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Kolumne | Prof. Dr. Aglaja Stirn

SCHIMPFEN UND FLUCHEN

Wie kommt es dazu, dass wir fluchen und dann auch mit Leidenschaft Kraftausdrücke benutzen, die wir sonst eher meiden? Ist das vielleicht sogar gut für unser seelisches Gleichgewicht?

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Wir alle kennen das: „Schon wieder so ein Idiot, der nicht fährt! Wie kann denn so ein A. den Führerschein bekommen?“ Es gibt Situationen, da beschimpfen wir andere und benutzen Worte, die wir unter kontrollierten Bedingungen nicht äußern würden – die sogenannte Vulgärsprache. Später, wenn die Emotionen sich wieder gelegt haben, schämen wir uns vielleicht für das eine oder andere Wort, aber im Moment des Fluchens kommen uns Kraftausdrücke in den Sinn, die sonst auf der Zensurliste stehen. Aus dem Englischen weiß man, dass die Wörter shit, fuck, bitch und asshole am häufigsten benutzt werden.

Auch Russen, Franzosen, Spanier und Italiener fluchen eher mit sexuellen Ausdrücken. Deutsche und Österreicher eher mit fäkaler Sprache. Während es zum Beispiel auf Englisch „Fuck off!“ heißt, sagen Deutschsprachige traditionell „Verpiss dich!“. Man weiß, dass über alle sozioökonomischen Schichten geflucht wird, auch wenn Menschen mit gesellschaftlich niedrigerem Status etwas mehr fluchen als solche mit höherem Status.

Natürlich spielt die Persönlichkeit eine Rolle, extrovertierte und dominante Menschen fluchen leichter und häufiger. Menschen, die religiös gebunden sind, fluchen wiederum weniger. Es gibt auch Tabuwörter, die in unserer Zeit aber wieder zunehmen. Jeder kennt die Worte, welche nicht mehr benutzt werden sollen und vermeidet sie, zum Beispiel das N-Wort. Für diese Worte wird man geächtet, wohingegen andere Worte akzeptiert oder geduldet werden. So kann man zum Beispiel „Sch…“ sagen, es ist allgemein gesellschaftlich akzeptiert. Dabei gab es noch Zeiten, da wurde einem der Mund mit Seife ausgewaschen, wenn man solche Worte benutzte.

Der Drang zu fluchen ist tief im Menschen verwurzelt und hilft ihm seine Emotionen zu kanalisieren. Jedoch darf man nicht vergessen, dass Schimpfworte verletzend sein können und manchmal nicht mehr so leicht aus dem Gedächtnis verschwinden. Auf der anderen Seite zeugt das Fluchen von einer gewissen Authentizität. Derjenige, der seine Emotionen im Schimpfen und Fluchen zeigt, wird als glaubwürdiger wahrgenommen als einer, der stets kontrolliert ist.

Politiker, die eher eine derbe Sprache benutzen, zeigten sich nahbarer. Auch konnte man in Studien feststellen, dass Vorgesetzte von Arbeitern, die die Umgangssprache der Mitarbeiter übernahmen, eher als ein Teil der Gruppe wahrgenommen wurden. Doch zurück zum Schimpfen und der emotionalen Entlastung, die damit verbunden ist. Es dient dem Abbau von Stress und negativen Emotionen. Bestimmt haben Sie sich auch schon mal über jemanden aufgeregt und mit einer Freundin ein bis zwei Stunden schimpfend abgelästert und sich danach besser gefühlt.

Auch Schmerzen sind besser auszuhalten, wenn man gleichzeitig darüber schimpft. Schimpfen und fluchen können also Stress abbauen. Es kann sogar die körperliche Leistungsfähigkeit verbessern. In Summe kann man sagen, dass Fluchen viele gute Seiten hat, was nicht heißt, dass es nicht auch schaden kann. Es gibt Menschen, die fluchen ständig und überall. Wenn das eigene Kontrollsystem versagt und man bei jeder kleinen Sache flucht und schimpft, kann es natürlich auch für die Umwelt belasten werden. Frauen können übrigens genauso gut fluchen wie Männer.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 05/2022 auf Seite 12.

Professor Dr. Aglaja Stirn ist Direktorin des Instituts für Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Gruppentherapie, Psychoanalyse und Sexualtherapie an der Universität Kiel, Zentrum für Integrative Psychiatrie ZIP.
www.zip-kiel.de

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