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Vitamin E

SCHUTZVITAMIN E?

Immer wieder ist Vitamin E zur Vorbeugung gegen Krebs und Herzinfarkt im Gespräch. Studien können das allerdings bisher nicht belegen – im Gegenteil: Eine Überversorgung kann Krebs sogar begünstigen.

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Man sagt dem Vitaminkomplex E Wunderkräfte nach: Er beugt oxidativem Stress vor, stärkt das Immunsystem und fördert die Leistungsfähigkeit. Doch zu viel Wasser kann auch eine Ente ertränken. Oder: Während Vitamin E in ausreichender Dosierung unabdingbar für die Gesundheit ist, kann es, über längere Zeit überdosiert eingenommen, sogar gesundheitsschädigend wirken.

Tocopherole räumen auf Vitamin E ist eigentlich ein Sammelbegriff für verschiedene fettlösliche Substanzen, von denen die Tocopherole am wichtigsten sind. Das vom Körper vorzugsweise aufgenommene RRR-alpha-Tocopherol wirkt auf zwei Arten entzündungshemmend: Zum einen bremst es die Bildung inflammatorisch wirkender Substanzen, zum anderen fängt es freie Radikale ab, die Entzündungsprozesse beschleunigen. Freie Radikale zersetzen zum Beispiel bestimmte Fette, die sich in der Gefäßwand absetzen und so zu Arteriosklerose führen können. Vitamin E wirkt somit Herz-Kreislauferkrankungen entgegen. Könnte der Vitaminkomplex hochdosiert dann nicht auch einen aktiven Schutz vor kardiovaskulären Ereignissen bieten? Vor allem bei Risikopatienten wie Rauchern oder Übergewichtigen? Studien dazu wurden immer wieder durchgeführt, doch sie lieferten widersprüchliche Erkenntnisse.

Die Cambridge-Heart-Antioxidant-​Study (CHAOS-Studie) von 1996 zeigte zum Beispiel, dass hochdosiertes Vitamin E (800 I.E. täglich) bei Patienten mit erkrankten Herzkranzgefäßen zwar das Risiko nicht-tödlicher Herzinfarkte auf ein Drittel senkte, die allgemeine kardiovaskuläre Sterblichkeit jedoch leicht erhöhte. 1994 hatte die ATBC-Studie (Alpha-Tocopherol-Beta-Carotene Cancer Prevention Study) bereits nachgewiesen, dass eine leicht erhöhte Vitamin-E-Gabe von 50 mg täglich denselben kardiovaskulären Effekt hatte wie die Gabe eines Placebos. Eine Metaanalyse, die über 3000 Studien der 1970er-Jahre bis 2016 untersuchte, kam zu dem Ergebnis, dass eine Vitamin-Supplementierung keinen signifikanten Schutz vor Herz-Kreislauferkrankungen, dafür aber Risiken bietet. Die Deutsche Herzstiftung und die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft sprechen sich daher deutlich gegen eine Supplementierung aus.

Krebsrisiko erhöhtÄhnlich sieht es bei Krebs aus. So zeigten Beobachtungsstudien, dass Raucher durch die hoch dosierte Einnahme von Vitamin E ihr Lungenkrebsrisiko erhöhten, und zwar proportional zur eingenommenen Dosis. Bei einer täglichen Zufuhr von 400 mg über 10 Jahre stieg das Krebsrisiko um 28 Prozent. 2008 sollte die groß angelegte SELECT-Studie (Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial) mit über 35 000 Teilnehmern darüber aufklären, ob eine Selen- oder Vitamin-E-Supplementierung vor Prostatakrebs schützen kann. Nachdem man bei einer Zwischenauswertung feststellte, dass es bei den Probanden, denen nur Vitamin E verabreicht wurde, zu einem leichten Anstieg der Prostatakrebserkrankungen gekommen war, brach man die Studie ab.

Der „Vitamin-E-Komplex“

Fälschlicherweise wird alpha-Tocopherol, die am besten untersuchte Form von Vitamin E, gleichgesetzt mit Vitamin E. Es handelt sich dabei aber um einen Sammelbegriff, der Tocopherole, Tocotrienole, Tocomonoenole und MDT (marine derived tocopherols) umfasst. Auf Nahrungsergänzungsmitteln findet sich daher häufig die Angabe der Vitamin E-wirksamen Menge. Auch wenn unterschiedliche Formen enthalten sind, lassen sich die Produkte somit miteinander vergleichen. Aktuell sind in der EU die Formen D-α-Tocopherol, DL-α-Tocopherol, D-α-Tocopherylacetat, DL-α-Tocopherylacetat, D-α-Tocopherylsäuresuccinat, Gemischte Tocopherole und Tocotrienol-Tocopherol zugelassen.

Äpfel mit Birnen vergleichen Es scheint also, dass hoch dosiertes Vitamin E Krebs und Herzinfarkt nicht vorbeugt, sondern die Entstehung potenziell tödlicher Krankheiten sogar noch begünstigt. Allerdings zeigt es sich, dass die Studien bei näherer Betrachtung nicht vergleichbar sind oder gar Formfehler aufweisen. So wurde bei der CHAOS-​Studie nach einiger Zeit die Dosis von 800 I.E. auf 400 I.E. pro Tag gesenkt. Manche Studien nutzten natürliches Vitamin E, manche synthetisches. Man geht davon aus, dass das natürliche Vitamin E eine höhere Bioverfügbarkeit und bisher noch nicht vollständig erforschte Wirkungen auf den Stoffwechsel hat, die das künstlich hergestellte Vitamin E nicht aufweist. In Anbetracht der derzeitigen Studienlage, egal, wie widersprüchlich sie ist, kann eine Supplementierung mit hoch dosiertem Vitamin E jedoch nicht empfohlen werden.

Wechselwirkungsgefahr Bei längerer Einnahme hochdosierter Vitamin-E-Präparate oder gleichzeitiger Verwendung mehrerer Vitamin-E-​haltiger Nahrungsergänzungsmittel (NEM) kann es bei manchen Menschen – wahrscheinlich bedingt durch eine Wechselwirkung mit Vitamin K – zu Blutungsstörungen kommen. In Einzelfällen kann es zu einer herabgesetzten Wirksamkeit von Vitamin-K-Antagonisten wie Phenprocoumon kommen. Bei mehr als 400 mg Vitamin am Tag ist auch eine verminderte Konzentration der Schilddrüsenhormone im Blut möglich. Wer Vitamin E und Eisen gleichzeitig supplementieren möchte oder muss, sollte darüber aufgeklärt werden, dass auch hier ein zweistündiger Abstand bei der Einnahme erforderlich ist. Generell kann man empfehlen, den Hausarzt über die Vitamin-Ergänzung zu informieren, sobald die tägliche Dosis über 30 mg am Tag liegt.

Gesunde Vitamine naschen Der Tagesbedarf an Vitamin E lässt sich leicht über die Nahrung decken. Daher können Sie Ihren Kunden ruhig eher Raps- und Olivenöl als Weizenkeim- oder Sonnenblumenöl empfehlen. Obwohl letztere reicher an Vitamin E sind, enthalten sie weniger der wichtigen Omega-3-Fettsäuren. Nüsse, Obst und Salat müssen ebenfalls regelmäßig auf dem Speiseplan stehen. So kann mit der Ernährung aktiver Zell- und Gefäßschutz betrieben werden. Vitaminersatzpräparate sollten Sie Ihren Kunden nur dann empfehlen, wenn diese eine nachgewiesene Mangelversorgung aufweisen.

Schwangere, Stillende oder Menschen mit Fettstoffwechselstörungen beziehungsweise einer sehr fettreduzierten Diät neigen zu Vitamin-E-Mangel. Das trifft auch auf Menschen zu, deren Vitamin E-Aufnahme krankheitsbedingt gestört ist, zum Beispiel durch chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder bei einer Glutenunverträglichkeit. Empfehlen Sie Ihren Kunden dann niedrig dosiertes Vitamin E (50 mg), eine Überdosierung durch Nahrungsmittel ist übrigens praktisch ausgeschlossen und auch bei den meisten Nahrungsergänzungsmitteln selten.

Den Artikel finden Sie auch in der Sonderausgabe Nahrungsergänzungsmittel, Vitamine und Mineralstoffe der PTA IN DER APOTHEKE ab Seite 78.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

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