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Hirntumor

STERBEN MIT ANSAGE

„Hallo. Ich heiße Dmitrij Panov und ich werde bald sterben. Klingt komisch, ist aber so.“ Am ersten Februar stellte der 25-jährige diese Botschaft auf seinen Blog, seitdem lässt er alle Interessierten in seinem Online-Tagebuch mitlesen.

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Dmitrij litt unter permanenter Übelkeit, Rückenschmerzen und wurde zwischendurch auch schon einmal ohnmächtig. Im Dezember 2011 erhielt der damals 20jährige dann die Diagnose: bösartige Zellwucherungen im Gehirn. Erleichtert darüber, die Ursache für die quälenden Beschwerden zu kennen, trat er die Operation an, es folgten zahlreiche Bestrahlungen und Chemotherapien. „Wäre nicht schlecht, wenn es an dieser Stelle enden könnte“, schreibt er in seinem Blog. Doch nach zwei krebsfreien Jahren kommt es zum Rückfall, Ende 2015 wurde zudem bei einer Untersuchung des Nervenwassers festgestellt, dass bereits Hirnmetastasen vorliegen.

Klassifikation Dmitrij ist an einem sogenannten Medulloblastom, einem bösartigen embryonalen Tumor des Kleinhirns, erkrankt. Meist tritt er im Kleinkindes- oder Kindesalter auf und gilt als häufigster bösartiger Gehirntumor in dieser Altersstufe. Bei Erwachsenen ist das Medulloblastom relativ selten und macht nur etwa ein Prozent aller Hirntumoren aus. Laut der Gliederung der Weltgesundheitsorganisation zählt die Wucherung zu den Tumoren des zentralen Nervensystems (Grad IV).

 Verwandte Formen Wie auch die primitiven neuroektodermalen Tumoren des Zentralnervensystems (ZNS-PNET oder CNS-PENT) und das Pineoblastom gehört das Medulloblastom zu den Tumoren, die sich durch die Entartung von Zellen des Gehirns oder des Rückenmarks entwickeln. Da sie dem Rückenmark entspringen, werden sie als primäre ZNS-Tumoren bezeichnet. Bei den drei sehr ähnlichen Arten handelt es sich um embryonale Tumoren, da sie sich aus extrem unreifen und undifferenzierten Zellen des ZNS bilden, bevor sie rasch wachsen.

Sie unterscheiden sich dadurch, dass das Medulloblastom das Kleinhirn betrifft, während die Pineoblastome aus der Zirbeldrüse stammen und das ZNSPNET oberhalb des Kleinhirnzeltes auftritt. Das Medulloblastom kann weiter differenziert werden, die Subtypen sind mit verschiedenen Prognosen verbunden. In der Regel verbreiten sich Medulloblastome unkontrolliert (bspw. befallen sie den Hirnstamm oder die Hirnkammern).

Streuen die Tumorzellen über die Gehirn- Rückenmarks-Flüssigkeit, bilden sich innerhalb des ZNS Metastasen. Die Tumorabsiedlungen werden bei einem Drittel der Betroffenen bereits zum Zeitpunkt der Erstdiagnose gefunden. ZNS-PNET und Pineoblastome weisen im Gegensatz zu Medulloblastomen ein aggressiveres Wachstumsverhalten auf. Häufig wandern sie in die andere Großhirnhälfte oder in die Hirnhäute.

(Un)spezifische Anzeichen Die Tumoren gehen mit unterschiedlichen Symptomen einher: Zu den unspezifischen Beschwerden zählen Kopf- und Rückenschmerzen, Schwindel, Erbrechen, Übelkeit, Müdigkeit, Gewichtsverlust, Appetitlosigkeit, Wesensveränderungen, Entwicklungsverzögerungen oder Konzentrationsstörungen. Die Ursache liegt in einer Druckzunahme im Inneren des Schädels, der entweder direkt durch den Tumor oder durch Abflussstörungen der Gehirn- Rückenmark-Flüssigkeit entsteht.

Medulloblastome können weiterhin Gleichgewichts- und Gangstörungen hervorrufen, da das Cerebellum für die Motorik zuständig ist, während Tumoren des Großhirns hingegen mit Krampfanfällen oder Lähmungserscheinungen einhergehen. Oftmals kommt es auch zu Seh-, Schlaf- oder Bewusstseinsstörungen, auch diese Anzeichen weisen auf die Lage des Tumors hin.

EXKURS GEHIRN
Das Telenzephalon (Großhirn) befindet sich oberhalb der anderen Hirnabschnitte. Es verfügt über zahlreiche Windungen (Gyri) und Furchen (Sulci) und ist durch eine große Vertiefung in zwei Hemisphären eingeteilt. In der äußeren Schicht des Telenzephalons liegt das Großhirnmark, welches die Bewegungen koordiniert. Zum dort ebenfalls befindlichen limbischen System gehören der Hippocampus (Lernund Gedächtnisprozesse, Aggression, Motivation), der Gyrus cinguli (vegetative, psychomotorische und emotionale Funktionen) und die Amygdala (Angsterleben, Speicherung emotionaler Gedächtnisinhalte). Das Kleinhirn (Cerebellum) ist ein Anhang des Gehirns im Hinterhaupt und besteht ebenfalls aus zwei Hemisphären. Seine Aufgabe ist die Feinabstimmung der Motorik, außerdem ist es an Lernvorgängen und der Steuerung vegetativer Reaktionen beteiligt.

Hilfe für Betroffene Die Therapie beinhaltet die Möglichkeit der Operation, der Bestrahlung und der Chemotherapie. Ziel des operativen Eingriffs ist die vollständige Entfernung des Tumorgewebes. Ein Medulloblastom wird in der Hälfte der Fälle komplett beseitigt, die beiden anderen Tumorarten sind aufgrund ihrer ungünstigen Lage oft schlechter zu entnehmen. Im Rahmen des Eingriffs können bestehende Abflussstörungen des Liquors behoben werden, bei einigen Patienten ist unter Umständen ein bleibendes Drainagesystem erforderlich.

Auf die Operation folgen Chemooder Strahlentherapie, die Entscheidung dafür hängt vom histologischen Subtyp des Tumors, vom Erfolg der Operation, von der Metastasierung sowie von bestehenden Risikofaktoren ab. Einige Betroffene erhalten neben der Hochdosis-Chemotherapie eine autologe Stammzellentransplantation, bei der eigene Zellen, die zuvor dem Knochenmark oder Blut entnommen wurden, zurück übertragen werden.

Der Umgang mit Rezidiven hängt vom Allgemeinzustand und der Vorbehandlung des Patienten sowie von der Wirksamkeit der Chemotherapie ab. Für Dmitrij ist es zu spät, eine weitere Operation kommt nicht mehr in Betracht. Sein letzter Eintrag (zum Verfassungszeitpunkt des Artikels) war am 11. September: „Bin jetzt im Hospiz. Bin also weiterhin da, nur sehr müde.“

Anm. d. Redaktion: Dmitrij Panov ist am 8. Oktober 2016 gestorben.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/16 ab Seite 146.

Martina Görz, PTA, B. Sc. und Fachjournalistin

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