© LuismiCSS / iStock / Getty Images

Bücher, von denen man spricht

THE END

Der Tod: Er erwischt uns alle irgendwann. Grund genug, sich einmal damit zu beschäftigen. In dem Sachbuch „The End“ berichtet Eric Wrede von seinem Alltag – dem eines Bestattungsunternehmers.

Seite 1/1 5 Minuten

Seite 1/1 5 Minuten

Totensonntag, Volkstrauertag, Allerseelen – der November ist mit Gedenktagen an Verstorbene durchsetzt und hat von jeher einen morbiden Touch. Ob es der elfte Monat war, als Wrede sein Lebensthema erfährt, erzählt er nicht. Nur so viel: Der (auch finanziell) erfolgreiche Berliner Musikmanager hört auf einer Autofahrt ein Interview mit Fritz Roth, einem Pionier der alternativen Bestattungsszene, der die verschlossene und unmoderne Bestattungsbranche in Deutschland beklagt und äußert, dass diese dringend jüngere Kräfte brauche, die mit neuen Ideen das bestehende knochentrockene Gewerbe aufbrechen solle. Das war seins! Ein Beruf, bei dem man Menschen in Extremsituationen betreut und ihnen dabei hilft, Verluste durchzustehen und zu verarbeiten: Das wollte er auch machen. Wrede kündigt seinen Job und macht ein Praktikum bei einem Bestatter.

Bestattungskultur, einmal anders Nicht lange danach gründet er sein eigenes Unternehmen. Und dessen Name legt schon nahe, dass es sich um eine etwas andere Bestattungskultur handelt: „lebensnah“ heißt sein Betrieb, und er bemüht sich um individuelle Lösungen für den letzten Akt. Eine Beerdigung also, die sowohl dem Verstorbenen gerecht wird als auch den Angehörigen erlaubt, sich würdig und auf ihre Art zu verabschieden. Wrede hat Erfahrungen gesammelt, lange darüber nachgedacht und schließlich ein Buch geschrieben: „The End“ trägt den bescheidenen Untertitel „Das Buch vom Tod“ und fängt gleich mit einem Testament an. Nämlich dem von Eric Wrede.

Wie oft schon hat er erlebt, dass nichts geregelt war, obwohl der Verstorbene um seinen nahenden Tod wusste. Da der Tod gern verdrängt wird, auch wenn er schon vor der Tür steht, kann das die Hinterbliebenen vor schier unlösbare Probleme stellen – während sie doch eigentlich in Ruhe trauern sollten. Und Wrede erzählt von einem Fall, in dem ein vermögender Mann starb, ohne einen schriftlichen letzten Willen hinterlassen zu haben. In solchen Fällen muss die Ehefrau auf den Erbschein warten, und das kann dauern, weil zunächst alle Verwandten ermittelt werden müssen. Die Witwe war gezwungen, Geld aufzunehmen, musste Schulden machen, um den Betrieb am Laufen zu halten.

Teurer Tod Ja, das liebe Geld. Wrede schont hier seine Zunft nicht. Der Tod ist nämlich teuer. Da kostet so ein Grab schon mal 2000 Euro und der Bestatter nochmal dasselbe, Todesanzeige, Grabstein und Beerdigungsfeier kommen hinzu. „Und da ist noch keine Wohnung aufgelöst und die letzten Rechnungen des Verstorbenen noch nicht bezahlt“, sagt Wrede und stellt die Frage: „Warum gibt es in dieser Branche eigentlich so wenig vernünftige Preismodelle?“ Dafür gibt es aber jede Menge „Zusatzangebote“: Das geht beim Diamanten aus der Asche des Verstorbenen los und hört beim Eichensetzling, der in Omas kremierten und mit Substrat vermischten Überresten gezüchtet wurde, noch lange nicht auf.

Wrede urteilt über seine eigene Branche: „Menschen in ihrer Trauer irgendeinen teuren Quatsch unterzujubeln, ist falsch.“ Aber er hat sie erlebt, die Beerdigungen, die den Angehörigen lange positiv im Gedächtnis blieben. Die waren oft sehr unkonventionell, oft sehr intim, oft sehr bunt. Da wurden Bierdeckel aus der Sammlung des Verstorbenen verteilt, experimentelle Heavy-Metal-Musik gehört, reihum selbstverfasste Gedichte aufgesagt. Es gab Kinder, die im Vorhinein den Sarg bemalt oder während der allzu langen Beerdigungsreden schon einmal die Blumen nach draußen trugen und auf dem Grab verteilten („die Erwachsenen fanden‘s großartig“).

Über das Sterben zuhause Ein Großteil des Buches ist mit dem nötigen Ernst und der möglichen Leichtigkeit der Vorbereitung auf den nahenden Tod gewidmet, und vielleicht ist es gut, dass hier einmal ein Bestatter aus dem Nähkästchen plaudert. Zum Beispiel über die Frage der letzten Wegstrecke: „Die Vorstellung, einen Menschen zuhause zu pflegen und das bis zu seinem Tod auch noch selbst zu übernehmen, ist sehr schön. Aber es birgt auch Risiken.“ Wrede hat Frauen vor sich sitzen gehabt, die sich fast zu Tode schämten, weil sie Erleichterung verspürten, als Großmutter endlich gestorben war: Eine Intensivpflege ist eine gigantische Aufgabe.

Da brechen soziale Kontakte weg, entsteht körperliche und seelische Überforderung, nicht selten erkranken die Pflegenden nach dem Tod des Angehörigen selbst. Wrede bricht eine Lanze für das Hospiz, diese besondere Einrichtung für Menschen, die an einer unheilbaren Krankheit leiden und daran sterben werden. In Deutschland gibt es gut 1700 davon. Viele Menschen finden den Gedanken an ein Hospiz gruselig – weil sie noch nie in einem waren. Hier finden sich Palliativmediziner, genug Pflegepersonal und speziell geschulte Sterbebegleiter. Denn: „Krankenhäuser mögen der richtige Ort für Kranke sein, für Sterbende sind sie es nicht.“

Ein besonderes Kapitel widmet Wrede dem Thema Kinder. Er berichtet von den Alters- und Entwicklungsstufen, in denen der Tod jeweils anders verarbeitet wird: Kinder unter drei Jahren sind beispielsweise noch nicht in der Lage, den abstrakten Begriff kognitiv zu erfassen: Weg sein und tot sein haben für sie die gleiche Bedeutung, die Endgültigkeit des Todes wird noch nicht erfasst. Wrede warnt davor, einem Vierjährigen den Tod des Großvaters bildlich zu umschreiben: „Opa ist eingeschlafen“ nimmt er nämlich wörtlich, was bis hin zu ernsthaften Schlafstörungen des Kindes führen kann. Er rät: „Unterstützen Sie die Neugierde des Kindes. Warum nicht gemeinsam einen Friedhof besuchen oder einen Bestatter ausfragen – die sind zumeist netter als man denkt.“

Der gastliche Friedhof Wrede hält es generell für wichtig, dass Trauernde gut informiert sind über das, was im Zusammenhang mit einer Bestattung möglich ist. „Friedhofszwang“, dieses deutsche Wort, wirft seinen Schatten immer noch auf die frisch geharkten Wege düsterer Stätten, auf denen die Besucher mit großen Schildern begrüßt werden, auf denen eine Vielzahl Verbote aufgemalt sind. Doch ein Friedhofsverwalter hat viele Freiheiten und oft ist mehr erlaubt, als man denkt, wenn man sich für eine Erdbestattung oder ein Urnengrab entscheidet.

Und Wrede erzählt von den Friedhöfen, die ein eigenes Café eingerichtet haben, „um den Menschen den Besuch bei ihren Verstorbenen angenehmer und vor allem ungezwungener zu manchen.“ Das Buch „The End“ ist ein Plädoyer für die Beschäftigung mit dem Tod, für einen völlig neuen Umgang mit Trauer. Dadurch verliert beides an Schrecken. Die unkonventionelle Sicht darauf ist bereichernd, denn sie bleibt bei allem dem Ernst des Themas angemessen, denn Wrede steht auf dem Standpunkt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Auch wenn er tot ist.“

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/19 ab Seite 66.

Alexandra Regner, PTA und Journalistin

Eric Wrede: The End. Das Buch vom Tod. 192 Seiten, ISBN: 978-3-453-27181-4, Heyne Encore, 16 Euro

×