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Eine wirklich „stille“ Nacht wäre schrecklich.

STILLE NACHT

Gerade in der Weihnachtszeit pflegen wir ganz besonders unsere sozialen Kontakte. Kaum jemand aber bedenkt, wie wichtig hierbei der Hörsinn ist.

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Kennen Sie das auch? Es ist Weihnachten, die ganze Familie ist gekommen um gemeinsam zu feiern, zu singen und sich gegenseitig zu beschenken. Man redet, tauscht sich aus und lässt einander so teilhaben am eigenen Leben. Vielleicht wissen Sie, wie hinderlich es in solchen Situationen ist, wenn man nicht richtig hört, sei es durch eigenen Hörverlust oder durch Beobachtung etwa der Oma, die bereits unter Altersschwerhörigkeit leidet.

Hörgeschädigte fragen anfangs noch häufig nach, wenn sie etwas nicht verstanden haben, doch mit der Zeit geben sie es auf, meist weil es ihnen peinlich ist, immer wieder nicht zu verstehen, was gesprochen wird. Wenn Sie diese Erfahrung noch nicht selbst gemacht haben, dann werden Sie vielleicht denken, das wäre zwar bedauerlich, aber im Grunde halb so schlimm, denn Hauptsache, man ist beisammen, eingebunden in der Gemeinschaft. Doch das ist ein Trugschluss, denn für Schwerhörige oder gar Ertaubte macht es einen riesen Unterschied: Sie sind zwar mittendrin, aber nicht dabei!

Vergleichen wir den Hörsinn mit dem Sehsinn, so können wir zunächst einmal feststellen: Menschen sind Augentiere! Bei der Orientierung im Raum, der Bewertung von Dingen oder auch der Partnerwahl nimmt der Sehsinn (zumindest subjektiv) eine dominante Rolle ein. Die meisten Befragten geben daher auch stets an, dass für sie das Augenlicht der wichtigste Sinn sei. Blindheit wird viel schlimmer empfunden als Taubheit oder der Verlust eines anderen Sinnes.

Tatsächlich kommen erblindete Menschen aber viel besser mit der neuen Situation zu Recht als ertaubte: Während letztere immer wieder Suizid begehen, kommt dies bei Erblindeten kaum vor. Dies liegt daran, dass die beschriebenen Hindernisse bei der Kommunikation mit Freunden und Familienmitgliedern zu einer sozialen Isolation der Hörgeschädigten und damit zunehmender Vereinsamung führt, die schwere Depressionen nach sich ziehen kann. Diese Probleme hat der Blinde nicht, da er stets versteht, was gesprochen wird und so weiter am Leben der anderen teilhaben und ihre Hilfe und ihr Mitgefühl ganz unmittelbar erfahren kann.

Leider müssen wir feststellen, dass Hörschäden ein gesellschaftlich wachsendes Problem sind: Bereits jetzt leiden etwa 10 Prozent der Bevölkerung darunter – diese sind bereits vor merklicher Verschlechterung der Hörschwellen anhand veränderter Verarbeitung von Höreindrücken in der Großhirnrinde nachweisbar! Also achten Sie auf Ihr Gehör und schützen Sie es, wo immer Sie können, damit die stille Nacht auch in Zukunft ein Fest der Familie und der Gemeinschaft für Sie und Ihre Lieben bleiben wird – so wie wir alle es kennen …

ZUR PERSON
Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de 

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg. Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens. www.schulze-holger.de  
 

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 12/11 auf Seite 12.

 


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