederum handelt es sich um hauchdünne, transparente sterile Polyurethan- Plastik-Abdeckungen. Ihre Semipermeabilität verhindert das Eindringen von Bakterien und Flüssigkeit, gestattet jedoch weitreichenden Sauerstoff- und Wasserdampfaustausch. Sie sind insbesondere zur Versorgung oberflächlicher, eher trockener Wunden oder Abdeckung von Operationsnähten oder frischen Tätowierungen geeignet.

Erstattungsfähigkeit im Blick In der Regel werden die meisten dieser Wundauflagen vom Arzt auf Rezept verschrieben. Nach und nach erobern Wundschnellverbände mit hydroaktiven Wundkissen in kleinen, handlichen Abpackungen aber auch den Handverkauf. Bekanntestes Beispiel: Blasenpflaster. Medizinprodukte, die als Verbandstoffe deklariert sind und auf Rezept zu Lasten einer gesetzlichen Krankenkasse (GKV) verschrieben wurden, benötigen übrigens keine Erstattungsgenehmigung seitens der GKV.

Vielmehr sind Verbandmittel grundsätzlich für alle GKV-Versicherten per SGB V (Sozialgesetzbuch V) §31 Abs.1 verordnungs- und letztlich auch erstattungsfähig. Es bedarf keiner vor Abgabe einzuholenden Einzelgenehmigung, allerdings gilt natürlich die übliche Zuzahlungspflicht. Leider wollen so manche Rezeptprüfstellen diese rechtliche Tatsache nicht wahrhaben und retaxieren mit der Begründung, es habe keine Genehmigung – wie sonst tatsächlich für Medizinprodukte notwendig – vorgelegen.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Journalistin

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