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Apothekenspezialitäten

REZEPTE AUS EINEM URALTEN SCHATZ

Aufwändig restaurierte Apothekerschränke, alte Maschinen, original Apothekerflaschen und der Duft von frischen Gewürzen – es sind einfach die Details, die die gläserne Manufaktur ReichsPost Bitter zu etwas Besonderem machen.

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Wacholder, Süßholz und Co. Wenn man sich in der Manufaktur umschaut, fallen einem die aufwändig restaurierten Apothekerschränke, alte Maschinen und original Apothekerflaschen auf und der Duft von frischen Gewürzen weht einem um die Nase. Aber für was werden eigentlich diese ganzen verschiedenen Gewürze benötigt, frage ich mich. Als Alles den Spirituosenbetrieb übernommen hatte, fiel ihm, wie wir ja bereits wissen, dieser Schatz eines Rezeptbuches in die Hände. Über Monate befasste sich Alles mit diesem Buch. Neben dem Rezept für den ReichsPost Bitter fand Alles auch ein Rezept für den Spiritus Juniperi, den Gin.

Der Unternehmer ist begeistert von der detailliert beschrieben Rezeptur und beginnt abermals zu recherchieren. Etwa ein Jahr widmet er sich dem Rezept für den traditionellen Wacholderschnaps. Das handschriftlich hinterbliebene Rezept lässt nur im Dunkeln erahnen, welche Zeit, aber auch Muße die beiden Entdecker in die Rezeptur gesteckt haben. Der Name der hochprozentigen Spirituose stammt vom lateinischen Namen des Destillats, das ursprünglich als Malariaprophylaxe, zunächst vor allem bei den englischen Soldaten in den Kolonien, verwendet wurde.

Des Weiteren galt der Gin früher auch als Produkt gegen Verdauungsbeschwerden und eingerieben half er sogar gegen rheumatische Beschwerden. Alles Interesse an dem Original Apotheker-Gin war nach der einjährigen Recherche so hoch, dass er ihn 2016 wieder auferstehen lässt. Neben Wacholderbeeren, die mit 65 Prozent den größten Teil ausmachen, sind Sternanis, Fenchelsamen, Zimt, Orangenschalen und Pimentpfeffer für die Schärfe, Engelswurzel, Süßholz, Muskat und Nelken Zutaten des Schnaps. Hat man alle Zutaten beisammen, beginnt die eigentliche Arbeit.

Nun heißt es den Gin ansetzen und etwa zwei Monate warten, um dem Ganzen Zeit zu geben, sich harmonisch zu verbinden. Dann ist es endlich soweit, und der Gin kann in Flaschen abgefüllt werden. Doch im Gegensatz zu großen Firmen, wo alles automatisch von Geräten übernommen wird, wird bei Familie Alles der Gin noch per Hand in die Flaschen gefüllt. Als wäre der Inhalt nicht schon einzigartig genug, hat auch die Flasche einen historischen Charakter.

Das Ehepaar verwendet original Apothekerflaschen mit einem Glasschliffpfropfen, der die Flasche stilvoll abschließt. Und der besondere Clou: In jede Flasche wird ein handgeschnitztes Wacholderhölzchen gegeben, um dem Ganzen noch ein einzigartiges Aroma zu verleihen. Sogar das Etikett wird von Alles eigenhändig auf seiner alten gelben mechanischen Schreibmaschine getippt. Alles ist stolz auf dieses historische, authentische Produkt und freut sich auf die weiteren Aufgaben. Denn da schlummern noch einige reizvolle Rezepte und Schätze in diesem Buch.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/18 ab Seite 70.

Nadine Hofmann, Leitung Online-Redaktion

KONTAKT

ReichsPost Bitter Manufaktur
Heike Alles-Jung
Gluckensteinweg 36
61350 Bad Homburg
info@reichspostbitter.com
www.reichspostbitter.com

Es regnet Bindfäden, als ich mit meinem Kollegen zusammen vor der gläsernen Manufaktur ReichsPost Bitter in Bad Homburg ankomme. Mit großem Interesse öffnen wir die Tür und sind gespannt, was uns alles erwartet. Eines wissen wir auf jeden Fall schon mal: Hier wird Gin nach einem alten Apothekerrezept aus dem 19. Jahrhundert hergestellt. Aber wie wird eine solche Rezeptur eigentlich hergestellt? Und woher hat der Inhaber dieses alte Rezept? Wir werden von Stefan Alles und seiner Frau Heike herzlich empfangen.

Der Sprituosenfabrikant hat 1996, als Quereinsteiger, das Unternehmen Fritz Scheller gemeinsam mit seiner Frau übernommen und mit dem Kräuterlikör ReichsPost Bitter 2008 eine alte Tradition aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Eigentlich hat Stefan Alles dem Kräuterlikör auch so ein bisschen seinen Einstieg zu verdanken, denn gerade als er sich entschied, beruflich etwas anderes zu wagen, fiel ihm der ReichsPost Bitter und das Unternehmen sozusagen vor die Füße. Aus einer Schnapsidee wurde nun Wirklichkeit.

Neues aus der Druidenwerkstatt Die Geschichte, die sich hinter der Firma Scheller verbirgt, ist etwas, das es in der heutigen Zeit nur noch selten gibt. Der Hotelier und Gastwirt Fritz Scheller, der in den Augen von Alles auch als Visionär seiner Zeit gilt, eröffnete 1843 sein Unternehmen. Neben zahlreichen großen Häusern, Hotels und Gaststätten, die er besaß, wollte er auch Produkte selbst produzieren. Er entschied sich in den Alkohol- und Spirituosenbereich einzusteigen, stellte sein eigenes Bier her und entwickelte mit der Zeit über 50 Spirituosen in seiner Destillerie.

Sein Ziel war es, Produkte für die unterschiedlichste Kundschaft herzustellen. So kam er bei einem Besuch des englischen Königshauses in Bad Homburg auf die Idee, Spirituosen herzustellen, die die Engländer gerne mochten. Und hier kommt das erste Mal der Gin ins Spiel, denn dieser war in England sehr beliebt. So war es kaum verwunderlich, dass Alles auch auf ein Rezept für Gin in dem alten Rezeptbuch stieß, das er beim Durchforsten von alten Erinnerungsstücken im Keller des Familiengebäudes fand. Und genau mit diesem Rezept ging Fritz Scheller 1850 das erste Mal in die Gin-Produktion.

Die Engländer liebten diesen Gin, der ein wahrer royaler Genuss für ihren Gaumen war und dadurch wuchs auch die Nachfrage in Bad Homburg nach der Spirituose. Etwa 100 Jahre war der Gin Teil des Sortiments, bevor die Produktion heruntergefahren wurde. Um weitere Spirituosen zu entwickeln beziehungsweise weiterzuentwickeln, hatte Scheller einen fachkundigen Helfer. Gemeinsam mit dem Apotheker Dr. Julius Hoffmann aus der Engel-Apotheke, die es im Übrigen heute noch gibt, saß der Unternehmer viele Nächte zusammen und heckte neue Rezepte aus. Die vielen Ingredienzien, die den Spirituosen ihre Einzigartigkeit verleihen, wurden vom Apotheker nicht nur teilweise selbst hergestellt, sondern auch beschafft.

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