Comic-Fliege © Frater Aloisius
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Der Apothekenkrimi

DIE SPANISCHE FLIEGE - TEIL 1

Welch eine illustre Runde! Britta Badouin war immer noch dabei, sich einen Überblick zu verschaffen. Sie saß an einem Tisch in einem der bekanntesten Restaurants Frankfurts. Der Sternekoch höchstpersönlich hatte sich ihrer angenommen. Es gab Ceviche ...

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Kapitel 1 Welch eine illustre Runde! Britta Badouin war immer noch dabei, sich einen Überblick zu verschaffen. Sie saß an einem Tisch in einem der bekanntesten Restaurants Frankfurts. Der Sternekoch höchstpersönlich hatte sich ihrer angenommen. Es gab Ceviche vom schottischen Seeteufel, gefolgt von Lamm an Haricot Verts. Als Nachtisch Eis, irgendwas mit exotischen Gewürzen, jedenfalls nichts Normales.

Britta saß an der Seite ihres Lebensgefährten Robert von der Leyden, Kardiologe und Allgemeinmediziner im beschaulichen Städtchen Herborn, wo er direkt über ihrer Apotheke seine Praxis betrieb. Die beiden waren heute zu diesem Dinner geladen, da ein Forschungspreis an einen Kollegen verliehen worden war, der etwas zum Thema T1-Rezeptoren, Gen-Sequenzen und Adenosintriphosphat herausgefunden hatte, in welcher Reihenfolge und in welchem Zusammenhang konnte sich Britta einfach nicht merken. Der Präsident der Ärztlichen Vereinigung hatte sich zur Tischrede erhoben und hielt sich leider nicht an die allgemein bekannte Regel, über alles zu sprechen, nur nicht über fünf Minuten.

Derweil der Präsident ins Jahr 1976 zurückging, in dem der prämierte Mediziner seine Forschungen begonnen hatte, ließ Britta ihre Blicke schweifen. Links von ihr saß ein Herr im Smoking, dessen hervorstechendstes Merkmal sein dreifarbiger, akkurat gestutzter Vollbart war. Robert hatte ihr zugeflüstert, dass dies Professor Albert Zurmuehl-Wiedenhausen sei, Medizinhistoriker, Koryphäe auf seinem Gebiet, wie fast alle hier an diesem Tisch. Seine Gattin, eine streng dreinblickende Mittfünfzigerin von hagerer Gestalt, blickte stumm auf den Vortragenden, als wolle sie ihn bewerten. Gertrud Zurmuehl-Wiedenhausen trug ein Geschmeide um den dünnen Hals, das, sollte es echt sein, mindestens den Wert eines Einfamilienhauses im Westend darstellte.

Rechts von Robert saß eine kleine Frau mit wachen Augen, einen Block auf dem Schoß, Abgesandte einer Frankfurter Zeitung. Das ist ja herrlich altmodisch, dachte Britta, mit diesem Schreibblock und dem Stift. Sie versuchte sich, an ihren Namen zu erinnern, aber der war so komisch gewesen, so – lautmalerisch. Mit ihrem untrüglichen Gespür bemerkte die Apothekerin, dass die Journalistin a) sonst nur selten ein kleines schwarzes Abendkleid trug, (denn sie fühlte sich unwohl darin), b) normalerweise niemals diese halb geschäftsmäßige, halb bewundernde Miene dem Vortragenden gegenüber aufsetzen würde und sich c) in Wirklichkeit über diese Abendgesellschaft mokierte. Britta wusste noch nicht genau, ob ihr das gefiel. Nachher amüsierte die sich auch über Apotheker?

Neben der Journalistin schaute Dr. Sauerbruch konzentriert auf sein Silberbesteck. Natürlich hieß er nicht wirklich so, das war aber sein Spitzname. Der kahlköpfige Mann mit den dicken Brillengläsern sah dem Original ziemlich ähnlich und sorgte dafür, dass sein Institut an der Frankfurter Uniklinik immer wieder groß rauskam, weil er irgendeine Neuerung herausgebracht hatte. So hatte er auch diesmal den preisgekrönten Mediziner unterstützt und gefördert.

Professor Dr. Hans Ferdinand, wie er richtig hieß, galt als begehrter Mentor, als herausragender Doktorvater, und die Medizinstudenten standen Schlange, um in seine Seminare zu kommen. Britta dachte daran, dass Robert ihr amüsiert berichtet hatte, dass Dr. Sauerbruch einen immensen Eindruck bei den Damen hinterließ. An attraktiven Freundinnen mangelte es ihm jedenfalls nicht. Jene neben ihm war groß, schlank und hatte lange braune, seidig glänzende Haare. Britta schätzte sie auf Anfang dreißig, höchstens. Soweit sie wusste, war die junge Frau Klinikapothekerin, als Dr. Jeanette Scholz hatte sie sich ihr vorgestellt.

„Und somit erhebe ich mein Glas auf unseren geschätzten Kollegen!“ Der Präsident wandte sich mit erhobenem Sektglas nach links, wo ihm der Preisträger entgegenblickte. Er sah einem ehemaligen Tagesthemen-Moderator verblüffend ähnlich: die gleichen weißen Haare plus Schnurrbart, die gleiche randlose Brille, der gleiche freundlich-routinierte Gesichtsausdruck. Jetzt bleckte er sogar die Zähne wie der… Britta unterdrückte ein Grinsen und griff ihrerseits nach dem Kelch. „Verbunden mit meinen auch persönlichen Glückwünschen zu den Früchten ihrer bahnbrechenden Forschung, lieber Dr. Wennerhold!“

Der Angesprochene erhob sich und prostete lächelnd in die Runde. Die Frau an seiner Seite, ebenfalls Ärztin, schaute freundlich-interessiert. Sie trug halblange Haare, hatte eine sportliche Gestalt, war dezent geschminkt. Sie war hübsch, von der unaufdringlichen Art. Britta stellte sie sich spaghettikochend vor, neben einer größeren Runde fröhlicher Menschen, direkt in ihrer Küche… Dr. Thomas Wennerhold und seine Frau Miriam waren ein schönes Paar. „Liebling?“ Robert hielt sein Glas in der Hand, schaute sie fragend an und lächelte. „Einen Penny für deine Gedanken.“

„Ach“, sagte Britta und fühlte, wie sie rot wurde. Dass ihr aber auch immer die Phantasie durchging. „Entschuldige.“ Und dann sah sie ihrem Robert ins Gesicht, der sie mal wieder betrachtete, als wäre sie die tollste Frau der Welt, und sie dachte: Was hab ich nur für ein Glück mit ihm.

Robert von der Leyden und die Apothekerin hatten sich am Rande von Ermittlungen zu einem Todesfall näher kennen gelernt (siehe Mord am Mainufer) und wurden kurze Zeit später ein Paar. Britta Badouin führte nach wie vor die Apotheke im unteren Stockwerk des denkmalgeschützten Fachwerkhauses in der Herborner Innenstadt; Robert seine Praxis eine Etage über ihr. Beide waren bereits jenseits der fünfzig und vielleicht konnten sie deshalb ermessen, was das Leben ihnen noch einmal beschert hatte: Zuneigung, Vertrauen und ähnliche berufliche Interessen. Und dann mochten sie einander auch noch gern anschauen: Robert, so fand Britta, sah auf beinahe lächerliche Weise dem graumelierten Doktor aus einer Arztserie ähnlich; Britta wiederum, deren ungebärdige, in alle Richtungen abstehende Haare einen Stich ins Rötliche aufwiesen, hatte den sommersprossigen Teint der Rothaarigen und den Gesichtsausdruck derer, die ein Löwenherz besitzen: unerschrocken, mitfühlend, altruistisch. Robert liebte das.

Manchmal versuchte er zum Zeitvertreib, ihre Sommersprossen zu zählen. Die Familie derer von der Leyden war mittlerweile auf vielfältige Weise mit der Bärenbach-Apotheke verbunden: Frido, ein Neffe Roberts, hatte vor kurzem Brittas PTA Annette geheiratet (siehe Das Weihnachsrätsel). Es musste schnell gehen, denn Annette war bereits im vierten Monat schwanger, und Frido hatte erklärt, ohne Heiraten ginge es in seinen Kreisen nun mal nicht. Schließlich würde der Kleine (Frido ging fest davon aus, dass es ein Junge sein würde) einmal die Grimmburg erben, die eine Viertelstunde entfernt auf einem malerischen Hügel des Rothaargebirges ins Dilltal blickte.

Und so hatten sich Familie und Freunde vor zwei Wochen vor dem Standesamt versammelt, das praktischerweise direkt neben der Apotheke lag, und feierten miteinander die vielleicht lustigste Hochzeit des Jahres: Ein paar Mittelalter-Freaks verlasen ein selbst getextetes Gedicht, der Brieftaubenzuchtverein entließ zwei weiße Vögel in den strahlend blauen Himmel und Sophia von der Leyden, ebenfalls PTA und eine Nichte Roberts, hatte ihre Haflingerstute mitgebracht, mit der sie ein Ponyreiten um den Marktplatzbrunnen veranstaltete. Yago, der alte Jagdhund Fridos, durfte sogar mit ins Standesamt, denn er trug an seinem Halsband ein kleines Stoffsäckchen, in dem sich die Ringe befanden.

Wieso Vernehmung?“ fragte die Gattin des Medizinhistorikers scharf. „Es ist doch wohl klar, wer es getan hat!

Die kirchliche Trauung in der Kapelle der Burg war natürlich nicht halb so witzig, aber dafür tausendmal feierlicher gewesen. Die Eltern des Brautpaares saßen direkt unter dem blau-weiß-goldenen Familienwappen und dem aufgemalten Stammbaum der von der Leydens, als Annette im raffiniert geschnittenen weißen Satinkleid und einer langen Schleppe aus Brüsseler Spitze mit Frido vor den geschnitzten Holzaltar trat. Britta musste Robert, der immer sehr leicht gerührt war, ein Taschentuch reichen. Dann hielten sich die beiden die ganze Zeit einander bei der Hand. Und während der Formel „Ich will dich lieben, achten und ehren“ – tja, da war es auch mit Brittas Fassung vorbei.


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„Die Spanische Fliege - Teil 1”

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