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Krankheiten berühmter Persönlichkeiten

SEHNSUCHT NACH DEM TOD

„Genie und Wahnsinn“: So heißt ein britischer Spielfilm aus dem Jahr 1970, der das Leben des russischen Komponisten Pjotr Iljitsch Tschaikowski behandelt.

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Doch hat der Film wirklich viel mit der Wirklichkeit zu tun? Fakt ist: Pjotr Iljitsch Tschaikowski wurde erst über Umwege zu dem, als was er heute gilt – der bedeutendste russische Komponist des 19. Jahrhunderts. Ist er deshalb ein Genie? Die Frau des homosexuell veranlagten Komponisten jedenfalls endete im Wahnsinn, kam 1896 in eine Irrenanstalt und starb dort 1917. Während vielen bekannten Musikern wie Mozart oder Beethoven das Talent über das musikalische Elternhaus quasi in die Wiege gelegt wurde, war dies bei Tschaikowski keineswegs so.


Der am 7. Mai 1840 in Wotkinsk (Gouvernement Ural) geborene zweite Sohn eines Bergingenieurs (insgesamt hatte er schließlich sechs Geschwister) durfte zur Ablenkung nach einer schweren Masernerkrankung Klavier spielen. Da der knapp Fünfjährige ein erstmals gehörtes Stück sofort nachspielen konnte, erhielt er aufgrund seines erstaunlichen Talentes Klavierunterricht und spielte bald besser als seine Klavierlehrerin. Dennoch sahen die Eltern für ihren Sohn den Staatsdienst vor und so besuchte Tschaikowski ab dem zehnten Lebensjahr von 1850 bis 1859 die Rechtsschule in Sankt Petersburg, machte dort Abitur und trat zunächst in die Dienste des Justizministeriums. 

Berufswechsel als Chance Durch seinen Beamtenstatus war er gesellschaftlich privilegiert und durchaus vermögend. Privat jedoch widmete er sich dem Klavier- und Musikunterricht. 1862 entschloss Tschaikowski sich – zum Unverständnis vieler Familienmitglieder – seinen auskömmlichen Beruf aufzugeben und stattdessen Musik bei Anton Rubinstein (1829–1894) am von diesem gegründeten Petersburger Konservatorium zu studieren. 1866 wechselte der mittlerweile mittellose Tschaikowki ans neu gegründete Moskauer Konservatorium als Dozent, wirkte dort bis 1877 und wohnte dabei die meiste Zeit unentgeltlich bei Anton Rubinsteins Bruder, dem Pianisten und Komponisten Nikolai Rubinstein (1835–1881). Erste erfolgreiche Kompositionen entstanden, etwa die Ouvertüre „Romeo und Julia“ sowie erste Sinfonien.

Seine Opern „Der Wojewode“ (1869) und „Undine“ (deren Aufführung abgelehnt wurde) fielen bei den Kritikern jedoch durch, was ihn – offenbar auch im Zusammenhang mit seiner nur mühsam verschleierten Homosexualität – zunehmend neurotisch und depressiv werden ließ. Zudem machte Tschaikowski ein Leben lang der frühe Cholera-Tod seiner Mutter im Jahr 1854 zu schaffen. Selbst 25 Jahre später schrieb er noch an einen Freund: „Ihr Tod hat den größten Einfluss auf mein und der Meinigen Schicksal. Jede Minute des fürchterlichen Tages ist mir so gegenwärtig, als wäre es gestern gewesen.“

Erfolg und Misserfolg Dass das Leben nicht nur schöne Seiten hat, musste Tschaikowski im weiteren Leben immer wieder erfahren. So arbeitete er zum Brotverdienst ab 1871 neben seiner Konservatoriums- Lehrtätigkeit, die ihn langweilte, zusätzlich journalistisch als Musikkritiker. Er komponierte vermehrt, doch das 1. Klavierkonzert op. 23 in b-Moll (1874), gefiel seinem Freund Nikolai Rubinstein, dem es auch gewidmet sein sollte, absolut nicht. Er verriss es. Tschaikowski ließ das Werk dennoch unverändert, schickte es an den berühmten Dirigenten und Pianisten Hans von Bülow (1830–1894), der damit 1875 in Boston die Uraufführung wagte – vor begeistertem Publikum. Viele weitere Werke entstanden und wurden mit unterschiedlichem Erfolg aufgeführt. In seinen freien Zeiten bereiste er Europa. Beim Besuch der Uraufführung von Wagners „Ring der Nibelungen“ im August 1876 wurde ihm dabei erstmals bewusst, dass sein Ruf als Komponist tatsächlich über die Grenzen Russlands hinausreichte.

Finanziell frei, aber gebunden 1876 legte er das Schreiben, kurz darauf auch die ungeliebte Lehrtätigkeit nieder – nachdem er dank seines Freundes Nikolai Rubinstein in Nadehda von Meck (1831–1894), der reichen Witwe des gerade verstorbenen Ritters Karl Georg Otto von Meck, eine Mäzenin gefunden hatte. Diese ließ ihm dreizehn Jahre lang eine jährliche Dauerrente von 6000 Rubeln sowie weitere fürstliche Honorare zukommen, was ihm finanzielle Unabhängigkeit bescherte. Die intensive Brieffreundschaft zerbrach später von einem auf den anderen Tag, persönlich begegneten sie sich nie. Um den Gerüchten über seine sexuellen Neigungen ein Ende zu setzen, heiratete er im Juni 1877 halbherzig und völlig überstürzt die 28-jährige Konservatoriumsschülerin Antonina Miljukowa – nachdem diese ihm einen Liebesbrief geschrieben hatte.

Schon kurz darauf bereute er diesen Schritt, litt fürchterliche Qualen, begann zu trinken, irrte stundenlang nachts durch die Straßen Moskaus, versuchte sich sogar an einem Selbstmord, indem er im Winter in den Moskwa-Fluss stieg, um sich eine tödliche Erkältung zuzuziehen. Er überlebte. Es folgte nach nur dreiwöchiger Ehe die Trennung, wobei es nie zur Scheidung kam und Antonina zeitlebens von Tschaikowski finanziell unterstützt wurde.

Wechselvolle Krankengeschichte In den darauf folgenden Jahren kränkelte Tschaikowski immer wieder, wobei eindeutige Krankheitsbilder nicht festgestellt werden konnten. Ungeheure Lebensangst, krankhafte Menschenscheu, unbestimmte „vegetative“ Beschwerden, periodisch auftretende Kopfschmerzen, Asthmaanfälle, unklare Magen- Darm-Störungen, gelegentliche „Nervenzusammenbrüche“ und innerliche Krisen reihten sich aneinander. Öfter legte Tschaikowsky sich einfach ins Bett, nahm als Therapie Brom ein. Ärzte erklärten ihm: „Mein Herr, Ihre Krankheit ist unheilbar, aber Sie können dabei hundert Jahre als werden.“ Die mehrjährige persönliche Krise, wirkte sich auch auf seine Kompositionstätigkeit aus.

Dennoch entstanden begeistert aufgenommene Werke wie die Oper „Eugen Onegin“ (1876–1878), sein einziges Violinkonzert D-Dur op. 35 oder „Die Jungfrau von Orleans“ (1880). 1884 beendete die Verleihung des angesehenen Wladimirordens durch Zar Alexander III. Tschaikowskis „Schaffenskrise“. Seitdem ging er als gefeierter Dirigent auf internationale Tournee. Außerdem folgten die mittlerweile beiden berühmtesten Ballette der Musikgeschichte: „Dornröschen“ (1890) und „Der Nussknacker“ (1892) sowie die Oper „Pique Dame“ (1890) und mehrere Symphonien.

Starke Magenschmerzen Immer häufiger klagte Tschaikowski allerdings über Asthmaanfälle. Schwere Depressionen und chronische Magenschmerzen machten ihm zudem schwer zu schaffen. „Der katarrhalische Zustand seines Magens quälte ihn schon seit Ende der sechziger Jahre. Einst wurde Peter Iljitsch in Nisy bei Kontratjew durch den dortigen Arzt mit der Anwendung des doppelt kohlensauren Natrons bekannt gemacht. … Seit der Zeit konnte er ohne Natron nicht leben, vertilgte es in unglaublichen Mengen und gewöhnte sich daran, dass er es sogar schmackhaft fand. Die Krankheit wurde dadurch nicht geheilt, im Gegenteil: sie wurde immer schlimmer, sodass Peter Iljitsch im Jahr 1876 eine Mineralquellenkur unternehmen musste.

Seit jener Kur besserte sich sein Befinden und er gedachte immer mit Dankbarkeit dieser heimwehreichen Tage in Vichy. Ganz verschwunden war der Katarrh jedoch nicht und machte sich jeden Augenblick bald stärker, bald schwächer fühlbar. Gegen Ende der achtziger Jahre verschlimmerte sich wieder der Zustand seines Magens: außer dem beständigen Sodbrennen wiederholten sich Magenverstimmungen immer öfter und beängstigten ihn sehr.“ Dies schilderte Tschaikowskis jüngerer Bruder Modest in einer Biographie. Heutige Mediziner diagnostizierten aufgrund dieser Krankheitsbeschreibung eine chronische Gastritis oder sogar ein Magenulkus.

Mysteriöser Tod Am 6. November 1893 starb Tschaikowski auf mysteriöse Art und Weise in Sankt Petersburg an der Cholera. Sein letztes Werk, die 6. Symphonie („Pathétique“) – die er für sein bestes Werk, das „Kompendium seines ganzen Lebens“ hielt – hatte während der Erstaufführung am 28. Oktober 1893 beim Publikum kein Verständnis gefunden. In einem Gasthaus trank der Komponist daraufhin ein Glas unabgekochtes Wasser – und dies, obwohl ihm bekannt war, dass in St. Petersburg eine Choleraepidemie wütete. Kenner Tschaikowkis werten dies als weiteren und diesmal geglückten Selbstmordversuch sowie als bewusstes Arrangement, den gleichen Tod wie seine geliebte Mutter zu sterben. Dadurch wurde Tschaikowsky nur 53 Jahre und sechs Monate alt.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/16 ab Seite 72.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin

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