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'Reduktion der Datenmenge durch Kategorisierung'

SCHUBLADENDENKEN

Unser Gehirn ist in der Lage, eine schier unbegrenzte Menge an Daten zu speichern. Es bewältigt diese enorme Leistung nicht zuletzt mit Hilfe eines genialen Tricks.

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Kennen Sie das auch? Sie sitzen vor dem Fernseher und bewundern einen Kandidaten in einer Quizshow, der gerade mit seinem umfangreichen Allgemeinwissen brilliert, und fragen sich, wie er nur all diese Dinge behalten kann, während Sie selber sich damit wohlmöglich schwer tun.

Falls dies so ist, dann hinterfragen Sie doch einmal, ob Sie nicht vielleicht doch auch unglaublich viel Wissen in Ihrem Kopf angesammelt haben? Denn das Abspeichern umfangreichster Datenmengen ist nun mal eine der wesentlichen Eigenschaften unserer Gehirne.

Ein besonderer Trick, dessen sich Gehirne beim Datenspeichern bedienen und den sie besonders gut beherrschen, ist dabei die Kategorienbildung: Wir speichern nicht einfach Bilder von Dingen ab, wie etwa die meisten Computer das tun würden, sondern wir untersuchen die Dinge zunächst hinsichtlich besonderer Eigenschaften und ordnen diejenigen Objekte mit gleichen Eigenschaften einzelnen Gruppen von Dingen zu, den Kategorien.

Dabei sind diese meist zusätzlich hierarchisch strukturiert: Übergeordnete Kategorien bilden Gruppen von Gruppen usw. Ein Beispiel: Wenn Sie einen Vogel sehen, so können Sie diesen sofort als Vogel identifizieren, selbst wenn Ihnen die spezielle Art noch völlig unbekannt ist und ihn von einem Fisch oder Säugetier unterscheiden: Wir wissen eben, wie ein Vogel auszusehen hat, welche Merkmale alle Vögel gemein haben. Um einen Vogel zu erkennen, müssen wir also nicht alle existierenden Vogelarten kennen, es reicht, das abstrakte Konzept „Vogel“ verstanden zu haben.

Durch diesen Mechanismus spart das Gehirn enorm Speicherkapazität, weil es eben nicht alle einzeln erkennen können muss, um zu der Bewertung „Dies ist ein Vogel“ zu gelangen. Zusätzlich kennen Sie auch untergeordnete wie übergeordnete Kategorien, können etwa Raub- von Singvögeln unterscheiden, oder Tiere von Pflanzen usw. Und schließlich können einzelne Dinge auch Teil verschiedener Kategorien sein, etwa indem wir alle Organismen in gefährlich und ungefährlich, genießbar oder ungenießbar einteilen.

Diese Fähigkeit zur Kategorienbildung ist für unser tägliches Leben von unschätzbarem Wert, erlaubt sie uns doch, uns sinnvoll in einer Welt zu bewegen, ohne alle Details dieser zu kennen. Dies ist wohl auch ein Grund dafür, dass sich diese Fähigkeit besonders früh herausbildet: Babys können bereits im Alter von vier Monaten Dinge anhand von Form oder Farbe kategorisieren und sogar Neugeborene können schon „zwei“ von „drei“ unterscheiden.

Schädigungen im Temporallappen der Großhirnrinde, wo viele dieser Kategorisierungen stattfinden, führen denn auch zu starken Beeinträchtigungen des alltäglichen Lebens: Wörter und Bilder etwa können nicht mehr richtig zugeordnet werden.

Neben all diesen Vorteilen der Kategorienbildung birgt der Mechanismus aber natürlich auch die Gefahr der Fehlzuordnung, etwa bei Vorurteilen, aber das kennen Sie sicher auch …

ZUR PERSON

Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg
sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg.
Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 08/13 auf Seite 12.

 


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