Ein Sammelsurium an Gegenständen auf einem Händlertisch eines Flohmarktes© Comstock / Stockbyte / gettyimages.de
Auf Flohmärkten findet man Raritäten und Lieblingsstücke - aber keine verkehrsfähigen Medikamente.

Scharfe Kritik

FORDERUNG NACH ARZNEI-FLOHMÄRKTEN IRRITIERT APOTHEKENFACHPERSONAL

In einem Artikel des „Tagesspiegel“ vom letzten Wochenende ruft der Bundesärztekammerpräsident zu ungewöhnlichen Maßnahmen auf. Diese stoßen deutschlandweit auf Ablehnung.

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Nachbarschaftshilfe nennt Klaus Reinhardt seine Idee von „Medikamenten-Flohmärkten“ und bezeichnet sie als Möglichkeit, „Krisenzeiten pragmatisch und standfest abzuwettern“.

„Große Bestürzung“ herrschte daraufhin nicht nur bei der ABDA (Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände). Ein Sprecher der Bundesärztekammer rudert zurück.

Kreativ oder verantwortungslos?

Klaus Reinhardt rief in dem betreffenden Beitrag unter anderem dazu auf, Solidarität zu zeigen. „Wer gesund ist, muss vorrätige Arznei an Kranke abgeben. Wir brauchen so etwas wie Medikamentenflohmärkte in der Nachbarschaft.“ Weiter wies er darauf hin, dass dafür auch Arzneimittel in Frage kommen könnten, deren Haltbarkeitsdatum bereits einige Monate abgelaufen sei.

Die ABDA zeigte sich bestürzt und bescheinigte dem Vorschlag komplettes Fehlen von Verantwortungsbewusstsein. Seit Monaten versuchten die Apothekenteams bundesweit, Lösungen für die „katastrophalen Lieferengpässe“ zu finden. Mit solchen Vorschlägen „treibt man Menschen in gefährliche Arzneimitteleinnahmen, aber man löst keine Lieferengpässe.“

Das Arzneimittelgesetz verbietet ausdrücklich die Abgabe von nicht verkehrsfähigen Arzneimitteln. Darunter fallen auch Präparate mit abgelaufenem Verfalldatum. Aus gutem Grund, denn nach diesem Datum ist ein Wirkverlust oder auch die Bildung giftiger Stoffe im Medikament möglich. Zudem müssen bestimmte Lagerungsbedingungen eingehalten werden.

Wird ein Arzneimittel zu warm, zu feucht oder außerhalb des Umkartons gelagert, kann es sich auch vor dem Ablaufdatum bereits zersetzen.

Jede Apotheke muss genauestens auf die Einhaltung der Lagervorschriften achten und dieses penibel dokumentieren. Ebenso sind Arzneimittel vom Umtausch ausgeschlossen, denn niemand kann prüfen, wie ein zurückgebrachtes Medikament beim Kunden zuhause aufbewahrt wurde. Möglicherweise lag ein Saft im Sommer längere Zeit im heißen Auto oder ein Insulin wurde zu kalt gelagert. Beides kann die Wirkstoffe beschädigen. Die Apotheke darf das Medikament also nicht mehr verkaufen und muss es vernichten, auch wenn es äußerlich unversehrt ist. Anders als bei gebrauchter Kleidung oder Möbeln kann man von außen die Qualität nicht beurteilen. Außerdem kommen nicht alle Wirkstoffe für jede Person in Frage, mitunter kann es sogar gefährlich werden, wenn man einfach „irgendetwas vom Nachbarn“ anwendet. Es heißt ja nicht umsonst: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker – und nicht Ihren Nachbarn.

Guter Rat und Rolle rückwärts

Die Präsidentin der Landesapothekerkammer Hessen (LAK) Erika Funke findet deutliche Worte und fordert bezüglich des von Herrn Reinhardt geforderten Medikamententausches: „Lassen Sie die Finger davon!“ Lieber sollten Erkrankte den Fachleuten in der Apotheke vor Ort vertrauen, denn diese würden eine Lösung finden. Nicht umsonst bestünden hohe Anforderungen an Arzneimittel und an Apotheken, das sei gut und richtig. Die Apothekerkammer Niedersachsen äußert Bedenken, dass ein unkontrollierter Privathandel Arzneimittelfälschungen Tür und Tor öffnen könnte.

Ein Sprecher der Bundesärztekammer bemüht sich um Schadensbegrenzung und betont, Herr Reinhardt habe mit seinen „pointierten Äußerungen“ lediglich auf die angespannte Situation hinweisen wollen. Selbstverständlich seien keine Flohmärkte im eigentlichen Sinn gemeint.

Sollte das Nachbarskind Fieber bekommen, sollte es selbstverständlich sein, einander auszuhelfen, wenn man kann. Aber: Arzneistoffe sind sensibel und es braucht eine kompetente Beratung dazu. Die Fachleute in den Apotheken sind für Medikamente die richtigen Ansprechpartner, der Flohmarkthändler um die Ecke eher nicht.

Quellen:
Tagesspiegel
ABDA
Presseinformation der LAK Hessen vom 19.12.2022
Pressemitteilung der LAK Niedersachsen vom 21.12.2022
apotheke adhoc

 

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