Platzhalter Titelbild PTA© DIE PTA IN DER APOTHEKE

SECHS SPRECHER SOLLT IHR SEIN

Sitzungen in 21 Wochen, Arbeit für 52 Wochen: Für Abgeordnete, die nach ihrer Wahl einen interessanten Posten im Parlament übernommen haben, ist selten Pause. So auch für die Sprecherinnen, Obleute und Berichterstatter im Gesundheitsausschuss.

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Wenn in Berlin alle vier Jahre ein neugewählter Bundestag die Arbeit aufnimmt, kann man oft lustige Berichte darüber lesen, wie sich neue Abgeordnete zurechtfinden – oder auch nicht. Die SPD-Politikerin Derya Türk-Nachbaur witzelte im Herbst 2021 angesichts der Größe mancher Bundestagsgebäude: „Morgen packe ich mir einen Wanderrucksack und mache zwischendurch mal Vesperpause in irgendeinem dieser Gänge.“

Das bundesdeutsche Parlament ist eine große Angelegenheit: 736 Abgeordnete sind es seit der letzten Wahl. Insgesamt arbeiten mehr als 3000 Menschen im und fürs Parlament: Von A wie Abgeordnete über F wie Fraktionsmitarbeiter, I wie Informatiker bis V wie Verwaltungsfachangestellte. Viele von ihnen müssen sich nicht nur zwischen unzähligen Büros, Sitzungsräumen und langen unterirdischen Gängen zurechtfinden. Nach jeder Wahl ist eine Vielzahl von Parlamentsposten zu besetzen, damit die Gesetzesmaschinerie laufen kann.

Denn der Bundestag ist eine Mischung aus Rede- und Arbeitsparlament. Der Großteil der Arbeit findet nicht im Plenarsaal in Form von Redebeiträgen statt, sondern in unzähligen Stunden in den Fraktionen der einzelnen Parteien, in Ausschüssen, Arbeitskreisen und Arbeitsgruppen. Hier werden Gesetzentwürfe vorbereitet beziehungsweise verändert und miteinander abgestimmt. Für die Gesundheitspolitik ist der Ausschuss für Gesundheit mit seinen 42 Mitgliedern zentral. Dort hat die SPD 12 Sitze, CDU/ CSU 11, Grüne 7, FDP und AfD 5, Die Linke 2. Zentrale Posten rund um diesen Ausschuss sind:

Ausschussvorsitz Eine „wichtige und nicht einfache Stellung“, wie es in einem Standardwerk übers Parlament heißt. Alle Ausschüsse setzen sich zwar zusammen, wie es die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag vorgeben. Doch beim Vorsitz gilt: Es kann nur einen geben. Er oder sie soll die Ausschussarbeit möglichst objektiv fördern. Das heißt, ob Festlegung der Tagesordnung, Einberufung von Sitzungen und Leitung von Anhörungen – eine gute, vertrauensvolle Zusammenarbeit des Vorsitzenden mit allen Ausschussmitgliedern ist das Ziel.

Obleute Jede Fraktion ernennt einen Hauptansprechpartner für sämtliche Angelegenheiten des Gesundheitsausschusses. Obfrau oder Obmann sind dann quasi das Scharnier zwischen Ausschuss und Fraktion: Für ihre Fraktion sind sie wichtige Experten, weil sie einen guten Überblick über die Gesetzgebungsarbeiten haben. Für den Ausschuss ist klar, dass Obleute den Kurs ihrer Partei vertreten. Sie vermitteln ihren Parteikolleginnen und -kollegen aber umgekehrt auch zentrale Inhalte und Anliegen der Ausschussarbeit. Denn am Ende sind es alle Bundestagsabgeordneten, die einem Gesetz zustimmen oder es ablehnen, nicht nur die in einem Ausschuss.

Berichterstatter Die Fraktionen bestimmen zusätzlich noch Berichterstatter als Fachleute für einen oder mehrere Beratungsgegenstände im Ausschuss. Auch diese übernehmen eine gewisse Vermittlerrolle, denn in ihrer Fraktion sind sie Experte für ihr Fachthema. Im Ausschuss vertreten sie den Kurs ihrer Fraktion und steuern die fachlichen Beratungen.

Gesundheitspolitische Sprecher Einen wichtigen Posten übernehmen aber auch die gesundheitspolitischen Sprecher der einzelnen Fraktionen. In einem Übersichtsbeitrag wurde ihre Aufgabe einmal etwas hölzern so formuliert: Sie bestehe darin, „das gesamte Feld der jeweiligen Fachpolitik politisch zu definieren, die Einzelbereiche zu koordinieren und das Politikfeld innerhalb der Fraktion und in der Öffentlichkeit zu vertreten.“

Sprecher wirken also nicht nur nach innen, ins Parlament hinein, sondern auch nach außen. Sie sind häufig gefragte Ansprechpartner der Medien und deshalb auch bekannter als ihre Kolleginnen und Kollegen auf den anderen Posten. Im neuen Bundestag haben diese sechs Frauen und Männer die Aufgaben eines gesundheitspolitischen Sprechers beziehungsweise einer Sprecherin übernommen:

Heike Baehrens, SPD:

Schwerpunkt Pflegepolitik Die 66-jährige Politikerin war in der vergangenen Legislaturperiode bereits pflegepolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Neben ihrem neuen Sprecherposten ist sie auch noch Obfrau ihrer Fraktion. Zu Pflegethemen hat sie einen beruflichen Bezug. Baehrens war bis zu ihrem Einzug in den Bundestag 2013 Geschäftsführerin im Diakonischen Werk Württemberg und dort im Vorstand unter anderem für Gesundheit, Alter und Pflege zuständig.

Für eine Publikation von „Diakonie Deutschland“ wurde sie gefragt, was es brauche, um die Attraktivität sozialer Berufe zu steigern. Bezahlung und Arbeitsbedingungen schreckten viele ab, antwortete Baehrens. Zu notwendigen Verbesserungen gehörten „neben einer fairen Ausbildungsvergütung und guten Tariflöhnen auch die Aussicht auf fachliche Weiterbildung und Karrierechancen während der beruflichen Laufbahn“.

Tino Sorge, CDU:

Angreifer aus der Opposition Die Fraktion von CDU und CSU muss sich in der Oppositionsrolle zurechtfinden. Ihr neuer Sprecher im Bereich Gesundheitspolitik ist dabei eines ihrer Aushängeschilder nach außen und koordiniert sein Themenfeld nach innnen. Von ihm wird erwartet, der Ampelkoalition Paroli zu bieten.

Der 47-jährige Jurist ist kein Neuling im Parlament, sondern bereits in der dritten Legislaturperiode im Bundestag. In den letzten Jahren hat er sich aber vor allem mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen befasst. Im Frühjahr 2019 besuchte Sorge eine Apotheke in seinem Wahlkreis Magdeburg, in Calbe. Der Unionspolitiker bekräftigte damals, er sei ein Befürworter der regionalen sicheren Arzneimittelversorgung durch die Apotheke vor Ort.

Die Apothekerschaft forderte er auf, sich mehr Gehör zu verschaffen: „Ich vermisse die lautstarken Stimmen. Sie müssen viel deutlicher nach außen tragen, wo es drückt. Einerseits, um gegenüber den Krankenkassen eine stärkere Macht zu sein, und andererseits, um der Politik noch deutlicher zu sagen, wie schwer Sie es in Ihrem Alltag haben.“

Dr. Janosch Dahmen, Bündnis 90/Die Grünen:

Schnell aufgestiegen Als Unfallchirurg und Notfallmediziner weiß Dahmen, wie schnell sich ein Leben verändern kann. Inzwischen kann er das auch als Politiker nachvollziehen. Der 40-Jährige kam erst im November 2020 als Nachrücker für eine ausgeschiedene Grünenpolitikerin in den Bundestag und den Gesundheitsausschuss. Jetzt ist er bereits gesundheitspolitischer Sprecher und leitet zudem die Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege seiner Fraktion.

Dahmen hat lange in Nordrhein-Westfalen gearbeitet, dann in Berlin in der ärztlichen Leitung des Rettungsdienstes für die Berliner Feuerwehr. Seine praktischen Erfahrungen mit der Pandemiebekämpfung dort machten ihn zu einem gefragten Experten im Bundestag, aber auch bei den Medien.

In einem Interview mit der TK erklärte er Ende 2021, es brauche dringend bessere, planbarere Arbeitsbedingungen im Krankenhaus und in der Pflege: „Das bekommen wir nur hin, wenn wir mehr Menschen für die Berufe, bei denen heute ausreichend Unterstützung fehlt, attrak- tiver machen und so dem Fachkräftemangel entgegenwirken können. Ein Gesundheitsbe- rufegesetz wäre da ein wichtiger Baustein.“ Dahmen bekennt, dass es ihm in der Politik oft zu langsam gehe mit Entscheidungen: „Meine Betriebstemperatur ist Blaulicht.“

Christine Aschenberg-Dugnus, FDP:

Farbe bekennen Die Liberale verfügt über langjährige Erfahrung mit gesundheitspolitischen Themen, schon aus privaten Gründen: Sie ist mit einem Zahnarzt verheiratet. Mit Ausnahme der vier Jahre, in denen die FDP nicht im Bundestag vertreten war, ist sie seit 2009 Abgeordnete und seit 2018 gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Ihr Wahlkreis ist Rendsburg-Eckernförde.

Sie sei „Schleswig-Holsteinerin mit hessischem Migrationshintergrund“, schreibt Aschenberg-Dugnus auf ihrer Homepage. Die 62-Jährige schätzt klare Positionierungen. Das drückt sie durch farbige Kleidung und deutliche Statements aus.

Dass in Apotheken gegen Corona geimpft werden darf, hat sie begrüßt: „Das Impfangebot in den Apotheken erreicht auch die, die nicht zum Arzt gehen.“ Während der Koalitionsverhandlungen der Ampel bekräftigte sie, dass ihre Partei das Apothekenhonorar grundsätzlich weitere vier Jahre unangetastet lassen wolle. Wenn aber die Apotheken neue Aufgaben übernehmen würden, müssten diese auch extra vergütet werden.

Kathrin Vogler, Die Linke:

Sattelfest in der Arzneimittelpolitik Die 58-Jährige mit Wahlkreis in Steinfurt/Münsterland ist seit langem in der Gesundheitspolitik engagiert. Seit 2009 ist sie Bundestagsabgeordnete. Damals war sie für vier Jahre stellvertretende Vorsitzende im Gesundheitsausschuss. Derzeit ist sie auch noch Obfrau.

Vogler engagiert sich neben der Gesundheitspolitik zudem seit vielen Jahren in der Deutschen Friedensgesellschaft. Immer wieder hat die Soziologin sich mit arzneimittelpolitischen Themen befasst: Sie befürwortete ein Rx-Versandverbot und kritisierte kapitalgetriebene Arzneimittelversender.

Vogler forderte mehrfach die Abschaffung von Rabattverträgen, thematisierte Lieferengpässe und hob die Beratungskompetenz in Apotheken hervor. So erklärte sie 2017 im Gespräch mit der „DAZ online“: „Die Apotheke kann sich auch weiterentwickeln, sie könnte etwa stärker in Präventionsaufgaben einbezogen werden. Schließlich ist sie für viele Menschen mit Beschwerden die erste Anlaufstelle in Gesundheitsfragen und auch ehe sie zum Arzt gehen.“

Martin Sichert, AfD:

Contra Coronapolitik Der Diplom-Kaufmann ist seit 2017 Abgeordneter im Bundestag. In seiner ersten Legislaturperiode war der heute 41-Jährige Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Sichert ist seit März 2013 AfD-Mitglied, sein Wahlkreis ist Nürnberg-Nord. Zuvor war er erst in der FDP, dann in der SPD, dann wieder in der FDP engagiert.

Derzeit ist er auch noch Obmann. Was ihm wichtig ist, präsentiert er in der Regel auf Facebook und Twitter. Seine Posts und Tweets weisen ihn als Kritiker der bundesdeutschen Coronapolitik aus, teilweise aber auch als Faktenleugner. Ende Dezember 2021 beispielsweise wies das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ darauf hin, dass Sichert falsche Angaben zu den Folgen von Corona-Impfungen für Jugendliche gemacht hatte.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 04/2022 ab Seite 55.

Sabine Rieser, freie Journalistin

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