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Radiojodtherapie

SCHILDDRÜSENZELLEN AUSSCHALTEN

Bei vielen gut- und bösartigen Schilddrüsenerkrankungen kann die Radiojodtherapie helfen. Dabei wird dem Patienten radioaktives Jod in Kapselform verabreicht, das sich in der Schilddrüse anreichert und fehlerhafte Zellen zerstört.

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Herzrasen, zittrige Hände, nervöse Unruhe und Gewichtsverlust: Unter diesen Symptomen leiden viele Menschen, bei denen der Arzt eine Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose) festgestellt hat. Typisch dafür: Die kleine, schmetterlingsförmige Schilddrüse, die unterhalb des Kehlkopfes sitzt, schüttet zu viele Hormone aus. Durch den Hormonüberschuss werden Stoffwechselvorgänge im Körper auf unnatürlich starke Weise angekurbelt – Herz, Nerven und andere Organe arbeiten, als stünden sie unter Dauerstrom.

Die häufigsten Ursachen einer Schilddrüsenüberfunktion sind die Autoimmunkrankheit Morbus Basedow, die oft auch mit hervortretenden Augen einhergeht, und eine sogenannte Schilddrüsenautonomie, bei der die Hormone außerhalb der Kontrolle des Gehirns und unabhängig vom tatsächlichen Bedarf produziert werden. Um eine Hyperthyreose zu behandeln, kommen unterschiedliche Therapien infrage. Neben Medikamenten, die die Hormonproduktion drosseln, und Operationen, bei denen die Masse an aktivem Schilddrüsengewebe reduziert wird, hat sich die Radiojodtherapie etabliert.

Programmierter Zelltod Bei der Radiojodtherapie, auch Radioiodtherapie oder kurz RJT genannt, handelt es sich um ein nuklearmedizinisches Standardverfahren. Bereits seit vielen Jahrzehnten kommt die vergleichsweise nebenwirkungsarme Behandlung erfolgreich zum Einsatz. Das Prinzip: Durch die orale Gabe von radioaktivem Jod, das sich ausschließlich in den Schilddrüsenzellen anreichert, wird überschüssiges und übermäßig hormonproduzierendes Gewebe zerstört. Gleichzeitig wird die Schilddrüse verkleinert.

Aufgrund dieser Wirkung kann die RJT auch bei einer krankhaften Schilddrüsenvergrößerung (Struma) zum Einsatz kommen. In der Praxis stellt die Behandlung mit radioaktivem Jod bei zahlreichen gutartigen Schilddrüsenerkrankungen eine Alternative zur Operation dar – Arzt und Patient können oftmals zwischen beiden Therapieoptionen wählen. Vor allem für ältere Menschen, bei denen ein chirurgischer Eingriff oft mit einer Vielzahl von Risiken einhergeht, ist die Radiojodtherapie häufig die bessere Wahl.

Grundsätzlich macht sich die Therapie die Tatsache zunutze, dass die Schilddrüse im Wesentlichen das einzige Organ ist, welches das Spurenelement Jod in nennenswerten Mengen aufnimmt und verstoffwechselt. Deshalb wird auch das kontrolliert zugeführte radioaktive Jod, das Isotop J-131, fast nur in der Schilddrüse aufgenommen, während der restliche Körper nur in geringem Maße mit Strahlen belastet wird.

Quarantäne muss sein Aufgrund gesetzlicher Strahlenschutzbestimmungen darf die Radiojodtherapie in Deutschland nur stationär durchgeführt werden – und zwar in speziell dafür eingerichteten nuklearmedizinischen Krankenhäusern. Bei gutartigen Schilddrüsenerkrankungen ist oft ein Klinikaufenthalt von drei bis sechs Tagen erforderlich, mitunter müssen Patienten aber auch 10 bis 12 Tage im Krankenhaus bleiben. Während dieser Zeit befinden sie sich in Quarantäne, was unter anderem bedeutet, dass sie keinen Besuch bekommen und die Station nicht verlassen dürfen. Der Grund: Über die Atemluft und die Ausscheidungen gibt der Patient mindestens noch 48 Stunden nach Einnahme der Kapsel Radioaktivität in die Umgebung ab.

Keine Gefahr für Nachbarorgane Im Vorfeld der eigentlichen Therapie wird die notwendige Dosis an Radiojod bestimmt. Ein Radiojodtest gibt Auskunft über das Speicherverhalten der Schilddrüse. Für die Behandlung selbst schluckt der Patient meist nur eine einzige Kapsel mit der erforderlichen, individuell berechneten Dosis an radioaktivem Jod. Im Körper bahnt sich die Substanz automatisch ihren Weg zu den Schilddrüsenzellen und gibt hier die therapeutisch wirksamen Betastrahlen ab. Diese verursachen Zellschädigungen und führen letztlich zum programmierten Zelltod.

Die Strahlung hat im Körper nur eine sehr geringe Reichweite von 0,5 Millimetern, sodass durch die Behandlung weder das umliegende Gewebe noch andere Organe geschädigt werden. Wichtig zu wissen ist jedoch, dass der Zerfall des radioaktiven Jods – neben der therapeutischen Betastrahlung – auch eine geringe Menge an niederenergetischer Gammastrahlung erzeugt. Diese ist in der Lage, den Körper des Patienten zu durchdringen und stellt aufgrund dessen eine Belastung für dessen Umwelt dar. Das ist der Grund, warum Patienten unmittelbar nach der Behandlung keinen Kontakt zu anderen Personen haben dürfen.

Während des Aufenthaltes im Krankenhaus wird die Strahlendosis täglich gemessen. Erst, wenn die Reststrahlung einen gesetzlich festgelegten Grenzwert unterschritten hat, darf der Patient die Klinik verlassen. Eventuell muss er aber auch im Anschluss an den stationären Aufenthalt noch einige Vorsichtsmaßnahmen beachten – beispielsweise noch eine Zeitlang Abstand zu Schwangeren und Kleinkindern halten. Die Erfordernis, sich nach der Verabreichung der radioaktiven Kapsel einige Tage in Quarantäne zu begeben, ist für viele Schilddrüsenkranke der größte Nachteil der Radiojodtherapie.

Gravierende Nebenwirkungen verursacht die vergleichsweise geringe Strahlendosis, die bei gutartigen Schilddrüsenerkrankungen meist nur einmalig verabreicht wird, in der Regel nicht. Viele spüren gar nichts von der Therapie, bei anderen kommt es lediglich zu einem vorübergehenden, harmlosen Anschwellen der Schilddrüse. Wichtig zu wissen ist jedoch, dass es mehrere Monate dauern kann, bis die gewünschte Wirkung eintritt und die Therapie eine – mitunter sogar beabsichtigte – Schilddrüsenunterfunktion zur Folge haben kann. Diese kann jedoch medikamentös kompensiert werden.

Die Schilddrüse braucht Jod

Die menschliche Schilddrüse stellt die Hormone Tetrajodthyronin, kurz T4, und Trijodthyronin, kurz T3, her. Sie sind u. a. bedeutsam für den Energiestoffwechsel und das Wachstum. Für die Hormonproduktion ist das kleine Organ auf das Spurenelement Jod angewiesen, das in der Schilddrüse in mehreren Zwischenschritten in die Hormonmoleküle eingebaut wird. Jod müssen wir mit der Nahrung aufnehmen, der Bedarf von Jugendlichen und Erwachsenen liegt bei 180 bis 200 Mikrogramm pro Tag. Schwangere brauchen 230 Mikrogramm, Stillende sogar 260 Mikrogramm täglich. Jodmangel kann Erkrankungen wie eine Vergrößerung der Schilddrüse (Kropf, Struma) zur Folge haben. Wichtig ist es deshalb, lebenslang auf eine ausreichende Jodzufuhr zu achten. Bewährt hat sich z. B. die Verwendung von Jodsalz im Haushalt.

Mit J-131 gegen Krebszellen Auch bei bösartigen Schilddrüsentumoren wird die Radiojodtherapie eingesetzt. In der Regel wird bei einem Karzinom zunächst die gesamte Schilddrüse operativ entfernt. Einige Wochen nach dem Eingriff folgt bei bestimmten Tumorarten, sogenannten differenzierten Schilddrüsenkarzinomen, dann zusätzlich eine RJT. Sie verfolgt das Ziel, das nach der Operation verbliebene restliche Schilddrüsengewebe sowie eventuell vorhandene Metastasen zu zerstören.

Um die Aufnahme des radioaktiven Jods in die Schilddrüsenzellen zu steigern, wird vor Behandlungsbeginn absichtlich ein erhöhter Blutspiegel des Hormons TSH, das in der Hirnanhangdrüse produziert wird, herbeigeführt. Der Ablauf der Therapie ist ähnlich wie bei gutartigen Schilddrüsenerkrankungen. Mitunter müssen Krebspatienten Nebenwirkungen wie vorübergehende Hals- und Schluckbeschwerden, verminderten Speichelfluss und Magenschleimhautentzündungen in Kauf nehmen.

Sind mehrere hochdosierte Behandlungen mit radioaktivem Jod erforderlich, sind auch gravierendere Nebenwirkungen möglich. Doch auch bei Schilddrüsenkrebs gilt: Da die Reichweite der radioaktiven Strahlung gering ist, werden umliegende Organe und Gewebe geschont. Als Folge der operativen Schilddrüsenentfernung mit anschließender RJT kann der Körper selbst keine Schilddrüsenhormone mehr produzieren. Sie müssen dann in Tablettenform eingenommen werden.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/18 auf Seite 82.

Andrea Neuen, Freie Journalistin

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