Eine Analysenwaage, auf der Kapseln abgewogen werden© Starkovphoto / iStock / Getty Images Plus
Wie schwer sind die Tabletten? Wie berechnet sich daraus die benötigte Wirkstoffmenge?

Rezeptur – Mischen possible

PHARMAZEUTISCHE BEDENKEN BEI REZEPTUREN

Jeden Tag quälen uns die Rabattverträge – und die Kund*innen häufig gleich mit. Immer mehr Wirkstoffe werden auf die Liste der Austausch-Ausnahmen aufgenommen. Und im Zweifel können pharmazeutische Bedenken einen Austausch ebenfalls verhindern – auch bei Rezepturen?

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Viele Wirkstoffe und Arzneiformen sind so knifflig in der Anwendung, in der Dosierung oder Einnahme, dass man schnell zu dem Schluss kam, für diese Präparate Ausnahmen von der Substitutionsregelung zu machen. Die Substitutionsausschluss-Liste war geboren.

Auch Medikamente deren Wirkstoffe eine geringe therapeutische Breite aufweisen, finden sich hier – doch lange nicht alle. Sollten Sie Bedenken haben, haben Sie zusätzlich die Möglichkeit pharmazeutische Bedenken anzumelden: eine Sonder-Pharmazentralnummer und ihre wissensfundierte Erklärung signalisieren der Krankenkasse, warum hier die Rabattverträge nicht angewendet werden sollten. Sehr hohes oder sehr junges Alter oder auch die Gefahr von Verwechselung können Gründe sein.

Rezeptur mit Phenprocoumon – in mehreren Wirkstärken

Heute möchte ich einen Fall aus der Rezeptur vorstellen, bei dem deutlich wird, wie wichtig eine gute Dokumentation, gute Kommunikation im Team und eine schnelle Korrespondenz mit der Arztpraxis sind.

Kurz zur Vorgeschichte: Innerhalb einer Woche sind kurz hintereinander zwei Neugeborene aus der Darmstädter Kinderklinik entlassen worden, die mit einem Herzfehler auf die Welt gekommen sind. Am gleichen Tag reichten die Eltern Rezepte für Kapseln ein, meine Kollegin und ich teilten die Kapselherstellung unter uns auf. Da wir mittlerweile sehr viele pädiatrische Kapselzubereitungen erhalten, haben wir eine Tabelle angelegt mit den Namen der kleinen Patient*innen, den zur Verfügung stehenden Kapselfarben (ja, es gibt nicht nur weiße; auch blau/weiß, grün/weiß, gelb/rot…) und den Wirkstoffen pro Kapselfarbe; so machen wir es den Eltern einfacher nicht den Überblick zu verlieren.

Ich schaute mir mein Rezept an, ich hatte zwei Stärken Marcumar®-Kapseln herzustellen: mit 1,0 Milligramm (mg) und 0,1 mg pro Kapsel. Um meine Kollegin nicht zu stören, habe ich unsere Rezeptur-Apothekerin aufgesucht, um ihr folgende Idee zu unterbreiten: Ich würde für die unterschiedlichen Stärken auch unterschiedliche Kapselhüllen-Farben nehmen. Bei der Erwähnung Marcumar® wurde sie dann hellhörig und erkundigte sich, für welches Kind dies denn sei. Ich nannte den Namen und dann erzählte sie, dass dies schon die dritte Stärke für das Kind sei. Die erste Verordnung allerdings über Phenprocoumon lautete, also eine reine Wirkstoffverordnung darstellte. Die Kollegin verwendete Phenprocoumon acis® zur Herstellung der Kapseln. Dies bedeutete nun für mich, ich sollte die gleiche Firma verwenden, da es sich bei Phenprocoumon um einen Wirkstoff mit enger therapeutischer Breite handelt und die Hersteller nicht gewechselt werden sollten. Daher steht der Wirkstoff ebenfalls auf der Substitutionsausschlussliste.

Unsere Rezeptur-Spezialistin
Neben dem Beratungsgespräch im Handverkauf gehört die Rezeptur für PTA zum wichtigsten pharmazeutischen Handwerkszeug. Lea Brachwitz leitet das Rezeptur-Team der Engel Apotheke in Darmstadt. In unserer Serie „Rezeptur – Mischen possible“ gibt sie Tipps, wie Sie mit schwierigen Rezepturen umgehen können.

Auf dem Rezept stand jetzt aber Marcumar®, was also tun? Wir setzten uns mit dem Arzt in Verbindung, schilderten die Sachlage und dieser war sehr zuvorkommend und stellte uns neue Rezepte mit Phenprocoumon acis® und dem Hinweis auf Kapselherstellung aus. Andernfalls wäre dies eine Situation, bei der im Handverkauf die Sonder-PZN auf das Rezept aufgedruckt würde, denn mit Sicherheit wären auch die Eltern verunsichert, wenn die Kapseln einen anderen Namen tragen würden und doch für den gleichen Zweck verwendet werden sollten.

Zur Herstellung der Phenprocoumon-Kapseln

Die Herstellung in unserer Rezeptur im Überblick:

1. Arbeitsplatz vorbereiten
Nachdem dies alles geklärt war, konnte ich mich nun mit der Herstellung befassen. Der Arbeitsplatz und die Kapselmaschine werden vorbereitet und desinfiziert. Da wir zu zweit Kapseln herstellen, sollte der Füllstoff so platziert werden, dass jeder ihn erreichen kann, ohne den anderen zu behindern. Eine saubere Trennung der Arbeitsfläche sollte ebenfalls vorausgesetzt sein.

2. Berechnung der benötigten Wirkstoffmenge
Phenprocoumon-haltigen Arzneimittel weisen immer einen Wirkstoffgehalt von 3 mg pro Tablette auf. Das bedeutet für mich in der Herstellung: Ich muss Tablettenanteile berechnen. In dem vorliegenden Fall sollen 100 Kapseln mit je 0,1mg und 100 Kapseln mit je 1mg Phenprocoumon hergestellt werden.

Für die schwächere Dosierung ergibt sich folgender Rechenweg:

  • 100 Kapseln x 0,1mg = 10 mg Wirkstoff werden benötigt.
  • Jetzt wird die Tablettenmenge ermittelt: 10 mg Wirkstoff geteilt durch 3 mg Tablettenstärke ergibt 3,3333 Tabletten.
  • Um eine Dosisgleichheit zu gewährleisten, wird immer eine Tablette mehr verwendet als benötigt, also vier Tabletten.

Es werden also vier Tabletten auf der Analysenwaage gewogen, ihr Gewicht notiert und in einen Mörser mit Pistill überführt. Die Tabletten werden gemörsert und beiseitegestellt. Nun muss die tatsächlich benötigte Pulvermenge errechnet werden:

  • Das notierte Gewicht der vier Tabletten geteilt durch vier (so erhält man das durchschnittliche Gewicht einer Tablette).
  • Das Ergebnis wird mit 3,3333 (der genauen benötigten Tablettenmenge) multipliziert. So erhält man die benötigte Menge des zermörserten Tablettenpulvers.

3. Methodenwahl zur Herstellung
Diese bestimmte Pulvermenge wird nun ebenfalls an der Analysenwaage abgewogen und für die Dokumentation notiert. Ich verwende eine leicht abgeänderte Form der Ergänzungsmethode bei der Kapselherstellung:

Ich überführe die abgewogene Pulvermenge in eine tarierte Fantaschale und gebe etwas Füllstoff dazu. Mittlerweile weiß ich, dass ich für 100 Kapseln ungefähr 27 Gramm Pulver (zusammengesetzt aus Wirkstoff und Füllstoff) benötigte. So fülle ich portionsweise auf, bis das Endgewicht erreicht ist. Bei solch einer kleinen Wirkstoffmenge ist es besonders wichtig, dass sorgfältig homogenisiert wird. Nach mehrmaligem Verreiben in der Fantaschale werden Schalenwand und das Pistill mit einem Kartenblatt abgeschabt – dieser ganze Prozess muss mindestens drei Mal wiederholt werden.

Nun kann das Pulvergemisch auf das Kapselbrett überführt werden und ohne Druck so lange verteilt werden, bis alle Kapselunterteile befüllt sind. Manchmal gibt es einen kleinen Überstand, dann darf das Kapselbrett leicht auf der Arbeitsplatte aufgestoßen werden, um das restliche Pulvergemisch zu verstreichen.

Tritt der Fall ein, dass nicht alle Kapselunterteile befüllt sind, muss mit Füllstoff aufgefüllt und erneut homogenisiert werden. Hierzu wird die Feststellschreibe an der Kapselmaschine arretiert, gut festgehalten und die ganze Konstruktion umgedreht. Der Inhalt landet auf einem Blatt Papier und kann so erneut in die Fantaschale überführt werden. Dann wird wieder verrieben und abgeschabt und das homogene Pulvergemisch erneut auf das Kapselbrett überführt.

4. Abfüllen und etikettieren
Wenn alle Kapselunterteile optimal befüllt sind, werden sie verschlossen und in ein Kapselabgabegefäß gegeben. Dies sollte eine geschützte Lagerung (vor Licht, Feuchtigkeit, Schmutz) sowie eine einfache Entnahme der einzelnen Kapseln gewährleisten. Das Etikett trägt alle Standardangaben sowie die ärztlich vorgegebene Dosierung.

5. Dokumentation
Zum Schluss kommt die Dokumentation, in Papierform oder mit Hilfe eines Laborprogramms. Welche Stärke mit welcher Kapselfarbe kombiniert wurde, habe ich ebenfalls in unserer internen Tabelle vermerkt – fürs nächste Mal.

6. Vorbereitung des Arbeitsplatzes für Rezeptur 2
Danach wird der Platz erneut desinfiziert und sowohl die Kapselmaschine, als auch die Fantaschale mit Pistill, sowie alle anderen verwendetet Dinge gespült und neue Utensilien für die nächste Stärke bereitgestellt.

Auch wenn der gleiche Wirkstoff verwendet wird, sollte immer frisches Arbeitsgerät verwendet werden, weil immer Rückstände verbleiben und somit die Dosisgleichheit nicht gewährleistet ist. Dies gilt in besonderem Maße für pädiatrische Rezepturen sowie Rezepturen mit geringer Wirkstoffmenge.

Das Kind konnte sicher versorgt werden und erhält nun den Wirkstoff einer Firma in verschiedenen Wirkstärken. Spannend wird es erneut, wenn sich die Wirkstärken verändern, aber das ist eine andere Rezeptur.

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