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Tierzucht

RISKANTER EINSATZ

Die Anwendung von Antibiotika in der Nutztierhaltung trägt zur Resistenzentwicklung bei Bakterien bei. In Zukunft soll der Verbrauch reduziert werden.

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Gegen Antibiotika werden immer mehr Keime unempfindlich. Die Weltgesundheitsorganisation WHO sieht darin eine der größten Gefahren für die menschliche Gesundheit. Schätzungen zufolge sterben allein in Europa jährlich 25 000 Menschen an Infektionen mit resistenten Bakterien. Für die zunehmende Resistenzentwicklung wird nicht nur der teilweise unkritische Einsatz beim Menschen, sondern auch in der Tierzucht verantwortlich gemacht.

Antibiotika werden in der Tierhaltung – genau wie bei Menschen – eingesetzt, um bakterielle Infektionskrankheiten zu behandeln. Es werden dort auch weitgehend die gleichen Substanzen verwendet. Ihr Einsatz zur Mastförderung ist seit 2006 EU-weit verboten. Anders als bei Menschen bekommt in der Tierzucht aber oft nicht nur das erkrankte Tier das Medikament, sondern gleich eine ganze Gruppe oder der komplette Stall, um einer möglichen Ansteckung der anderen Tiere vorzubeugen.

Insgesamt lieferte die pharmazeutische Industrie nach Angaben des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit im Jahr 2012 mehr als 1600 Tonnen Antibiotika an Veterinäre aus und damit 87 Tonnen weniger als im Vorjahr. Davon waren etwa zwei Drittel ältere Substanzen wie Tetrazykline und Aminopenicilline.

Die von der WHO für die Humanmedizin als „critically important“ eingeschätzten Antibiotika wie Cephalosporine der dritten und vierten Generation sowie Flurochinolone wurden Tieren eher selten verabreicht. Allerdings stieg die Abgabemenge von Fluorochinolonen im Vergleich zum Vorjahr um zwei Tonnen.

Einsatz in den Ställen Dass die Antibiotika in der Tierhaltung im umfangreichen Maße eingesetzt werden, zeigen Daten aus zwei Bundesländern: Eine Erhebung des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen hat ergeben, dass 92 Prozent aller Masthähnchen dort mit Antibiotika behandelt wurden. Lediglich jeder zehnte Betrieb in NRW verzichtete auf den Einsatz der Medikamente.

Die zweite Untersuchung stammt aus Niedersachsen, wo rund die Hälfte aller Masthühner, Puten und Mastschweine in Deutschland gehalten werden. Dort haben immerhin 72 Prozent aller Masthühner Antibiotika erhalten. Auch die überwiegende Mehrzahl der Puten (97 Prozent der Tiere in Aufzucht- und Mastbetrieben; 84 Prozent der Tiere in reinen Mastbetrieben) bekamen die Medikamente. Bei Mastschweinen wurden 68 Prozent der Tiere eines Mastdurchgangs behandelt. Alle Mastkälber in Niedersachsen erhielten Antibiotika.

Mechanismen der Resistenzentwicklung Auch wenn das Phänomen der Resistenzen zurzeit massiv auftritt, so ist es doch nicht neu. Schon immer versuchen Bakterien sich durch verschiedene Abwehrstrategien gegen Antibiotika zu schützen, die von anderen Mikroorganismen und Pilzen produziert werden. Das Problem: Je öfter Antibiotika – vom Menschen – eingesetzt werden, desto häufiger besteht die Chance, dass manche Bakterien damit erfolgreich sind.

So entwickeln sich besonders bei gramnegativen Bakterien wie E. coli oder Salmonellen spezielle Enzyme (so genannte Enhanced Spectrum Beta-Lactamasen oder ESBL), mit denen die Bakterien in der Lage sind, Beta-Laktam-Antibiotika unschädlich zu machen. Dazu gehören neben Penicillin etwa auch die Cephalosporine der dritten und vierten Generation.

»Das Bundesamt für Risikobewertung hält die Gefahr für den Verbraucher allerdings für gering.«

Und: Bakterien können die Gene für diese Enzyme untereinander sowie an Bakterien anderer Arten weitergeben. Auch Methicillin Resistente Staphylococcus aureus (MRSA)-Erreger, die vor allem in Krankenhäusern Probleme bereiten, wurden auf vielen Nutztierarten nachgewiesen. Für einen bestimmten Stamm konnte sogar gezeigt werden werden, dass er sich dort entwickelt hat.

Laut des Bundesinstituts für Risikobewertung nimmt der Anteil mikrobiologisch resistenter E. coli mit der Therapiehäufigkeit bei Tieren zu: So lag die Resistenzrate bei Milchrindern, die im Durchschnitt ein Mal in 100 Tagen mit Antibiotika behandelt wurden, bei 20 Prozent. Bei Mastputen und -hähnchen dagegen, die an 22 beziehungsweise an 26 von 100 Tagen Antibiotika erhalten hatten, waren neun von zehn untersuchten E.-coli-Erreger gegen mindestens eine von sieben getesteten Antibiotikagruppen teilweise oder vollständig unempfindlich.

Verbreitung der Keime Es ist davon auszugehen, dass sich resistente Bakterien, die sich in Tierställen gebildet haben, von dort aus verbreiten. Zum einen ist eine direkte Übertragung auf den Menschen möglich, da verschiedene Bakterienarten wie Salmonellen, Campylobacter, E. coli und auch Staph. aureus sowohl den Menschen als auch Tiere besiedeln können.

Die Ausbreitung resistenter Keime und die Übertragung auf den Menschen kann aber auch indirekt erfolgen, etwa über das Abwasser oder die Abluft der Ställe. Auch auf Gemüse wurden resistente Keime bereits nachgewiesen – sie könnten über den als Dünger benutzen Tierkot dorthin gelangt sein.

Eine reine Besiedlung mit einem resistenten Hautkeim Staph. aureus oder dem Darmkeim E. coli stellt für gesunde Menschen zunächst an sich noch keine Gefahr dar. Aber wenn die Bakterien, etwa durch eine Wunde oder durch mangelnde Hygiene ins Blut, in die Harnwege oder in die Lunge gelangen, können sie vor allem für ältere und kranke Menschen lebensgefährlich werden.

Hygieneregeln im Umgang mit Fleisch Wiederholt haben Untersuchungen gezeigt, dass frisches Fleisch mit resistenten Keimen belastet sein kann. Zuletzt hatte die Stiftung Warentest im Herbst dieses Jahres in 12 von 20 getesteten Geflügelprodukten Antibiotika-resistente Keime gefunden. Das Bundesamt für Risikobewertung hält die Gefahr für den Verbraucher allerdings für gering, wenn er bei der Zubereitung grundsätzliche Hygieneregeln einhält.

Dazu gehört, das Fleisch vor dem Verzehr für mindestens zwei Minuten auf 70 °C oder mehr zu erhitzen, um die Erreger abzutöten. Zudem ist darauf zu achten, dass die Keime nicht durch die Hände oder über das Messer sowie das Schneidebrett auf andere Lebensmittel übertragen werden. Auch Antibiotikarückstände in Fleisch werden als gesundheitlich unbedenklich eingestuft, sofern sie die vorgeschriebenen Rückstandshöchstmengen nicht überschreiten.

Novelle des Arzneimittelgesetzes Mit einer Gesetzesänderung soll der Antibiotikaverbrauch in der
Tierzucht reduziert werden: Ab 2014 müssen Tierzuchtbetriebe den Behörden regelmäßig Details zu ihrem Antibiotikaverbrauch melden. Betriebe, die überdurchschnittlich große Mengen Antibiotika verfüttern, sind dann gehalten, Strategien zur Verringerung zu erarbeiten. Zudem erhalten die Behörden mehr Befugnisse zur Kontrolle und können Tierzuchtbetriebe bei wiederholten Verstößen schließen.

Kritikern gehen diese Maßnahmen aber nicht weit genug. Als Positivbeispiel gelten ihnen die Niederlande, wo heute nur noch halb so viele Antibiotika in der Tierhaltung eingesetzt werden wie noch vor vier Jahren. Sie fordern ein generelles Senkungsziel für den Antibiotikaverbrauch für die gesamte Branche. Für den Menschen wichtige Antibiotika sollten ihrer Meinung nach in der Tierzucht überhaupt nicht eingesetzt werden dürfen. Zudem könnten Impfungen dazu beitragen, den Antibiotikaeinsatz zu reduzieren. Schließlich wünschen sie sich, dass die Tiere durch artgerechte Haltung und nicht durch Medikamente bis zur Schlachtung gesund bleiben. 

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 12/13 ab Seite 68.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournlistin

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