Tasse Tee © al62 / iStock / Getty Images
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Berühmte Giftmorde

TÄSSCHEN TEE GEFÄLLIG?

Einer der letzten großen Serienmorde mit Gift liegt noch gar nicht so lange zurück. Zwischen 1962 und 1971 vergiftete der Engländer Graham Young mehrere Familienmitglieder, Freunde und Arbeitskollegen.

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Wer konnte es ahnen: Wem der kleine Graham eine Tasse Tee reichte, der konnte froh sein, mit dem Leben davonzukommen. Seine Landsleute verliehen ihm daher den Titel „Teacup Poisoner“ – und da Engländer bekanntermaßen eine Menge Tee trinken, gehörten nicht wenige Menschen zu seinen Opfern.

Schwierige Kindheit Graham Youngs Mutter starb schon kurz nach seiner Geburt. Da sein Vater Fred nicht in der Lage war, ihn und die ältere Schwester zu versorgen, wurde er zunächst bei der Großmutter und einer Tante untergebracht. Dann heiratete sein Vater erneut, und Graham kam mit der Schwester Winifred zurück in die Stieffamilie. Schon sehr früh hegte Graham, dem in manchen Veröffentlichungen eine Form des Autismus bescheinigt wird, ein ungesundes Interesse an der Toxikologie.

Sobald er lesen konnte, verschlang er Bücher darüber und träumte davon, als berühmter Wissenschaftler zu reüssieren. Natürlich war er im Chemie-Unterricht ein absoluter Crack. So sehr, dass er seine Lehrer überzeugen konnte, ihm ab und zu für Experimente Arsen, Thallium, Antimon oder Digitalis mit nach Hause zu geben. Jeder in der Familie und in der Schule wusste um das Interesse des Jungen; keiner fand es bedenklich oder merkwürdig.

Die erste Tasse Tee 1961 begann eine merkwürdige Magenkrankheit die Familie Young heimzusuchen. Vater, Mutter, Winifred und der 14-jährige Graham wanden sich in Krämpfen und erbrachen. So ganz hatte sich die mysteriöse Erkrankung noch nicht verzogen, da reichte Graham seiner Schwester die erste selbst zubereitete Tasse Tee, was als eine liebevolle Geste wahrgenommen wurde. Winifred nahm nur einen Schluck von dem ausgesprochen bitteren Gebräu, dann stellte sie es angewidert zur Seite. Ins Krankenhaus kam sie am Ende des Tages trotzdem, denn sie begann zu halluzinieren.

Dort stellte man eine Vergiftung mit Atropin fest. Vater Fred nahm ganz richtig an, dass die chemischen Experimente seines Sohnes ein wenig aus dem Ruder gelaufen waren und durchsuchte sein Zimmer, fand aber nichts. Streng wies er ihn an, vorsichtiger mit „those bloody chemicals“ zu sein. Oh hätte er doch sorgfältiger nachgeschaut – denn Graham hielt Zeit seines Lebens all seine „Versuche“ streng wissenschaftlich in schriftlichen Aufzeichnungen fest, was der Polizei die spätere Aufklärung sehr erleichterte.

Thallium und alle seine Verbindungen sind hochgiftig. Neben Durchfällen treten auch Veränderungen an den Haarwurzeln auf und die Haare fallen aus.

Das Umfeld schöpft Verdacht Am 21. April fand Fred seinen Sohn, wie er gebannt aus dem Fenster in den Garten starrte. Dort lag seine Frau, die Stiefmutter des Jungen, und krümmte sich vor Schmerzen; spät am Abend verstarb sie im Krankenhaus. Ihre Leiche wurde verbrannt. Fred Young selbst wurde ebenfalls immer kränker. Sein Arzt ließ eine Metallbestimmung im Blut durchführen und fand – Antimon. Noch immer glaubte der Vater nicht, dass sein Sohn etwas mit dem Krankheitsgeschehen innerhalb der Familie zu tun hatte.

Als aber auch Grahams bester Freund Christopher nach einem gemeinsamen Mittagessen an denselben Symptomen litt, schöpften sowohl Grahams Tante als auch sein Chemielehrer Verdacht. Im Schulschreibtisch fand der Lehrer Aufzeichnungen über die gefährlichen Experimente seines begabten Schülers, samt haargenauer Rezepte und den Personen, denen er seine Mischungen verabreicht hatte. Am 23. Mai 1962 – Graham war erst 14 Jahre alt – brachte man den Jungen ins Broadmoor Hospital, einer Haftanstalt für Patienten mit psychischen Störungen. Er war dort der jüngste Häftling seit 1885.

Cyanid aus Lorbeerblättern Im Gefängnis bildete Graham sich fort, natürlich in der Giftkunde. Er las weiterhin alles über Toxikologie, was er in die Finger bekommen konnte. Wenige Wochen nach seiner Ankunft starb ein Mitinsasse an einer Überdosis Cyanid. Graham Young gestand sofort. Er habe aus den Lorbeer-Büschen im Gefängnishof das Toxin extrahiert. Doch ihm wurde nicht geglaubt, da der Verstorbene schon vorher als selbstmordgefährdet galt – ein fataler Fehler. Nach neun Jahren entließ man ihn aufgrund des Gutachtens eines Psychiaters, der ihn als „vollständig geheilt“ und „nicht mehr den Giften verfallen“ beschrieb.

Graham Young zog in ein Hostel, in dem – man ahnt es bereits – schon kurz nach seinem Erscheinen mehrere Bewohner unter starken Krämpfen und Durchfällen litten. Einer nahm sich aufgrund der Schmerzen sogar das Leben. Und obwohl es kaum zu glauben ist, stellte eine Firma für fotografische Ausrüstungen, die in ihren Laboren über jede Menge giftige Substanzen verfügte, den jungen Mann ein. Sie hatte zwar Informationen über Grahams letzte Jahre – jedoch nicht über die Ursache seines Aufenthaltes in Broadmoor. Durch seine neue Arbeitsstelle hatte Graham Young nun erstmals Zugang zum hochgiftigen Thalliumbromid und –iodid; Substanzen, aus denen Linsen für militärische Ausrüstungen hergestellt wurden.

Tod des Chefs Der neue Mitarbeiter war sehr beliebt, servierte er doch jeden Nachmittag auf freundliche Weise ein Tässchen Tee. Niemandem, weder den Behörden noch den Mitarbeitern, kam es komisch vor, dass der Chef unter Krampfanfällen, Erbrechen und Durchfall zu leiden begann. Die Symptome verschwanden, als Bob Eagle völlig erschöpft einen Urlaub antrat – kehrten aber zurück, als er seinen Dienst wieder aufnahm. Zehn Tage nach seiner Rückkehr starb Eagle. In seiner Krankenakte fand sich als Todesursache eine Lungenentzündung.

Fred Briggs, ein Lagerarbeiter in derselben Firma, begann unter ähnlichen Symptomen zu leiden und wurde ebenfalls ins Krankenhaus eingeliefert. Tagelang quälte er sich, dann verstarb auch er. Und als 70 (!) weitere Mitarbeiter der Firma ebenfalls krank wurden, wachten die Behörden endlich auf. Aber erst, nachdem Graham Young dem Betriebsarzt selbst einen Tipp gegeben hatte: Ob er denn schon einmal an eine Thallium-Vergiftung gedacht hätte? Einem Kollegen erzählte er, dass sein Hobby das Studium giftiger Chemikalien sei – und dieser Kollege ging zur Polizei. Forensische Analysen bestätigten, dass ausnahmslos alle Erkrankten an einer Thalliumvergiftung litten.

Tagebuch des Todes Graham wurde am 21. November 1971 erneut festgenommen. Bei der Durchsuchung seines Zimmers fanden die Ermittler Antimon, Thallium und Aconitin – und ein detailliertes Tagebuch mit sämtlichen Dosen, ihren Wirkungen und den jeweiligen Personen, denen er Leben oder Sterben „erlaubte“. Im Prozess vor dem Schwurgericht beteuerte Young allerdings, das Tagebuch sei nur Aufzeichnung für einen späteren Roman. Doch das Gericht glaubte ihm nicht, Graham Young wurde zu lebenslanger Haft verurteilt und starb 1990 mit nur 42 Jahren im Gefängnis – an einem Herzinfarkt. Bis heute halten sich Gerüchte, ob diese offizielle Todesursache wirklich der Wahrheit entspricht.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/19 ab Seite 106.

Alexandra Regner, PTA und Journalistin

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