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Narkosemittel bewirken einen kurzfristigen Bewußtseinsverlust

SCHMERZENTSTEHUNG DURCH NARKOTIKA

Sie ermöglichen Operationen – und verursachen durch ihre Wirkung auf periphere Nerven aber oft selber Schmerzen.

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Kennen Sie das auch? Sie müssen sich einem chirurgischen Eingriff unterziehen und verspüren bei der Einleitung der Narkose einen brennenden Schmerz, als das Anästhetikum in Ihre Vene eingeleitet wird. Kurz darauf können Sie diesen freilich nicht mehr wahrnehmen, da die Betäubung einsetzt. Den Wundschmerz nach der OP führen Sie auf die Verletzung zurück, die unweigerlich mit jedem Eingriff einhergeht: Die Wunde muß heilen und das dauert eben seine Zeit.

Dies ist zwar vollkommen richtig, doch der Schmerz, den Sie postoperativ verspüren, ist häufig nicht alleine durch die Verletzung selbst verursacht. Ein gewisser Anteil beruht auch auf Nebenwirkungen der Narkotika, die man erst in den letzten Jahren zu verstehen beginnt.

Schlafmittel wie Propofol haben bei der Anästhesie die Aufgabe, das Bewußtsein auszuschalten. Propofol leistet diese Aufgabe, indem es im zentralen Nervensystem auf bestimmte Rezeptoren wirkt. Bei diesen handelt es sich vermutlich um GABAA-Rezeptoren, Proteine, die bei Aktivierung einen Kanal in der Zellmembran der Nervenzelle öffnen, der so für negativ geladene Chloridionen durchgängig wird. Wird der Kanal geöffnet, strömen diese in die Zelle und führen dadurch zu einer Hemmung deren Aktivität. Geschieht dies – etwa durch Propofol – gleichzeitig im gesamten Gehirn, so wird der Patient bewußtlos. Soweit zu dem gewünschten Effekt.

Solche Hypnotika haben aber noch weitere Wirkungen: Sie aktivieren auch eine weitere Klasse von Kanalproteinen, nämlich Kanäle der so genannten TRP-Familie. Dabei handelt es sich um Membranproteine, die bei Aktivierung für positiv geladene Teilchen durchlässig werden und so zu einer Erregung der Zellen führen. Sie befinden sich in peripheren Nervenfasern, die für die Schmerzwahrnehmung zuständig sind und normalerweise durch Hitze, Säure oder auch bestimmte pflanzliche Inhaltsstoffe gereizt werden. Werden sie durch Propofol aktiviert, so wirken sie auch wie diese Schmerzreize, inklusive der in der Folge der Erregung der Nervenfaser einsetzenden Sensitivierung und Entzündungsreaktion.

In ähnlicher Weise können übrigens auch Lokalanästhetika wie Lidocain auf die TRP-Kanäle wirken – mit den gleichen Konsequenzen. Postoperativer Schmerz kann also nicht immer nur auf die Wunde selbst zurückgeführt werden, sondern wird paradoxerweise vermutlich durch die beschriebenen Nebenwirkungen der Mittel, die eigentlich die Schmerzen unterdrücken sollen, noch verstärkt. Dennoch bleibt der Einsatz von Hypnotika wie Propofol auch weiterhin unverzichtbar für die Durchführung aller Engriffe, die eine Vollnarkose erzwingen.

Bleibt uns nur, deren Folgen auch in Zukunft durch den Einsatz zusätzlicher Schmerzmittel wie etwa Opioiden zu lindern – und so kennen Sie das ja vielleicht auch …

ZUR PERSON
Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de 

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg. Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens. www.schulze-holger.de  
 

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 10/11 auf Seite 12.

 


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